Studie: Alternative Fakten sind Ausdruck politischer Konflikte

Studie: Alternative Fakten sind Ausdruck politischer Konflikte

Quelle: Otto-Brenner-Stiftung

"Fact-Checking" und Sachaufklärung gegen Fehlinformationen auf Facebook laufen häufig ins Leere, stattdessen müsste die Verbreitung sogenannter alternativer Fakten verstärkt als Ausdruck politischer Konflikte ernst genommen werden. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie der Otto Brenner Stiftung (OBS), die die Funktion von Fehlinformationen in Diskussionen auf Social Media analysiert. Für die Untersuchung "Alternative Fakten im Gespräch – AfD-Diskussionen auf Facebook" haben die Bremer Wissenschaftler*innen Hannah Trautmann und Nils Kumkar Facebook-Konversationen auf AfD-Accounts qualitativ ausgewertet. Die AfD-Seiten bieten sich als zu untersuchende Plattformen an, da die Seiten nicht nur im Kontext der anstehenden Bundestagswahl als Promoter alternativer Fakten besonders relevant sein dürften, heißt es in der Studie der OBS, die online abzurufen ist.

Kritik an alternativen Fakten verpufft relativ folgenlos

"Am Anfang unserer Untersuchung stand die simple Frage, was Menschen dazu bringt, in Diskussionen in den sozialen Medien alternative Fakten einzubringen", sagt Autor Nils Kumkar und ergänzt: "Relativ schnell wurde deutlich, dass der eigentliche Gehalt der entsprechenden Postings für die Online-Gespräche sekundär ist." Stattdessen stellte das Forscher*innenduo der Universität Bremen fest, dass die meisten Beiträge als Identitätsbehauptungen behandelt werden: "Das bedeutet, dass es den jeweiligen Kommentator*innen primär darum geht, sich als Teil einer Gruppe darzustellen, die in Fundamentalopposition zu einer wahrgenommenen Mehrheitsmeinung steht", führt Hannah Trautmann aus.

Kritik an alternativen Fakten verpuffe in diesen Diskussionen deshalb auch relativ folgenlos, da nicht inhaltlich argumentiert, sondern stets im Rahmen eines Freund-Feind-Schemas agiert wird: "Lassen Kritiker*innen von ihrer Kritik nicht ab, werden sie aus der ‚Gemeinschaft‘ der Fundamentaloppositionellen ausgeschlossen. So entfaltet sich eine politische Gesprächsdynamik, die sich gegen Sachkritik immunisiert und die Gruppe stabilisiert", schlussfolgert Trautmann.

Die Analyse der Facebook-Diskussionen, die auf Material zwischen Februar 2020 und Juni 2021 zurückgreift, macht deutlich, dass diese Mechanismen unabhängig von der konkreten Thematik greifen. Ob es um Gesundheits-, Migrations-, Partei-, Medien- oder Bildungspolitik oder um Debatten über den politischen Gegner geht, die Wissenschaftler*innen identifizierten stets das gleiche Muster. Menschen opponieren nicht etwa aufgrund von Falschmeldungen gegen die Pandemiebekämpfungspolitik der Regierung, sondern sie teilen die alternativen Fakten, um damit ihre Opposition gegenüber dieser Politik auszudrücken.

Falschmeldungen erzeugen keine Konflikte – sie sind das Ergebnis von Konflikten

Jupp Legrand, Geschäftsführer der Otto Brenner Stiftung, betont besonders dieses Ergebnis der Untersuchung: "Unsere Studie deutet an, dass politischer und sozialer Konflikt der Verbreitung alternativer Fakten vorausgeht – und nicht umgekehrt. Falschmeldungen führen also weniger zu einer oppositionellen Haltung z. B. in der Corona- oder Migrationspolitik, als dass sie herangezogen werden, um eine zuvor bereits bestehende Gegnerschaft in diesen Fragen für Gleichgesinnte auch zum Ausdruck zu bringen". Für den Leiter der Stiftung, die einen Schwerpunkt in der Veröffentlichung medienkritischer Untersuchungen hat, werfen diese Studienergebnisse wichtige Fragen für alle auf, die sich politisch, beruflich oder privat mit der Verbreitung von Falschinformationen in den sozialen Medien auseinandersetzen müssen.

"Wenn sachlicher Inhalt oder unstrittige Fakten nichts zählen – und dies ist zumindest bei den aktiven Teilnehmer*innen der untersuchten Facebook-Diskussionen der Fall – lohnt es sich sicherlich nicht, tiefer in Debatten einzusteigen“, so Legrand. Auch scheine es vor diesem Hintergrund nicht angemessen, die Verbreitung alternativer Fakten als 'Missverständnisse' aufzufassen, denen mit besserer Bildung oder mehr Medienkompetenz beizukommen wäre. Die Stiftung empfiehlt allen demokratischen Kräften stattdessen, Falschmeldungen „als Ausdruck politischer Konflikte ernst zu nehmen", wie es im Vorwort zur Studie heißt. Helfen würde es demnach auch, "eigene Konflikte schärfer auszutragen", um Spekulationen über mögliche Verschwörungen oder (Selbst)Inszenierungen als Fundamentalopposition unwahrscheinlicher zu machen.

Hannah Trautmann/Nils C. Kumkar: Alternative Fakten im Gespräch – AfD-Diskussionen auf Facebook; OBS-Arbeitspapier 49, Frankfurt am Main, August 2021

Das Arbeitspapier online lesen oder downloaden

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Kontakt

Nils C. Kumkar
Universität Bremen
SOCIUM Forschungszentrum Ungleichheit und Sozialpolitik
E-Mail: kumkar@uni-bremen.de