Der Name ist Programm

Der Name ist Programm

Vom „Tag des ausländischen Mitbürgers“ zur Interkulturellen Woche
Bereits seit 1975 findet jährlich Ende September bundesweit die Interkulturelle Woche (IKW) statt. Daran beteiligen sich mittlerweile mehr als 500 Städte und Gemeinden mit rund 5.000 Veranstaltungen. Organisiert und getragen werden die Programme vor Ort zumeist von Bündnissen, in denen sich Vertreterinnen und Vertreter von Kirchengemeinden, Kommunen, Migrantenorganisationen, Wohlfahrtsverbänden, Gewerkschaften, Vereinen, Initiativen sowie interessierte Einzelpersonen engagieren. Bis heute ist das Eintreten für bessere politische und rechtliche Rahmenbedingungen des Zusammenlebens von Deutschen und Zugewanderten ein Ziel der IKW geblieben. Aber auch, durch Begegnungen und Kontakte im persönlichen Bereich ein besseres gegenseitiges Verständnis zu entwickeln und zum Abbau von Vorurteilen beizutragen, ist ein zentrales Anliegen der Initiative. Deshalb werden die Informationsveranstaltungen durch Feste und Begegnungen sowie Theater- und Filmvorführungen und Lesungen von Künstlerinnen und Künstlern ergänzt. Zu Beginn hatte die IKW aber noch einen anderen Namen.
 

IKW-Plakat von 1982
Ein Plakat der "Ausländertage" 1982

Eine Initiative, die gesellschaftliche Diskussionen anstößt
Es waren aktuelle gesellschaftliche Beobachtungen, die die großen christlichen Kirchen in Deutschland im Jahr 1975 veranlassten, den „Tag des ausländischen Mitbürgers“, aus dem sich dann die heutige Interkulturelle Woche entwickelt hat, ins Leben zu rufen.
Nach dem Anwerbestopp 1973 war deutlich geworden, dass Politik und Gesellschaft eine folgenschwere Fehleinschätzung gemacht hatten: Denn die ausländischen Arbeitskräfte hielten sich keineswegs nur vorübergehend in der Bundesrepublik auf und kehrten eben nicht in absehbarer Zeit wieder in ihre Herkunftsländer zurück, wie viele zunächst gedacht hatten.
Seither gilt das dem Schweizer Schriftsteller Max Frisch zugeschriebene Wort: „Es wurden Arbeitskräfte gerufen, es kamen aber Menschen!“ Fehlende politische Rahmenbedingungen sowie fehlende soziale wie gesellschaftliche Integrationsangebote machten in der Folge nicht nur den „Gastarbeitern“, sondern auch der deutschen Mehrheitsbevölkerung zu schaffen. Die Arbeitsmigranten sahen sich bestenfalls der Erwartung gegenüber, sich vollständig an die deutsche Gesellschaft anzupassen und sich zu assimilieren.
Mit dem Tag bzw. der „Woche der ausländischen Mitbürger“ wurden gesellschaftliche Diskussionen angestoßen, die bis heute wirken. Bereits 1978 formulierten die Kirchen in ihrem Gemeinsamen Wort zum Aktionstag: „Für viele (...) ist die Bundesrepublik zum Einwanderungsland geworden.“ Über Jahrzehnte hinweg galt aber als Dogma der deutschen Ausländerpolitik: “Deutschland ist kein Einwanderungsland“.
Im Jahr 1980 veröffentlichte der Ökumenische Vorbereitungsausschuss (ÖVA) Thesen zur IKW. Die erste lautete: „Wir leben in der Bundesrepublik in einer multikulturellen Gesellschaft.“ Dies war der Anstoß für eine lebhafte Debatte, die sich über die 80er und 90er Jahre hinzog und später von Politikerinnen und Politikern aufgegriffen wurde.
Den christlichen Kirchen ist es darüber hinaus in den zurückliegenden Jahren gelungen, die Herausforderungen durch Migration und Flucht im Kontext einer verschärften Ausländerpolitik öffentlich zu machen und auf diese Weise zum Anwalt von Menschen zu werden, die in Deutschland Zuflucht suchen. Dies hat auch darin Ausdruck gefunden, dass bereits seit 1986 in der Interkulturellen Woche mit dem „Tag des Flüchtlings“ auf die besondere Situation von Flüchtlingen hingewiesen wird.
 

IKW-Plakat von 1992
So wurde 1992 für die IKW geworben

Debatte um die Namensgebung
1975 wurde der „Tag des ausländischen Mitbürgers“ von den Kirchen initiiert. Damit wurde eine gesellschaftliche Aussage gemacht, die in deutlichem Widerspruch zur damals vorherrschenden politischen Auffassung stand. In den 70er Jahren wurden Migrantinnen und Migranten vor allem als „Gastarbeiter“ betrachtet. Das Bewusstsein, in den Zugewanderten und ihren Familien ausschließlich das zu sehen, verschloss die Augen vor der notwendigen Integrationsanstrengung, die von Einheimischen wie Zugewanderten zu erbringen war und ist.
Bereits in den 80er Jahren setzte eine Debatte über die Namensgebung der „Woche“ ein. Im Materialheft des Ökumenischen Vorbereitungsausschusses aus dem Jahr 2000 wurde rückblickend formuliert: "Viele fühlen sich von dem Namen ,Woche der ausländischen Mitbürger‘ nicht angesprochen. Sie sehen sich als Inländer, auch wenn sie vielfach noch einen ausländischen Pass haben. Der Begriff ,Mitbürger‘ war in den 80er Jahren ein Markenzeichen, der das Ziel einer möglichst weiten Gleichberechtigung der Eingewanderten mit den hier Lebenden zutreffend bezeichnete. Mittlerweile betrachten viele Eingewanderte diesen Begriff als nicht mehr zutreffend. Sie sehen sich als gleichwertige Bürger dieses Landes. Auch Frauen fühlen sich durch den Namen ,Woche der ausländischen Mitbürger‘ nicht mehr angesprochen. All dies waren Gründe für den Ökumenischen Vorbereitungsausschuss, nach einer intensiven Diskussion ergänzend zum  Namen ,Woche der ausländischen Mitbürger‘ 1991 den Namen ,Interkulturelle Woche‘ einzuführen. Mittlerweile hat sich dieser Titel in der Öffentlichkeit durchgesetzt.“

Plakat von 2012
Ein Plakat von 2012

Koordination und Unterstützung
Die Interkulturelle Woche ist eine Initiative der Deutschen Bischofskonferenz, der Evangelischen Kirche in Deutschland und der Griechisch-Orthodoxen Metropolie. Die Initiative wird von Gewerkschaften, Wohlfahrtsverbänden, Kommunen, Migrationsbeiräten, Integrationsbeauftragten und deutsch-ausländischen Initiativgruppen unterstützt und mitgetragen. Zur Vorbereitung wurde der Ökumenische Vorbereitungsausschuss eingerichtet. Er veranstaltet jährlich im Februar eine bundesweite Vorbereitungstagung zur IKW, an der rund 150 Multiplikatorinnen und Multiplikatoren aus den Bereichen Migration, Integration und Flucht teilnehmen und die inhaltliche sowie politische Schwerpunktsetzung der kommenden Interkulturellen Woche diskutieren. In der Folge werden Materialien erarbeitet, die sowohl den Akteuren vor Ort eine Orientierung sein wollen als auch für die Verbreitung an Informationsständen oder bei Veranstaltungen geeignet sind. Die inhaltliche Ausrichtung der IKW wird von einem Motto getragen, das in der Regel für zwei Jahre entwickelt wird.