"Deutschland ist ein Land mit Migrationshintergrund"

Bundespräsident Steinmeier betonte in seiner Rede unter anderem den vielen IKW-Organisierenden im ganzen Land: "Sie alle leisten einen unermesslich wertvollen Beitrag zum Zusammenhalt unserer Gesellschaft und für unsere Demokratie!"
"Deutschland ist ein Land mit Migrationshintergrund"

Gottesdienst und Festakt zum 50-jährigen Bestehen der Interkulturellen Woche – Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier dankt den IKW-Organisierenden

Mit einem ökumenischen Gottesdienst und einem Festakt hat die Interkulturelle Woche (IKW) am 16. Mai 2025 in der Genezarethkirche in Berlin ihr 50-jähriges Bestehen gefeiert. Mehr als 100 Gäste aus Kirche, Politik, Wissenschaft, von Nicht-Regierungs-Organisationen sowie Vertreter:innen von Interkulturellen Wochen aus dem ganzen Land kamen zusammen, um die IKW zu würdigen.

Den ökumenischen Gottesdienst leiteten die Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Bischöfin Kirsten Fehrs, der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz (DBK), Bischof Dr. Georg Bätzing, und Metropolit Augoustinos von Deutschland, der Vorsitzende der Orthodoxen Bischofskonferenz. Für den musikalischen Rahmen sorgte die Band "Bring That Thing".

Bischof Bätzing sagte in seiner Begrüßung und Einführung: „Als im Jahr 1975 die Evangelische Kirche in Deutschland, die Griechisch-Orthodoxe Metropolie und die Deutsche Bischofskonferenz den damals noch so genannten Tag des ausländischen Mitbürgers ins Leben riefen, konnte niemand ahnen, dass diese Initiative einmal einen Zeitraum von 50 Jahren überdauern würde. Und sie hat ja nicht nur 50 Jahre überdauert, sondern sie ist gewachsen und hat sich als Interkulturelle Woche zu einem breiten zivilgesellschaftlichen Netzwerk entwickelt. Dafür haben wir heute allen Grund, Dank zu sagen.“ Bätzing betonte die Verbindung zu Gott als Schöpfer und Vater und die Geschwisterlichkeit zwischen den Menschen: „Diese Geschwisterlichkeit verbindet uns mit allen Menschen in unserem Land und in allen Ländern der Erde. Jede Einzelne und jeden Einzelnen kennt er und hat er in sein Herz geschlossen. Und er sorgt sich um sie und uns alle wie eine gute Mutter und ein guter Vater. So motiviert uns die lebendige Beziehung mit Gott immer wieder neu zu einem respektvollen Umgang mit jedem Menschen und zu einem guten interkulturellen Miteinander.“

Film: Jessica Jesenofsky

Für Bischöfin Fehrs ist die IKW "eine begeisternd lange Geschichte von Orten und von Menschen aller Nationen, Konfessionen und Religionen, die entschieden friedensfindig die Gemeinsamkeit gesucht haben – und gefunden. Über alle Grenzen hinweg seit 1975 ist man konsequent aufeinander zugegangen, inspiriert von einem Geist der Verständigung, der dem gegenseitig Fremden mit Neugier begegnet, um sich mit dem Unterschied zu befreunden." Auch auf das diesjährige IKW-Motto "dafür!" ging Fehrs in ihrer Predigt ein: "Wie genial ist das denn, dass just zum 50. genau das zum Motto erhoben wurde: 'dafür!'. Es gibt vieles, wogegen wir uns aufstellen müssen – aber 'dafür!' dreht die Perspektive. Und dieser Perspektivwechsel auf den Reichtum der Vielfalt, hat die interkulturelle Woche immer ausgezeichnet. Hier diesem Ort und noch viel mehr dort, wo Sie zuhause sind, brennen wir doch genau dafür: für eine Gesellschaft, die die Würde und das Recht jedes einzelnen Menschen, unabhängig von Herkunft oder Aussehen oder Fähigkeiten verteidigt."

Metropolit Augoustinos, der vor 50 Jahren als Weihbischof die IKW-Gründung mitgestaltet hat, erinnerte in seinem Sendungswort an die Ebenbildlichkeit aller Menschen mit Gott: "Für uns Christinnen und Christen ist das der Ausgangspunkt unseres interkulturellen Handelns, also auch der Interkulturellen Woche. Man hat zu Recht behauptet, dass wir das Paradies auf Erden verloren haben. Die Sehnsucht aber nach dem Paradies, das heißt nach der Verwirklichung unserer Gottesnähe und unserer Ähnlichkeit mit dem Bild Gottes, lebt in uns weiter. Das ist für die Christinnen und Christen gleich welcher Konfession der wahre Ursprung und die tatsächliche Bestimmung des Menschen, das ist die Kultur, die uns alle verbindet."

