Ein Beispiel für Empowerment: Der Sinti Power Club

Ein Beispiel für Empowerment: Der Sinti Power Club
Der Verein leistet Aufklärungsarbeit macht die Stärken von Minderheitenangehörigen sichtbar
Natalie Reinhardt

Junge Menschen werden stärker wahrgenommen in der Vielfaltsgesellschaft. Haben sie eine Migrationsgeschichte oder gehören sie einer Minderheit an, erfahren sie jedoch weiterhin Benachteiligung, Rassismus, Hass. Es ist die Aufgabe von Politik und Gesellschaft, junge Menschen zu unterstützen, damit die ihre Interessen selbstbestimmt, eigenmächtig und wirksam vertreten können, damit sie gesellschaftlich und politisch teilhaben können. Der Begriff "Empowerment" bezeichnet Maßnahmen und Strategien, die genau das erreichen wollen. Ein Beispiel für eine Empowerment-Initiative ist der Sinti Power Club in Ravensburg.

Sinti? Roma? Quer durch alle Bildungs- und Gesellschaftssphären hindurch bis in die Medienlandschaft hinein bleiben für viele Menschen noch Fragezeichen, wenn es um Grundbegriffe und Basiswissen rund um das Thema Sinti und Roma geht. Sinti und Roma leben seit fast 700 Jahren in Deutschland. Selten spricht man mit uns – und falls man über uns spricht, werden wir oft als Menschen mit Integrationsbedarf gesehen, als Fremde im eigenen Land. Klischees bilden immer noch die Grundlage, auf der über Sinti und Roma gesprochen und vor allem gedacht wird. Vorurteile gibt es viele, ihre Auswirkungen im Alltag sind schlimm. Wir tragen dazu bei, dass sich daran etwas ändert.

Wenig Wissen über Sinti und Roma in der Mehrheitsgesellschaft

Das Projekt "Sinti Powerbotschafter" wurde 2020 über das Bundesprogramm "Demokratie leben!" gefördert und ist 2022 als "Sinti Powerbotschafter 2.0" zusätzlich Teilprojekt von "Sinti Power – Ummenwinkel vom Stadtteil zum Teil der Stadt", das von der Baden-Württemberg Stiftung gefördert wird. Wir stellen darin Menschen aus der Community eine Möglichkeit zur Verfügung, über ihr Thema aufzuklären und daran selbst zu wachsen. Dazu bieten wir Multiplikatoren-Workshops an und setzen den Begegnungs- und Aufklärungsansatz des Projekts empowernd um. Das Angebot richtet sich einerseits an Sinti und Roma, die einen Workshop halten möchten, und andererseits an Menschen, die gerne eine authentische Einführung in das Thema erhalten wollen.

Das Projekt entwickelt sich aus einem echten Bedarf heraus: In Schulen und Vereinen, Jugendgruppen und Kirchen trifft man als Angehörige*r der Minderheit oft auf Menschen, die nur sehr wenig über Sinti und Roma wissen, rassistische Begriffe verwenden oder Stereotype verbreiten. Häufig stehen Sinti und Roma dann etwas hilflos da, müssten sie doch einen ganzen Themenblock behandeln, um dieses Gemisch aus Vorurteilen und Halbwissen aus dem Weg zu räumen.

Viele treten mit ihrer kulturellen Identität nicht an die Öffentlichkeit, weil sie Benachteiligungen fürchten

Schüler*innen aus der Minderheit kennen außerdem die Situation, im Unterricht mit antiziganistisch konnotierten Bildern und Beschreibungen konfrontiert zu werden. Als "Verhandelte" nicht aktiv von der eigenen Deutungshoheit Gebrauch machen zu können, empfinden viele Betroffene auch bei gutem Sachinhalt als Entmündigung, denn wir blicken auf eine Geschichte zurück, in der Fremdbilder über die Minderheitengruppen in Kunst, Literatur und rassistischer Forschung die Grundlage antiziganistischer Begriffe und Zuschreibungen und Ausgrenzung bildeten. Sich davon zu lösen, die Deutungshoheit über sich selbst klar in den Fokus zu stellen und gleichzeitig mit der Botschaft aufzutreten, dass unsere kulturelle Identität eine Stärke ist, sind Anliegen des Projekts.

Logo Powerbotschafter
© Sinti Power Club

Viele treten mit ihrer kulturellen Identität nicht an die Öffentlichkeit, weil sie Benachteiligungen fürchten. Leider treten diese auch häufig ein. Einen wichtigen Teil seiner selbst zu verleugnen, darf dennoch nicht die Lösung sein. Die "Mitte"-Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung bestätigt, was viele in ihrem Alltag erleben: Auch 2021 äußerte sich noch jeder Vierte der Befragten offen antiziganistisch. Wichtig ist es uns deshalb auch bei diesem Projekt, die Menschen aus der Community zu fördern und sie in ihrer Identität als Sinti und Roma zu bestärken, ihre Wahrnehmung mit dem Statement zu verbinden: Wir haben Power!

