Die Zivilgesellschaft ist eine zentrale Kooperationspartnerin in der kommunalen Integrationsarbeit. Ohne das Engagement der Zivilgesellschaft wäre 2015 vielerorts die rasche Aufnahme von Schutzsuchenden undenkbar gewesen. Bei der Weiterentwicklung von kommunalen Integrationsstrukturen ist die Mitwirkung zivilgesellschaftlicher Akteure heute weiterhin von großer Bedeutung. Und das gilt für große Städte genauso wie für kleinere, ländlichere Gemeinden.
Drehen wir die Uhren zunächst fünf Jahre zurück. Die Ankunft von Schutzsuchenden in Deutschland stellte die Verwaltungen des Bundes, der Länder und der Kommunen auf eine Belastungsprobe. Gerade für kleinere Städte und Gemeinden war es häufig das erste Mal, dass sie sich mit den Themen Flucht und Asyl auseinandersetzen mussten. In Zeiten, in denen sich viele lokale Verwaltungen zunächst vorwiegend um die Unterbringung und unmittelbare Versorgung der Angekommenen kümmerten, waren es häufig die Ehrenamtlichen vor Ort, die Teilhabestrukturen auf den Weg brachten: Sie organisierten zeitnah Sprachkurse und Begegnungstreffen, fungierten als Ansprechpersonen für Fragen des täglichen Lebens oder boten bei Verwaltungsgängen ihre Unterstützung an – auch im Rahmen der Interkulturellen Woche stieg die Zahl solcher (und vieler weiterer) Angebote sprunghaft an.
In der Zwischenzeit entwickelten Kommunalverwaltungen vielerorts integrationspolitische Strukturen (weiter). Integrationsbeauftragte oder -koordinator*innen gibt es längst nicht mehr nur in den großen Städten; immer mehr Kommunen entscheiden sich dafür, ein Integrationskonzept zu entwickeln. Andere strukturieren die Verwaltung um, beispielsweise durch die Einrichtung einer spezifischen Einheit für Integrationsfragen.
Solche Entwicklungen sind jedoch längst nicht überall zu beobachten. Aus den Forschungsdaten der Arbeitsgruppe Migrationspolitik an der Universität Hildesheim ist ersichtlich, dass gerade kleinere kreisangehörige Kommunen weiterhin eher zurückhaltend sind. Und auch wenn es vor Ort grundsätzlich Bestrebungen für eine aktive Integrationspolitik gibt, werden engagierte Akteure häufig mit rechtlichen wie strukturellen Herausforderungen konfrontiert: einem komplizierten Zuständigkeitsgeflecht zwischen unterschiedlichen föderalen Ebenen einerseits und fachlichen Verantwortungsbereichen anderseits. Dazu kommen enge finanzielle Spielräume und – außerhalb der urbanen Ballungsräume – ländliche Infrastrukturen. Wie kann die Zivilgesellschaft vor diesem Hintergrund dazu beitragen, Integrationspolitik vor Ort zu verbessern?
Kontra #1: "Wir sind nicht zuständig"
Bei der Integration von Geflüchteten bewegen sich Städte und Gemeinden in einem komplexen Zusammenspiel von Zuständigkeiten, das mitunter Unsicherheit bei den Kommunen hervorruft. Das gilt sowohl für die vertikale Ebene – die Aufteilung der Zuständigkeiten zwischen Bund, Ländern und Kommunen – als auch für die horizontale Ebene – die Arbeitsteilung zwischen verschiedenen Ämtern derselben Kommune. Die vertikale Aufgabenteilung sieht einerseits Aufgabenbereiche vor, die direkt von Bundes- oder Landesbehörden ausgeführt werden. Darunter fallen beispielsweise die Entscheidungen über den Asylantrag, die in Außenstellen des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) getroffen werden.
