Die Ampelkoalition will die Einbürgerung nichtdeutscher Mitbürger*innen erleichtern. Oder zumindest Teile davon. Gedanken zu den abstrusen Diskussionen um die Reform des Staatsbürgerschaftsrecht von einem, der das Ganze vom Spielfeldrand aus beobachtet. Denn er besitzt die Staatsbürgerschaft (noch) nicht.
Ich lebe seit elfeinhalb Jahren in Deutschland und besitze die deutsche Staatsbürgerschaft nicht. Die bürokratischen Hürden für die Einbürgerung sind nur ein Grund dafür, dass ich mich bisher nicht um die Einbürgerung bemüht habe. Dass sich die Ampel vorgenommen hat, Deutschland zum modernen Einwanderungsland zu machen, freut mich. Zugleich ist dieser Schritt schlicht notwendig, nimmt man die Prognosen auch nur halbwegs ernst, dass Deutschland jedes Jahr mehrere hunderttausend Zuwanderer benötigt. Um seine Wirtschaft am Laufen zu halten, und sein Rentensystem am Leben. Die geplanten Vereinfachungen bei der Einbürgerung sind also keinesfalls selbstlose Maßnahmen. Sie dienen dazu, Deutschland für potenzielle Zuwanderer attraktiver zu machen.
Bleiben Deutsche lieber unter sich?
Umso verwunderlicher ist es, dass gerade die drei Parteien, die sich ansonsten am meisten um die Attraktivität des Wirtschaftsstandorts Deutschland sorgen – CDU, CSU und FDP – nun mit harter Bandage gegen die Pläne mobil machen. Die CSU-Landesgruppenchef Dobrindt verwehrt sich gegen eine "Verramschung" der deutschen Staatsbürgerschaft, CDU-Vorsitzender Merz will die "wertvolle" deutsche Staatsbürgerschaft vor Missbrauch schützen. Und die FDP wendet sich gegen ihr eigenes, im Koalitionsvertrag vereinbartes Vorhaben, da sie eine Entwertung der deutschen Staatsbürgerschaft befürchtet. Alle drei Parteien warnen zudem vor der ungezügelten Einwanderung in das deutsche Sozialsystem.
Bei mir, der als Nicht-Deutscher die Debatte eher vom Spielfeldrand aus beobachtet, kommen diese Argumente nicht sonderlich gut an. Im Gegenteil. Was bei mir hängen bleibt: Die Deutschen – oder zumindest lautstarke Teile von ihnen – wollen lieber unter sich bleiben. Sie sehen Zuwanderung prinzipiell skeptisch und unterstellen den Zuwandernden erstmal eine schlechte Absicht: das Ausnutzen von Privilegien, die ihnen einfach nicht zustehen. Zur Klarstellung: Auch ohne deutschen Pass bin ich schon längst ins deutsche Sozialsystem eingewandert. Ich zahle hier seit neun Jahren Steuern, trage zum Erhalt des Gesundheits- und Rentensystem bei – so wie Millionen andere ausländische Staatsangehörige, die in Deutschland leben und arbeiten. Wie sie habe ich aber kein Recht, bei Bundestags- oder Landtagswahlen die Parteien zu unterstützen, die diesen Beitrag anerkennen, anstatt tiefsitzende Ressentiments in der heimischen Bevölkerung zu schüren.
Ich weiß, mit ihrer Polemik zielen Herr Merz, Herr Dobrindt oder Herr Dürr in der Debatte um eine Reform des Staatsbürgerrechts nicht primär auf mich. Aber sie treffen mich doch. Indem sie sich herausnehmen festzulegen, wer ein guter und wer ein schlechter Ausländer ist, wer Deutschland nützt und wer Deutschland ausnützt, fühle ich mich abgewertet und hilflos. Denn die Entscheidung, auf welcher Seite ich stehe, ob ich der deutschen Staatsbürgerschaft würdig bin oder nicht, treffen andere. Und das anhand völlig willkürlicher, sachlich nicht begründeter Kriterien.
Einbürgerung gegen Abschiebung?
Besonders krude ist das Argument der FPD, eine Erleichterung der Einbürgerung werde es nur geben, wenn zugleich die Zahl der Abschiebungen und Rückführungen gesteigert werde. Ich bekomme also nur einen deutschen Pass, wenn eine andere Person nach Pakistan abgeschoben wird? Was soll das denn? Denkt die FPD, sie müsse Deutschland von "schlechten" Ausländern säubern, um Platz für die "guten" zu machen? Es tut mir leid für die FDP, aber mit dieser Denke wird Deutschland niemals genügend Fachkräfte aus dem Ausland gewinnen können, was die Liberalen sonst ständig fordern. Denn ebenso wie es gute Gründe gibt, warum Menschen nach Deutschland fliehen, gibt es auch es gute Gründe, warum Menschen nicht abgeschoben oder rückgeführt werden können. Etwa weil sie schwer krank sind, oder aufgrund der schlechten Sicherheitslage im Herkunftsland. Überhaupt ist die Zahl der Menschen, die ausreisepflichtig und nicht geduldet sind, in Deutschland gering. Im Jahr 2020 waren es gerade einmal 45.000 Menschen – um ein Vielfaches weniger als die Zahl der Menschen, die die Bundesregierung jährlich als Pflegekräfte, Ärzte, Ingenieure und Wissenschaftler nach Deutschland locken möchte. Bisher macht sie das mit wenig Erfolg.
Es gibt Ausländer*innen, die braucht Deutschland. Und es gibt Ausländer*innen, die brauchen Deutschland – als Zufluchtsort. Anstatt all diesen Menschen eine Brücke anzubieten und Deutschland als modernes, offenes Einwanderungsland zu präsentierten, zerstören CDU, CSU und FDP mit ihren aktuellen Debattenbeiträgen diese Brücke. Das Gefühl, das sich bei mir einstellt: Fremdheit. Meine Lust, mich einbürgern zu lassen, hat in den letzten Tagen einen massiven Dämpfer erfahren.
Dieser Text erschien zuerst am 29. November 2022 bei Brot für die Welt.
Dr. Andreas Grünewald ist Referent für Migration bei Brot für die Welt