Beate Sträter, die Vorsitzende des Ökumenischen Vorbereitungsausschusses zur Interkulturellen Woche, dankte in ihrer Begrüßung Bundespräsident Steinmeier und den weiteren Gästen für ihr Kommen: "Wir sehen darin ein Zeichen der Ermutigung und Anerkennung, der vielen Menschen, überall in unserem Land, die sich seit langer Zeit für ein friedliches und gerechtes Miteinander einsetzen. Sie tun dies auch gegen wachsende Widerstände und das Bestreiten und Bekämpfen der Vielfalt unsere Gesellschaft und der Gleichheit aller hier lebender Menschen. Gerade deshalb ist auch ein öffentliches und sichtbares Zeichen wichtig, dass wir DAFÜR sind: Für Teilhabe, für Gleichbehandlung, für die Achtung der Menschenrechte, für die Akzeptanz von Unterschiedlichkeit, für ein friedliches Zusammenleben."

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier dankte in seiner Festrede "den vielen, vielen engagierten Menschen in Kirchengemeinden, Vereinen, Gewerkschaften, Wohlfahrtsverbänden und Migrantenorganisationen, die landauf, landab die Interkulturelle Woche mit Leben erfüllen. Ihr – zumeist ehrenamtliches – Engagement geht weit über diese Woche und auch weit über religiöses Zusammenleben hinaus. Sie alle leisten einen unermesslich wertvollen Beitrag zum Zusammenhalt unserer Gesellschaft und für unsere Demokratie!"

Die IKW sei "eine Woche der Ermutigung", so Steinmeier. "Die Verdienste von Kirchen und Religionsgemeinschaften um das friedliche Zusammenleben der unterschiedlichen Religionen und Kulturen sind gar nicht hoch genug einzuschätzen. Lassen Sie uns ohne falsche Scheu das hochhalten, was unsere freiheitliche Demokratie so lebenswert und schützenswert, nicht zuletzt zum Anker der Hoffnung für Menschen aus Diktaturen und Konfliktregionen macht.“ Und weiter: „Diejenigen, die in der Interkulturellen Woche mitwirken, zeigen auch: Zuwanderung war nie einfach, aber sie ist nicht nur eine Problemgeschichte. Sie ist immer wieder auch ein wichtiger Teil der Erfolgsgeschichte unseres Landes geworden."

Die Interkulturelle Woche werde gebraucht "als Raum der Begegnung, des Miteinanders von ganz unterschiedlichen Menschen, die heute in unserem Land leben, die hinzukommen, die hier ihre Heimat finden", sagte der Bundespräsident, denn: "Wir sind mehr als ein Land mit Menschen mit Migrationshintergrund. Deutschland ist ein Land mit Migrationshintergrund. Ein Deutschland ohne Einwanderer wäre ganz ohne Zweifel ein ärmeres Land."

In einem Podiumsgespräch diskutierten anschließend die Direktorin des Deutschen Zentrums für Integrations- und Migrationsforschung (DeZIM), Prof. Dr. Naika Foroutan, der Sozialwissenschaftler Prof. Dr. Özkan Ezli sowie die stellvertretende Vorsitzende des Ökumenischen Vorbereitungsausschusses (ÖVA) zur Interkulturellen Woche, Monika Schwenke vom Caritasverband der Diözese Magdeburg über die Geschichte und die heutige Bedeutung der IKW. Das Gespräch und den Festakt moderierte Antonia Rösner, die Geschäftsführerin des ÖVA.

Ezli, der zur Interkulturellen Woche forscht, erklärte, was seiner Ansicht nach die große Stärke der Initiative ist: Durch den breiten Ansatz und niedrigschwellige Angebote entstehe eine Dynamik, die politisch und gesellschaftlich "harte" Themen "verflüssigt" und so hilft, sie zu verhandeln. "Solch ein Format findet man sonst eher nicht in Deutschland", so Ezli.

Schwenke betonte, wie wichtig die IKW als "Mutmacher" für Engagierte vor Ort sei, gerade durch die Mottos und die Materialien, die der Ökumenische Vorbereitungsausschuss zur Verfügung stellt. Sie wies aber auch die Diskursverschiebung nach rechts bei Themen wie Flucht, Asyl und Migration und das Erstarken von rechtextremen Kräften hin. "Dadurch kommen Organisierende der IKW vor Ort unter Druck und haben zum Teil Angst, Ihr Engagement fortzusetzen."

Foroutan warf einen Blick auf die Migrationsgeschichte der Bundesrepublik mit all ihren Fortschritten, Verhandlungen und auch Rückschlägen. Unter dem Strich sei man aber immer ein Stück weitergekommen. Das sei auch wichtig, denn Deutschland habe sich zu einem der "dynamischsten Migrationsakteure weltweit" entwickelt und belege mittlerweile hinter den USA Platz zwei, was die absoluten Zahlen der Zuwanderung angehe. Der Interkulturellen Woche bescheinigte Foroutan "50 Jahre Standhaftigkeit."

Nach dem Ende des offiziellen Teils war noch Zeit für Gespräche, Austausch und einen Gang zum hervorragenden Büffet, das die Griechisch-Orthodoxe Gemeinde Berlin vorbereitet hatte.