Quelle: Sächsischer Flüchtlingsrat
Im ersten Halbjahr 2024 nahm Sachsen knapp 4.600 Geflüchtete auf. Erstmalig seit zwei Jahren wurden dem Freistaat auch wieder Menschen aus anderen Bundesländern zugewiesen. Der starke Rückgang hat jedoch nichts mit abnehmenden Fluchtursachen zu tun, sondern ist vor allem auf kollektive europäische Abschottungspolitik zurückzuführen.
Während der sächsische Innenminister Schuster (CDU) noch im Mai das Panikrad schneller drehen wollte und erklärte: "Die Zahlen belegen, […] dass der Migrationsdruck dieses Jahr noch höher ist, als im letzten Jahr", zeigen die realen Statistiken ein gänzlich anderes Bild. Kamen in den ersten sechs Monaten 2023 noch 10.048 Geflüchtete an, waren es in diesem Jahr im gleichen Zeitraum nur 4.605 Menschen. Hauptherkunftsländer waren erneut Syrien (882 Personen); Venezuela (851 Personen) und Afghanistan (447 Personen). Dies ergab eine Anfrage der Linken-Abgeordneten Juliane Nagel.
Auch in den Erstaufnahmeeinrichtungen leben immer weniger Geflüchtete. Aktuell (Stand: 29. Juli 2024) leben dort 2.445 Menschen – Platz wäre für 6.825 Geflüchtete. Damit sind laut Landesdirektion im Moment 36 % der Plätze belegt, obwohl dort bereits direkte Kapazitäten heruntergefahren wurden. Die Gründe für den starken Rückgang an Zugangszahlen sind vielfältig.
Zahlen von Zurückweisungen an Grenzen explodieren
So werden an Grenzen zu Polen und Tschechien zunehmend Menschen zurückgewiesen, da diese angeblich keinen Asylantrag stellen wollen. Fanden in den ersten neun Monaten des Jahres 2023 lediglich 56 Zurückweisungen statt, stieg die Anzahl dramatisch an: Seit Einführung der Grenzkontrollen im Oktober 2023 bis zum 10. März 2024 wurden laut ZEIT-Online insgesamt 4.600 Fälle von Zurückweisungen registriert.
Pressesprecher des Flüchtlingsrates Dave Schmidtke sieht dies skeptisch: "Wir haben große Bedenken, da die Zahl der Zurückweisungen an Sachsens Außengrenzen aktuell explodiert. Noch haben wir keine Kenntnis wie die Bundespolizei das direkte Aberkennen von Asylgesuchen begründet." Beispielsweise schilderten dem Flüchtlingsrat Betroffene mehrfach Schwierigkeiten bei Übersetzungen an der Grenze.
Brutale Menschenrechtsverletzungen an Europas Grenzen
Fragwürdige Zurückweisungen durch die Bundespolizei sind nicht der einzige Grund für sinkende Zahlen, während weltweit die Zahl der Schutzsuchenden mit 120 Millionen auf einem Rekordhoch liegt. Die Gewalt an den EU-Außengrenzen bspw. in Polen, Kroatien, Serbien oder Bulgarien schreckt immer mehr Schutzsuchende ab. In Polen wurde am Freitag im Senat beschlossen, dass Schusswaffen an der Grenze zu Belarus gegen Schutzsuchende eingesetzt werden dürfen. Auf EU-Ebene wurde im April festgelegt, dass künftig im gemeinsamen europäischen Asylsystem auch Familien in Außenlagern interniert werden dürfen.
Debatte um Asyl verroht stetig
Für Schmidtke ist die Debatte verroht und selten faktenbasiert: "Gewalt gegen Menschen, um diese an der Flucht zu hindern, darf im Rechtsstaat nie als Erfolg gewertet werden. Es wird überhaupt nicht mehr von Individuen und deren Fluchtursachen gesprochen." Dabei wäre gerade vor den Landtagswahlen im September laut Schmidtke Vorsicht geboten: "Der migrationsfeindliche Wahlkampf hat langfristige Folgen. Stetige Panikmache vor Schutzsuchenden spielt etablierten Rechtsextremen in die Hände, welche Geflüchtete in Sachsen längst entmenschlicht haben. Gerade jetzt – bei sinkenden Ankunftszahlen – wird die Chance verspielt, das Thema Migration endlich konstruktiv und weniger populistisch zu behandeln."
Der Sächsische Flüchtlingsrat fordert außerdem ein unabhängiges Monitoring zu aktuellen Grenzkontrollen der Bundespolizei, damit Menschen ihr legitimer Anspruch auf ein Schutzgesuch gewährt werden kann!