Der Antiziganismus als Phänomen der Mehrheitsgesellschaft, den wir nicht verursacht haben und in seiner Substanz und strukturellen Verflochtenheit nicht einfach ändern können, darf nicht unsere gesamte Projektarbeit im Wortsinne beherrschen. Dennoch tragen wir im Eigeninteresse unseren Teil dazu bei, ihn abzubauen. Wir unterstützen die notwendige Aufklärungsarbeit unter dem Aspekt des Empowerments: Sinti und Roma sollen von unseren Projekten profitieren und nicht erneut eine Bevormundung, Stigmatisierung oder Retraumatisierung erfahren.

Workshops eignen sich auch für die Interkulturelle Woche

Als Community- und Bildungsprojekt entwickelten wir daher eigenes Material, das vor allem junge Sinti und Roma nutzen können, um Workshops an ihren Bildungsstätten, aber auch in Vereinen oder Kirchengemeinden zu halten. In einem Multiplikator*innenkurs machen sich interessierte Sinti und Roma fit, um zukünftig als zertifizierte Sinti Powerbotschafter einen Workshop über die Sprache, Geschichte und Kultur der Sinti und Roma halten zu können. Kernstück ist ein 30-minütiger Vortrag, der in Kooperation und fachdidaktischer Begleitung mit Dr. Sven Rößler und Lukas Barth von der Pädagogischen Hochschule Weingarten entwickelt wurde.

Workshops eignen sich auch für die Interkulturelle Woche Als Community- und Bildungsprojekt entwickelten wir daher eigenes Material, das vor allem junge Sinti und Roma nutzen können, um Workshops an ihren Bildungsstätten, aber auch in Vereinen oder Kirchengemeinden zu halten. In einem Multiplikator*innenkurs machen sich interessierte Sinti und Roma fit, um zukünftig als zertifizierte Sinti Powerbotschafter einen Workshop über die Sprache, Geschichte und Kultur der Sinti und Roma halten zu können. Kernstück ist ein 30-minütiger Vortrag, der in Kooperation und fachdidaktischer Begleitung mit Dr. Sven Rößler und Lukas Barth von der Pädagogischen Hochschule Weingarten entwickelt wurde.

Der Vortrag wurde 2021 in verschiedenen Workshops erprobt und war das schulische Begleitmaterial der Ausstellung "Ausgrenzung und Verfolgung. Ravensburger Sinti im Nationalsozialismus" in Ravensburg. Auch bei der Demokratiekonferenz in Berlin 2021 erhielten Jugendliche und erwachsene Multiplikator*innen aus anderen Themenbereichen in den Workshops wichtige Basisinformationen, die anschließend vertieft werden konnten. Das Material eignet sich auch gut für einen fachübergreifenden oder vorbereitenden Einsatz an Schulen – auch im Rahmen der Interkulturellen Woche. Man kann im Anschluss an den Vortrag historische, politische oder kreative Vertiefungen vorsehen.

Für einen TV-Beitrag in der WDR-Sendung "neuneinhalb" im KiKa wurde ein Powerbotschafter durch den Workshop begleitet, an dessen Ende die Teilnehmer*innen unter anderem Aspekte ihrer Identität mit Pinsel und Farbe gestalten und so festhalten konnten, dass Persönlichkeit nicht auf eine kulturelle Herkunft reduziert werden kann und die Bedeutung von Aspekten der Identitätssäulen individuell variiert.

Kinder und Jugendliche müssen lernen, wie sie sich gegen Antiziganismus wehren können

Der Sinti Powerclub e. V. organisiert Projekte, bietet Bildungs- und Multiplikator*innenberatung an und ist für die Begegnungs- und Gedenkkultur auf Landesebene zuständig. Der gemeinnützige Verein von und für Sinti mit Sitz in Ravensburg ist seit 2022 an den Zentralrat Deutscher Sinti und Roma angeschlossen und als Landesvertretung in Baden-Württemberg zuständig.

In unserer Bildungsarbeit gestalten wir Bildungsinhalte mit und unterstützen junge Menschen aus der Community auf ihrem Weg zu einer erfolgreichen Bildungsbiografie. Damit dies gelingen kann, braucht es angst- und diskriminierungsfreie Lernräume, sensibilisierte Lehrkräfte und aufgeklärte Mitschüler*innen. Unser Logo veranschaulicht, dass wir uns gegenseitig den Rücken stärken. Wir wollen in dieser Welt ein Licht sein, so wie Jesus es uns aufgetragen hat, dabei mit offenen Armen die Gesellschaft zum Positiven verändern und uns selbst dabei nicht außen vorlassen.

Weitere Informationen

Natalie Reinhardt organisiert seit 21 Jahren die Kinder- und Jugendarbeit in Ummenwinkel, wo die Stadt Ravensburg 1937 ein "Zigeunerlager" errichtete, in dem rund 100 Sinti interniert wurden. Reinhardt hat an der Pädagogischen Hochschule Weingarten studiert und leitet den Sinti-Powerclub.

Kontakt: powerclub@sinti-rv.de

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