Quelle: Friedrich-Ebert-Stiftung
Ein Viertel der Menschen in Deutschland hat eine Einwanderungsgeschichte. In den Behörden spiegelt sich diese Vielfalt bisher aber kaum wider. Denn hier sind es gerade einmal sechs Prozent der Beschäftigten. Gleichzeitig steht die öffentliche Verwaltung vor beispiellosen personellen Veränderungen: wie die Daten des Mikrozensus 2016 zeigen, wird bis 2036 über die Hälfte aller dort Beschäftigten in den Ruhestand eintreten (Mikrozensus 2016). Damit ergibt sich für die kommenden Jahre ein enormer Fachkräftebedarf. Vor diesem Hintergrund hat die Friedrich-Ebert-Stiftung das Deutsche Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung (DeZIM e.V.) mit der Erstellung einer Studie beauftragt. Nun liegt "Ein Zeitfenster für Vielfalt: Die Interkulturelle Öffnung der Verwaltung" vor. Im Interview sprechen zwei der Autor_innen der neuen FES-Studie, Dr. Anne-Kathrin Will und Professorin Magdalene Nowicka, über ihre Erkenntnisse.
Frau Dr. Will, Frau Professorin Nowicka: Warum ist es überhaupt wichtig, wer in der öffentlichen Verwaltung arbeitet und wer nicht?
Nowicka: Die Öffentliche Verwaltung hat eine besondere Stellung in der Gesellschaft – sie repräsentiert Interessen aller Bürger_innen, unabhängig von deren Zugehörigkeit zu einer Gruppe, die durch Merkmale wie Alter, Geschlecht, Ethnie oder Religion definiert wird. Die Legitimation und Glaubwürdigkeit der Politik hängen davon ab, wie gut die öffentliche Verwaltung dieses Prinzip erfüllt. Andererseits darf der Staat niemanden diskriminieren und muss daher den gleichen Zugang zur Positionen innerhalb der Öffentlichen Verwaltung allen Bürger_innen garantieren. Das sind die Prinzipien des Konzepts einer sogenannten repräsentativen Bürokratie, die mehrere Wissenschaftler_innen bereits seit den 1970er beschreiben. Der offene Zugang zu Ämtern und Stellen in der Öffentlichen Verwaltung wird als ein demokratisches Recht verstanden.
Will: Das Grundgesetz wird seit 10 Jahren dazu durch das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz ergänzt. Dennoch sehen wir eine deutliche Unterrepräsentanz von Beschäftigten mit Migrationsgeschichte, vor allem in den Leitungsebenen. Das trifft zum Beispiel aber auch auf Frauen zu. In beiden Gleichbehandlungsfeldern und auch bei der Inklusion von Menschen mit Behinderungen sind einige Verwaltungen schon sehr aktiv, aber eben nicht alle Verwaltungen und nicht alle in gleichem Maße. Das zeigt unsere Studie deutlich.
Wer sollte Ihrer Meinung nach die Studie lesen und warum?
Nowicka: Die Studie ist vor allem für die Entscheidungsträger_innen in der Politik und insbesondere in den öffentlichen Verwaltungen wichtig. Diejenigen, die die Einstellungsstrategien bestimmen und umsetzen, wird sicherlich interessieren, welche Instrumente auf der Bundes-, Länder und kommunaler Ebene in den Verwaltungen bereits eingesetzt werden. Die Studie analysiert außerdem, wie die befragten Personalverantwortlichen und Integrationsbeauftragten ihre Strategien begründen, mit denen sie den Anteil von Personen mit Migrationshintergrund erhöhen wollen. Diese kritische Diskussion ist für weitere Leser_innen, beispielsweise in der Wissenschaft, relevant.
Will: Darüber hinaus ist die Studie auch für die Bereiche wichtig, die von der öffentlichen Hand finanziert werden wie z. B. die Wohlfahrtsverbände und für die die Verwaltung ein Vorbild ist. Und nicht vergessen werden darf die Bundesregierung selbst. Sie muss ihrer Verwaltung offiziell den Auftrag erteilen, sich für Beschäftigte mit Migrationshintergrund zu öffnen und dafür konkrete Vorgaben machen. Ohne einen solchen klaren Auftrag bleibt es bei individuellen Anstrengungen einzelner Behörden.
Was hat es mit dem Titel der Studie genau auf sich? Warum ist die Frage der Vielfalt in der öffentlichen Verwaltung gerade jetzt relevant?
Nowicka: Ab jetzt geht die so genannte Babyboomer-Generation in die Rente. Dadurch müssen viele Stellen in der öffentlichen Verwaltung in den kommenden Jahren neu besetzt werden. Diese Situation kann man als eine Chance sehen, den Anteil der Personen mit Migrationshintergrund in der öffentlichen Verwaltung zu erhöhen. Das ist aber nicht nur eine Aufgabe für die nächsten Jahre. Personen mit Migrationshintergrund stellen in Deutschland seit langem einen großen Teil der Bevölkerung dar. Mittelweile ist jede vierte Person in Deutschland selbst zugewandert oder gehört zur 2. Generation, d. h. einer oder beide ihrer Elternteile sind mit ausländischer Staatsangehörigkeit geboren worden.
