Oral-History-Projekt „Archiv der Flucht“ wurde eröffnet

Für das Projekt wurden 42 Interviews geführt. Foto: HKW
Oral-History-Projekt „Archiv der Flucht“ wurde eröffnet

Quelle: Haus der Kulturen der Welt

Mit dem Archiv der Flucht ist im Haus der Kulturen der Welt (HKW) in Berlin am 30. September 2021 ein digitaler Gedächtnisort entstanden, der an Flucht und Migration nach Deutschland im 20. und 21. Jahrhundert erinnert und sie als wesentlichen Bestandteil deutscher Geschichte begreift.

In 42 dokumentarischen Filminterviews erzählen Menschen, die in acht Jahrzehnten in die Bundesrepublik oder die DDR eingewandert sind, von Heimat und Exil. Damit bewahrt das Online-Archiv diese Erinnerungen vor dem Vergessen und Verdrängen. An vier Thementagen begleitet das HKW den Launch der Website mit Gesprächen, Vorträgen und Workshops – und diskutiert die Notwendigkeiten eines pluralen Gesellschaftsverständnisses.

Über fünf Jahre entstanden 42 Filminterviews

In den mehrstündigen Filminterviews widmen sich die Interviewer*innen des Archivs dem Zuhören, Bezeugen und Dokumentieren der Erzählungen von Menschen, die über die Erfahrung von Flucht und Vertreibung, Heimat und Exil, Zugehörigkeit und Neuanfang reflektieren. Auf Initiative der Publizistin Carolin Emcke, die das Projekt mit der Migrationswissenschaftlerin Manuela Bojadžijev und unter Mitwirkung weiterer Expert*innen über fünf Jahre hinweg entwickelt hat, entstand aus den 42 Gesprächen ein Online-Archiv in Form einer Mediathek, das diese Zeitzeugnisse für die Öffentlichkeit zugänglich sowie für die Migrationsforschung und politische Bildungsarbeit nutzbar macht.

Das Archiv versammelt Erinnerungen von Menschen aller Generationen

Das Archiv der Flucht nimmt keine Hierarchisierung von Fluchterfahrungen vor. Es versammelt stattdessen ausdrücklich die Erinnerungen von Menschen aller Generationen, die hierher geflohen sind, von der Flucht aus Schlesien im Jahr 1945 bis zur Flucht aus Libyen im Jahr 2016. Die Protagonist*innen kommen aus insgesamt 28 Herkunftsländern in Südamerika, Afrika, Ost- und Südosteuropa, im Nahen und Mittleren Osten sowie Südost- und Ostasien. Ihre Geschichten umfassen die unterschiedlichsten sozialen oder kulturellen Hintergründe, Religionen und Sexualitäten.

An Thementagen werden Fragen entlang des Archivs diskutiert

Anlässlich der Veröffentlichung des Online-Archivs sind die Filminterviews erstmals in einer Installation im Haus der Kulturen der Welt zu sehen. Während der Thementage diskutieren Theoretiker*innen, Aktivist*innen sowie Projektbeteiligte Fragen entlang des Archivs. Sie sprechen über die Genese des Archivs der Flucht, zeichnen die Migrationsgeschichte und die Einwanderungsregime in Deutschland seit 1945 nach, fragen nach den Gestaltungschancen in gegenwärtigen Einwanderungsgesellschaften und wagen einen Ausblick auf deren mögliche Zukünfte.

Weitere Informationen zu den Thementagen unter anderem mit Aleida Assmann, Khesrau Behroz, Manuela Bojadžijev, Carolin Emcke, Norbert Frei, Dmitrij Kapitelman, Sandro Mezzadra, Luisa Neubauer, Michael Rothberg, Sasha Marianna Salzmann, Heidi Specogna, Senthuran Varatharajah und Bruno Watara sind hier zu finden.

An den Wochenenden von Oktober bis Dezember geben Workshops und Publikumsgespräche am HKW Impulse für die Auseinandersetzung mit den Themen des Archivs. In Kooperation mit dem Verein für Medienbildung mediale pfade entsteht eine digitale Bildungsplattform mit Ressourcen zur freien Nutzung für schulische und außerschulische Bildung.

Das Archiv wird für die weitere private und wissenschsaftliche Nutzung zugänglich gemacht

Im Rahmen einer Kooperation mit dem Deutschen Bibliotheksverband e.V. (dbv), dem Fachinformationsdienst Sozial- und Kulturanthropologie der Universitätsbibliothek der Humboldt-Universität zu Berlin und dem Datenservicezentrum Qualiservice der Universität Bremen sowie den Stadtbibliotheken Tempelhof-Schöneberg und Pankow wird das Archiv für eine weiterführende private und wissenschaftliche Nutzung zugänglich gemacht. Diverse Angebote der Stadtbibliotheken werden die Inhalte des Archivs einem breiten Publikum näherbringen.
Parallel zur Installation am HKW, den Thementagen und dem Online-Archiv wird das Archiv der Flucht in Zusammenarbeit mit den Goethe-Instituten und deren Partnern in Athen, Belgrad, Bukarest, Istanbul, Sarajevo, Tirana und Zagreb präsentiert und vermittelt.

Kuratorinnen: Carolin Emcke, Manuela Bojadžijev

Mitwirkende: Mohamed Amjahid, Malek Bajbouj, Lilian-Astrid Geese, Eva Gilmer, Nadja Hermann, Charlene Lynch, Ethel Matala de Mazza, Mohammad A.S. Sarhangi, Stefanie Schüler-Springorum, Heidi Specogna, Inken Stern, Amir Theilhaber, Joseph Vogl, Gabriele von Arnim

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