PRO ASYL-Geschäftsführer Günter Burkhardt warnt eindringlich vor einer "Komplettauflösung rechtstaatlicher Verhältnisse an der griechischen Land- und Seegrenze". An der griechisch-türkischen Landgrenze werden Geflüchtete mit Tränengas und Blendgranaten abgewehrt. Polizei, Militär und Bürgerwehren machen die EU-Außengrenze dicht, tausende Schutzsuchende werden gewaltsam zurückgewiesen.
Auf Lesbos und Chios werden Schutzsuchende, NGO-Mitarbeiter*innen und Journalist*innen von faschistischen Gruppen tätlich angegriffen. Organisationen verlassen die Inseln, weil sie nicht mehr für die Sicherheit ihrer Mitarbeiter*innen garantieren können. Es gab Brandanschläge auf ein vom UNHCR betriebenes, leerstehendes Aufnahmezentrum auf Lesbos und ein Kleiderdepot einer Hilfsorganisation auf Chios. Die griechischen Behörden stellen weder die Sicherheit von Schutzsuchenden noch von ihren Unterstützer*innen sicher.
PRO ASYL fordert:
- Sofortige Evakuierung aller Flüchtlinge von den griechischen Inseln: Angesichts des humanitären Notstandes ist ein groß angelegtes Aufnahmeprogramm aus Griechenland notwendig: Die Hotspots müssen geräumt werden, Schutzsuchende auf das griechische Festland gebracht werden. Dort müssen sie menschenwürdig untergebracht und schnellstmöglich in andere EU-Mitgliedstaaten überstellt werden.
- Flüchtlingsaufnahme jetzt! Europa darf Griechenland und die dort lebenden Schutzsuchenden nicht länger allein lassen. Deutschland und andere aufnahmebereite EU-Staaten müssen jetzt die sofortige Flüchtlingsaufnahme aus Griechenland organisieren.
- Einhaltung des Rechts: Keine illegalen Zurückweisungen an den Grenzen, Zugang zu rechtsstaatlichen Asylverfahren. Es ist rechtswidrig, Schutzbedürftigen den Zugang zum Rechtssystem zu verwehren und sie ohne Asylverfahren über die Grenze der EU zurück zu verfrachten. Die griechische Regierung setzt Asyl- und Völkerrecht aus, und Europa schweigt. Die Veröffentlichung des Rechtsakts der griechischen Regierung, der die Aussetzung der Registrierung von Asylanträgen für einen Monat und die sofortige Abschiebung von Personen vorsieht, die "illegal" nach Griechenland eingereist sind, ist völkerrechtswidrig. "Es ist empörend, dass die EU-Kommissionspräsidentin dies deckt, indem sie von Griechenland als 'europäischem Schild' spricht und damit das brutale und rechtswidrige Vorgehen legitimiert", so Burkhardt.
Bedford-Strohm: "Menschen in Not aufnehmen, statt sie zurückzudrängen"
Auch der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, Heinrich Bedford-Strohm, äußerte sich zur Situation an der griechisch-türkischen Grenze: "Wo viel Leid ist, ist auch viel Hilfe gefordert. Europa kann diese Hilfe nicht einigen wenigen Staaten in der Region überlassen und seine Verantwortung auslagern. Wir müssen sofort Menschen in Not in Europa aufnehmen, statt sie zurückzudrängen und das Asylrecht auszusetzen."
Volker Jung, der Präsident der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau, forderte ebenfalls die Aufnahme von Geflüchteten aus Griechenland: "Jetzt muss dringend gehandelt werden“, sagte er am Dienstag (3. März). Die Inseln seien umgehend zu räumen, um der völligen Eskalation zuvorzukommen. Andere EU-Staaten müssten die Flüchtlinge aufnehmen und ihre Asylgründe prüfen, allen voran Familien und unbegleitete Minderjährige. "Das ist leistbar, es geht um eine Anzahl von Menschen, mit der die anderen EU-Staaten keineswegs überfordert würden. In Deutschland etwa gibt es hinreichend Ressourcen und Kompetenzen dafür", erklärte Jung. "Was in diesen Stunden und Tagen verloren zu gehen droht, ist nicht mehr nur die Seele Europas. Es stehen auch die rechtlichen Grundlagen der Europäischen Union insgesamt auf dem Spiel. Das müssen wir in einer gemeinsamen Kraftanstrengung unbedingt verhindern", so Jung abschließend. Die EU trage eine Mitverantwortung an der für die Flüchtlinge entsetzlichen Lage.
Rechtliche Einordnung der griechischen Regierungsmaßnahmen
Genfer Flüchtlingskonvention: Keine Aussetzung von Asylanträgen!
Griechenland ist zur Achtung der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) verpflichtet. Wie das UN-Flüchtlingskommissariat UNHCR in einer Pressemeldung feststellt, sieht diese eine wie von Griechenland angekündigte Aussetzung von Asylanträgen nicht vor. Direkte Rückführungen in die Türkei oder Herkunftsländer würden auch gegen das Non-Refoulement Gebot des Art. 33 GFK (Genfer Flüchtlingskonvention) verstoßen.
Keine Kriminalisierung wegen einer "illegalen Einreise"
Art. 31 GFK sieht zudem vor, dass Flüchtlinge nicht wegen einer illegalen Einreise kriminalisiert werden sollen. Denn oft stehen fliehenden Menschen eben keine legalen Einreisewege zur Verfügung. Trotzdem wurden gerade erst 17 Afghanen in Griechenland wegen illegalem Grenzübertritt zur dreieinhalb Jahren Haft verurteilt.
Kontrolle von Grenzen immer unter Achtung der Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK)
Die griechische Regierung und andere Politiker*innen beziehen sich auf ein kürzlich ergangenes Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) bezüglich der spanischen Abschiebungspraxis nach Marokko (Klage von N.D. und N.T. gegen Spanien), um direkte Zurückweisungen von Griechenland in die Türkei zu rechtfertigen. Eine solche Argumentation beruht auf einer falschen Interpretation des Urteils. So ernüchternd dieses Urteil ist, es erlaubt nicht die Push-Backs von Griechenland in die Türkei. Dies gilt schon allein, weil auch das Verbot der Folter (Art. 3 EMRK) zum Tragen kommt, welches im Fall N.D. und N.T. nicht besprochen wurde.
Art. 3 EMRK gilt absolut, auch dann, wenn Personen "illegal" einreisen und zwar egal auf welche Weise. Schutzsuchende müssen an der Grenze Zugang zu einem individuellen Verfahren haben, in dem geprüft wird, ob sie schutzbedürftig sind und ob eine Zurückweisung im Einzelfall gegen Art. 3 EMRK verstößt. Der Menschenrechtsgerichtshof stellt selbst in dem umstrittenen Urteil fest, dass die Vertragsstaaten die Kontrolle ihrer Grenzen im Einklang mit der Menschenrechtskonvention organisieren müssen, insbesondere unter Achtung des Non-Refoulement- Prinzips. Eine direkte Rückführung einer schutzsuchenden Person in ein Drittland oder in ihr Herkunftsland, ohne Prüfung ob eine Art. 3 EMRK-Verletzung droht, ist also eindeutig rechtswidrig und mit der EMRK nicht vereinbar.