Will: Wir gehen auch davon aus, dass sich Organisationen reproduzieren. Das heißt, wenn erstmal Menschen mit Migrationshintergrund in einer ausreichend großen Anzahl, d. h. ihrem Bevölkerungsanteil entsprechend, in Verwaltungen arbeiten und in Führungspositionen sind, dann wird automatisch Nachwuchs rekrutiert, der dieser neuen Zusammensetzung ähnlich ist. Zentral ist allerdings, dass benachteiligte Gruppen in Führungspositionen kommen.
Gab es Erkenntnisse im Erarbeitungsverlauf, die Sie überrascht haben? Wenn ja, welche?
Nowicka: Ich hätte erwartet, dass Verwaltungen tiefgreifende und umfangreiche Strategien zur Erhöhung der Beschäftigung von Personen mit Migrationshintergrund erarbeiten, um Diskriminierungen zu verhindern oder zumindest einzudämmen. Viele der Instrumente, beispielsweise Ausbildungskampagnen, sind zeitlich begrenzt und ihre Wirksamkeit wird nicht systematisch geprüft. Und das, obwohl sich die Verantwortlichen sich des Problems bewusst sind und es auch ändern wollen.
Will: Mir war zum einen nicht klar, dass die sogenannte Ermutigungsklausel – also in Stellenausschreibungen zum Beispiel den Satz "Wir begrüßen ausdrücklich Bewerbungen von Menschen mit Migrationshintergrund" einzufügen – häufig ohne weitere Maßnahmen angewandt wird. Hier hätte ich erwartet, dass es Überlegungen gibt, wie Menschen mit Migrationshintergrund dann auch eingestellt werden, wenn sie schon zur Bewerbung aufgefordert werden. Zum anderen war mir neu, dass viele Personalverantwortliche den Eindruck haben, das Grundgesetz mit Artikel 33, also der Auswahl nach "Eignung, Befähigung und fachliche[n] Leistung", stehe einer systematischen Einstellung von Menschen mit Migrationshintergrund entgegen. Hier wäre eine grundsätzliche und verbindliche Klärung für die Verwaltung hilfreich wie dem GG entsprochen wird und dennoch positive Maßnahmen ergriffen werden können.
Die Studie ist mit qualitativen Methoden erarbeitet worden. Warum wurde dieses Vorgehen gewählt und welchen Mehrwert sehen Sie in Abgrenzung zu quantitativen Studien, die ähnliche Fragestellungen beleuchten?
Nowicka: Mit Leitfadeninterviews und qualitativer Analyse von Integrationskonzepten können wir besser verstehen, was die Gesprächspersonen motiviert, konkrete Maßnahmen einzuführen und welche Argumente sie nutzen, wenn sie keine oder wenige Maßnahmen einführen. In vielen Interviews wurde beispielsweise die Kategorie "Migrationshintergrund" angesprochen. Wie komplex das Problem mit ihrer Anwendung in der Personalentwicklung ist, können wir nur deswegen nachvollziehen, weil wir offen gefragt haben. Eine quantitative Befragung hätte hierzu nur erfassen können, ob die Kategorie genutzt wird, aber nicht warum das der Fall ist oder eben nicht.
Will: Ich sehe in der Dichte des Materials eine große Stärke der Studie. Die ersten Rückmeldungen aus den Verwaltungen zeigen auch, dass sie sich darin wiedererkennen. Zudem ergänzt die Studie die Beschäftigtenbefragungen wie z. B. der quantitativen Befragung des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung (BiB) in der Bundesverwaltung. Wir haben mit den Personalverantwortlichen diejenigen befragt, die durch ihre Auswahlprozesse die Beschäftigtenstruktur prägen. Ihre Auffassungen und wahrgenommenen Sachzwänge zu kennen, ist wichtig, um Handlungsbedarfe zu identifizieren. Im Zusammenspiel von qualitativer und quantitativer Forschung erhalten wir ein umfassendes Bild vom derzeitigen Stand der Öffnungsprozesse in Verwaltungen.
Derzeit wird auf Bundesebene am so genannten "Nationalen Aktionsplan Integration" gearbeitet. Ein Teilbereich dieses Plans ist auch das Thema der interkulturellen Öffnung der Bundesverwaltung. Vor dem Hintergrund der Erkenntnisse aus der Studie: Was gilt es zu beachten, damit in diesem Teilbereich auch tatsächlich Fortschritte erzielt werden?
Will: Der Bund ist wichtiges Vorbild und gleichzeitig hat er einiges aufzuholen, denn viele Kommunen und einige Länder haben bereits viele Erfahrungen gesammelt. Hier muss ein Transfer ermöglicht werden, sodass der Bund das Rad nicht neu erfinden muss, ohne sich in seinen Kompetenzen eingeschränkt zu sehen. Davon profitieren dann gleichzeitig auch die Verwaltungen in Ländern und Kommunen, die ebenso wie der Bund noch nicht so erfahren mit Öffnungsprozessen in Verwaltungen sind. Grundsätzlich muss aber auch eine klare Entscheidung für alle Bundesbehörden getroffen werden mit einem konkreten Ziel, wie hoch die Zahl der Beschäftigten mit Migrationshintergrund sein und bis wann dieses Ziel erreicht sein soll. Das kann nur die Bundesregierung entscheiden. Der Nationale Aktionsplan Integration kann hier ein deutliches Zeichen setzen. Ein klares Ziel steht für die Bereitschaft der staatlichen Strukturen, die Integrationsleistungen Zugewanderter und ihrer Nachkommen anzuerkennen und selbst Integrationsleistungen in Form eines Organisationswandels zu erbringen.