Quelle: PRO ASYL
Zivilgesellschaftliche Organisationen ziehen in einer von PRO ASYL, der Diakonie Hessen und dem Initiativausschuss für Migrationspolitik in Rheinland-Pfalz initiierten Erklärung eine Bilanz der Aufnahme von Flüchtlingen seit 2015. Unterzeichnet haben die Erklärung unter anderen der Deutsche Gewerkschaftsbund, die Neuen Deutschen Medienmacher, landesweite Flüchtlingsräte sowie zahlreiche weitere Organisationen der Asyl- und Integrationsarbeit auf Bundes- und Landesebene.
"Menschen sind gekommen und das war gut so!"
Menschen sind gekommen, weil sie vor Bomben und Kugeln, vor Terror und politischer Verfolgung, vor Folter und Misshandlung fliehen mussten. Und Menschen haben sie aufgenommen! Der lange Sommer der Flucht im Jahr 2015 traf auf eine lebendige Humanität, Empathie und eine die Idee der Menschenrechte verwirklichende Zivilgesellschaft. Schon das allein ist eine Erfolgsgeschichte.
Aus Flüchtlingen sind seitdem Kolleg*innen, Nachbar*innen und Freund*innen geworden, die Deutschland vielfältiger und offener machen. Die Angsterzählungen von Rechtspopulist*innen und die Politik der Abschreckung, Ausgrenzung und Entrechtung von Flüchtlingen, die dem "Sommer des Willkommens" unmittelbar folgte, haben zu diesem Erfolg nichts beigetragen.
"Während die Politik debattierte, machten sich Zehntausende in Deutschland buchstäblich über Nacht auf, um gravierende Leerstellen in der Aufnahme und Versorgung der Geflüchteten zu füllen", heißt es in der Erklärung. An vielen Stellen hat die Politik sich gegen das neue zivilgesellschaftliche Engagement gewendet. Rechtliche Hürden wurden aufeinandergetürmt. Wohnsitzauflagen verhindern noch größere Erfolge bei der Integration. Die Angst vor vielen Familienangehörigen auf der Flucht und vor allem die Angst vor Rassist*innen und Rechtsextremen in den Parlamenten bestimmte große Teile der Gesetzgebung. Statt die Bereitschaft der Vielen, aktiv und kreativ an der Bewältigung neuer Herausforderungen mitzuarbeiten, positiv zu würdigen und für die Weiterentwicklung dieser Gesellschaft zu nutzen, wurde ihr Engagement an vielen Stellen behindert, zermürbt und ausgebremst.
Aber die Erfahrungen seit 2015 zeigen: #offengeht!
Die Unterzeichnenden fordern:
#offengeht: Der Zugang zum Asylrecht muss an Europas Grenzen gewährleistet sein. Menschenrechtswidrige Push-Backs, direkte Abschiebungen ohne Prüfung eines Asylantrages – durch Griechenland oder andere EU-Mitgliedstaaten – müssen aufhören.
#offengeht: Wir können und wir sollten eine erhebliche Zahl von Geflüchteten aufnehmen, die heute in Elendslagern auf den griechischen Inseln und an anderen Orten an der europäischen Außengrenze verzweifeln.
#offengeht: Viele Flüchtlingsunterkünfte in den Kommunen stehen zurzeit leer. Andere können kurzfristig reaktiviert werden. Es gibt hinreichend Ressourcen, Kapazitäten und Kompetenzen in Deutschland, um weitere Flüchtlinge aufzunehmen und unserer internationalen Verantwortung für den Flüchtlingsschutz nachzukommen.
#offengeht: Die Situation in den Hauptherkunftsländern von Flüchtlingen wird in absehbarer Zeit nicht besser werden, weder in Syrien noch im Irak, Afghanistan, Eritrea, Somalia oder der Türkei. Darum sollte nicht auf Abschiebungen gesetzt werden, sondern auf Integration vom ersten Tag an.
#offengeht: Asylsuchende müssen so schnell wie möglich in die Kommunen verteilt werden, um ihre Unterstützung und Integration zu fördern.
#offengeht: Die Vielfaltsfähigkeit zentraler Institutionen und Einrichtungen muss gezielt gefördert werden, nicht nur im Blick auf neu ankommende Geflüchtete, sondern für alle in einer heterogener werdenden Migrationsgesellschaft.
#offengeht: Unterschiedliche Rechtsstatus hier lebender Menschen müssen möglichst zügig angeglichen werden. Statt neue und noch schlechtere Duldungsstatus einzuführen, sollte jede*r spätestens nach fünf Jahren Aufenthalt den "Langheimischen" rechtlich gleichgestellt werden.
#offengeht: Damit alle gleichberechtigt an der Gestaltung der Lebensverhältnisse im Gemeinwesen teilnehmen können, sollten demokratische Rechte nicht an der Staatsangehörigkeit, sondern am Wohnort anknüpfen. Eine "Wohnbürgerschaft" bedeutet unter anderem, dass jede*r ein bedingungsloses Wahlrecht hat an dem Ort, an dem sie*er lebt.
#offengeht: Das hat die Gesellschaft in Deutschland in den vergangenen Jahrzehnten wiederholt bewiesen, während der Kriege im ehemaligen Jugoslawien in den 1990er Jahren zum Beispiel, als Deutschland hunderttausende Flüchtlinge aufgenommen hat, nach dem Militärputsch in der Türkei 1980 und bei der Aufnahme von mehr als 12 Millionen Geflüchteter nach dem Zweiten Weltkrieg. In einer viel wohlhabenderen Gesellschaft als damals bekräftigen wir: #offengeht auch heute!
Die Diakonie Hessen, der Initiativausschuss für Migrationspolitik in Rheinland-Pfalz und PRO ASYL rufen dazu auf, vor Ort in Veranstaltungen die gesellschaftlichen Entwicklungen seit 2015 zu bilanzieren und auf dieser Grundlage Zukunftsperspektiven und Forderungen zu entwickeln. Eine gute Gelegenheit hierfür ist der Tag des Flüchtlings, der im Rahmen der Interkulturellen Woche begangen wird und dieses Jahr am 2. Oktober stattfindet.
Für Rückfragen stehen zur Verfügung:
- Diakonie Hessen: Hildegund Niebch, stv. Leiterin der Abteilung Flucht, Interkulturelle Arbeit, Migration, hildegund.niebch@diakonie-hessen.de
- Initiativausschuss für Migrationspolitik in Rheinland-Pfalz: Torsten Jäger, Geschäftsführer, tj@zgv.info
- PRO ASYL: Günter Burkhardt, Geschäftsführer, presse@proasyl.de