Andere Bereiche, etwa die Umsetzung des Aufenthaltsgesetzes oder die Unterbringung und Gewährung von Sozialleistungen, werden auf die kommunale Ebene delegiert und müssen von den Kommunen im Rahmen von weisungsgebundenen Pflichtaufgaben oder Pflichtaufgaben der Selbstverwaltung ausgeführt werden. Und wieder andere Aufgaben befinden sich ausschließlich in der Hand der Kommunen: bei freiwilligen Aufgabenbereichen, wie beispielsweise der Koordination von Ehrenamtlichen oder der Organisation von zusätzlichen Sprachkursen, kann die Kommune frei entscheiden, ob und inwiefern sie tätig wird.
"Die Zivilgesellschaft kann den Kommunen dabei helfen, Spielräume zu erkennen."
Gerade bei kleineren Gemeinden lässt sich anhand der Daten der Arbeitsgruppe ablesen, dass sich die Verwaltung häufiger auf die formalen Zuständigkeiten beruft, insbesondere die Unterbringung – die aktive Gestaltung von Integrationspolitik jedoch bei anderen Instanzen verortet. Eingeschränkte Spielräume scheinen tendenziell eher einen Anreiz zur Ablehnung als zur Übernahme von Verantwortung zu schaffen. Obwohl sich zahlreiche Kommunen auf fehlende Spielräume berufen, zeigt die Forschung, dass diese dennoch existieren. Die Zivilgesellschaft kann den Kommunen dabei helfen, diese Spielräume zu erkennen.
Des Weiteren können zivilgesellschaftliche Akteure dazu beitragen, lokale Prioritäten zu verschieben. Ehrenamtliche, lokale Initiativen, Vereine und Verbände sind nicht selten diejenigen, die ganz dicht an den Personen dran sind, die von den Maßnahmen des Bundes und des Landes angesprochen werden. Sie wissen, welche Bedarfe es vor Ort gibt und wo sich Fallstricke befinden. Sie können wichtige Hinweise darauf geben, welche Formate praktikabel sind und welche eher weniger. Um Bedürfnissen vor Ort gerecht werden zu können, ist ihr Input bei der Entwicklung von zusätzlichen kommunalen Angeboten maßgeblich. Regelmäßige Austauschtreffen oder Runde Tische können den Informationsfluss zwischen Verwaltung und zivilgesellschaftlichen Akteuren sicherstellen. In diesen Runden können ebenfalls notwendige Anpassungen oder Neuausrichtungen von Bundes- oder Landesprogrammen kommuniziert werden und über die Kommunalverwaltung an höhere Ebenen weitergereicht werden.
Auch die horizontale Aufgabenverteilung innerhalb derselben Kommune kann eine Herausforderung für die Entwicklung eines kohärenten lokalen Ansatzes darstellen. Selbst wenn es auf lokaler Ebene Bestrebungen für eine aktive Integrationspolitik gibt, kann die unterschiedliche Handlungslogik verschiedener Ämter unter Umständen der Schaffung neuer Strukturen oder der Weiterentwicklung bestehender Strukturen entgegenstehen. Nicht selten prallen sozialpolitische und ordnungspolitische Ansätze aufeinander.
Die Zivilgesellschaft kann sich aktiv in diesen Aushandlungsprozess einbringen. Als neutrale Partei kann sie beispielsweise die Prozesse zwischen den beteiligten Behörden moderieren und auf die Herbeiführung einer Lösung dringen. Durch ihre bewusste Beteiligung in Steuerungsrunden kann die Schaffung neuer Strukturen oder die Weiterentwicklung und Professionalisierung bestehender Strukturen vorangetrieben werden. In den vergangenen Jahren wurden in zahlreichen Kommunen Prozesse angestoßen, migrationsbezogene Aufgaben unter einem Dach zu bündeln. Zivilgesellschaftliche Akteure können diesen Prozess unterstützen, indem sie auf eine Balance zwischen Ressorts aus dem pflichtigen Aufgabenbereich – Aufenthalt, Unterbringung und Existenzsicherung – und den freiwilligen Maßnahmen der Integrationsförderung dringen.
Kontra #2: "Es fehlen die nötigen Ressourcen"
Neben dem rechtlichen Rahmen stellen auch strukturelle Rahmenbedingungen einen wichtigen Referenzpunkt für viele Kommunen dar, allen voran die finanzielle Situation und die Ländlichkeit. Steht die Kommune grundsätzlich finanziell nicht gut da, sind auch Gelder für die Integrationsarbeit knapp. Jedoch treten immer wieder Kommunen hervor, die trotz einer weniger guten Haushaltslage sehr aktiv in ihrer Integrationspolitik sind.
Wichtiger als die tatsächliche Situation erscheint die Wahrnehmung der lokalen Bedingungen. Ob finanzielle Mittel für Maßnahmen oder Strukturen, etwa für die Schaffung von erforderlichen Stellen aus kommunalen Mitteln, fließen, hängt somit auch vom politischen Willen ab.
"Wichtiger als die strukturellen Bedingungen selbst erscheint der lokale Umgang damit."
Ähnliches gilt für das Argument der vergleichsweise schlechteren Infrastruktur in ländlicheren Räumen. Mobilität stellt hier auch ganz unabhängig von der Arbeit mit Schutzsuchenden häufig eine Herausforderung für die Bevölkerung dar. Für Geflüchtete und Personen, die in der Integrationsarbeit tätig sind, ist sie ein ständiger Begleiter: Ämter und Beratungsstrukturen decken häufig einen großen Radius ab; der öffentliche Nahverkehr dorthin verkehrt jedoch nur unregelmäßig. Solche strukturellen Bedingungen erschweren ohne Frage die lokale Integrationsarbeit.
Gleichzeitig muss ein vermeintlicher Nachteil nicht zwangsläufig zu einer weniger ausgeprägten kommunalen Integrationsarbeit führen. Eine schlechte Anbindung kann beispielsweise durch ehrenamtliche Fahrdienste, mobile Sprechstunden und durch den persönlichen Kontakt zwischen Politik und Wirtschaft ausgeglichen werden. Wichtiger als die strukturellen Bedingungen selbst erscheint auch hier der lokale Umgang damit.
Zivilgesellschaftliche Akteure können dazu beitragen, lokale Deutungsmuster zu betonen, die den Blick auf strukturelle Bedingungen verändern: Dies können beispielsweise humanitäre Überzeugungen sein. Ebenfalls als geeignet können sich demografische und ökonomische Argumente erweisen, die eine aktive Integrationspolitik mit den Zielen und Bedürfnissen der Kommune in Verbindung bringen – in ländlicheren Regionen zum Beispiel Bestrebungen gegen Abwanderung.
Fazit
Zivilgesellschaftliche Akteurinnen und Akteure waren nicht nur 2015 von großer Bedeutung für die lokale Integrationsarbeit; sie können auch heute einen wichtigen Beitrag zur Verbesserung lokaler Integrationspolitik leisten. Ihre fachliche Expertise aus der Praxis sollte bei der Entwicklung neuer Programme von der Verwaltung auf allen Ebenen strukturiert eingebunden werden. Als neutrale Partei können sie bei Zuständigkeitskonflikten der Behörden moderieren. Und nicht zuletzt kann ihr lösungsorientierter Pragmatismus lokale Deutungsmuster betonen, die den Blick auf strukturelle Herausforderungen verändern.
Dieser Text ist erschienen im Materialheft zur Interkulturellen Woche 2020, das Sie hier anschauen können.
Franziska Ziegler ist wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Arbeitsgruppe Migrationspolitik an der Universität Hildesheim. Sie forscht dort u.a. zu lokaler Integrationspolitik im Projekt "Zwei Welten? Integrationspolitik in Stadt und Land". Der Abschlussbericht erschien im Mai 2020.
Kontakt: franziska.ziegler@uni-hildesheim.de