Damit aus dem Traum Realität wird

Damit aus dem Traum Realität wird
Die Beratung von Geflüchteten zur Integration in den Arbeitsmarkt ist immens wichtig – und kompliziert
Patricia Reineck

Es braucht Mut, sich Mitte 30 nochmal für eine ganz neue berufliche Richtung zu entscheiden. Erneut die Schulbank zu drücken, um sich in einer so anspruchsvollen Tätigkeit wie der Pflege alter Menschen ausbilden zu lassen. Zumal, wenn man dies in einem Land tut, in das man erst vor einigen Jahren geflohen ist, dessen Sprache man eben erst lernt und in dem man noch mit vielen anderen alltäglichen Herausforderungen der Integration konfrontiert ist. Charly Elanga (Name geändert), von Beruf eigentlich Maler und gebürtiger Kameruner, hat sich dennoch für diesen Weg entschieden.

"Es ist mir sehr wichtig, mich hier in Deutschland beruflich zu qualifizieren. Da ich Mitte 30 bin und mit meiner Frau zwei kleine Kinder habe, möchte ich jedoch keine sehr lange Ausbildungsphase mehr haben", sagt er. Bei mehreren Praktika in der Altenpflege hat Elanga gemerkt, dass ihm die Arbeit liegt und sich daher entschieden, eine Ausbildung als Altenpflegehelfer anzufangen.

Gemeinsam navigieren

Die Unterstützung von Menschen wie Charly Elanga in ihrer beruflichen Integration in der sozialen Arbeit gestaltet sich dabei wie ein gemeinsames Navigieren. Um eine berufliche Perspektive für sich zu entwickeln, ist dabei zunächst Orientierungshilfe bei der Wahl des Berufswunsches gefragt. Hier könnten Beratungsstellen, wie die des Caritasverbandes Freiburg-Stadt e. V. unterstützen. Die meisten erwachsenen Geflüchteten haben berufliche Erfahrung, eine Berufsausbildung oder sogar ein Studium in ihrer Heimat absolviert, ein direktes Anknüpfen an ihre frühere Tätigkeit ist aber selten möglich. Dies liegt nicht allein daran, dass sie zunächst gute Kenntnisse der deutschen Sprache erwerben müssen. Es hängt auch damit zusammen, dass die Berufslandschaft in Deutschland stark ausdifferenziert und spezialisiert ist. Allein im dualen Ausbildungsbereich existieren über 300 verschiedene Ausbildungsberufe.

In Ländern, aus denen Geflüchtete kommen, sind Berufe, Tätigkeitsbereiche und auch Ausbildungsformate häufig anders strukturiert als in Deutschland. In der Beratung bedeutet dies, genau zu schauen, welche formale oder non-formale Berufsausbildung oder -erfahrung jemand mitbringt, welche Kompetenzen eine Person hat und wie auf diese hierzulande aufgebaut werden kann. So hat Charly Elanga beispielsweise zwar jahrelang als Maler gearbeitet, diesen Beruf in Kamerun jedoch bei der Arbeit gelernt und keinen formalen Berufsabschluss erworben, was häufig der Fall ist. Wie bei Elanga können Praktika helfen, eine konkretere Vorstellung von Tätigkeitsbereichen in Deutschland zu bekommen und auch die eigenen Interessen und Kompetenzen besser einzuschätzen.

Im Blick haben, was möglich und realistisch ist

Nicht jeder Wunschberuf, der sich herauskristallisiert, ist jedoch realistisch umsetzbar. Daher bedeutet Beratung zur beruflichen Integration auch, mit den Geflüchteten im Blick zu haben, ob beispielsweise die schulische Vorbildung und das Sprachniveau ausreichen, um den gewünschten beruflichen Weg erfolgreich meistern zu können und ob die Zugangsvoraussetzungen zu einer beruflichen Ausbildung erfüllt werden.

Für Elanga wäre dies eigentlich das Aus für seinen Berufswunsch gewesen. Für schulische und berufliche Ausbildungen im sozialen Bereich müssen die Bewerberinnen und Bewerber in der Regel einen in Deutschland anerkannten Schulabschluss vorweisen. Von seinem Schulbesuch in Kamerun hat er jedoch keinerlei Zeugnisse, die er in Deutschland prüfen lassen könnte. Die Herausforderung in der Beratung besteht dann darin, die Ausbildungs- und Qualifizierungslandschaft vor Ort gut zu kennen und vernetzt zu sein, um vielleicht doch noch Wege und Möglichkeiten zu finden. Von den Geflüchteten selbst verlangt dieser Prozess Geduld und Widerstandskraft. Glücklicherweise haben sich einige Altenpflegehilfeschulen in Baden-Württemberg bereits auf Menschen wie Elanga eingestellt und spezielle zweijährige Ausbildungsprogramme in der Altenpflegehilfe aufgelegt, in denen unter Umständen auch Personen ohne formalen Bildungsabschluss aufgenommen werden können.

Den Aufenthalt durch Arbeit oder Ausbildung sichern

Neben dieser beruflich-inhaltlichen Suche spielen in der Beratung natürlich auch das Informieren über die ausländerrechtlichen Vorgaben und die Rechte und Pflichten eine zentrale Rolle. Berufliche Integration und aufenthaltsrechtliche Perspektiven können eng verzahnt sein. Besonders deutlich wird dies bei der "3+2 Regelung": Wer keine Anerkennung im Asylverfahren erhalten hat, ausreisepflichtig ist, aber eine Ausbildung absolviert, kann während dieser eine sogenannte Ausbildungsduldung bekommen und ist somit während der Lehrzeit vor Abschiebung geschützt. Mit dem "Migrationspaket", das im Sommer 2019 beschlossen wurde, hat der Gesetzgeber neun neue Gesetze und zwei Verordnungen erlassen, die vielfältige Änderungen in den ausländer- und asylrechtlichen Vorgaben mit sich bringen und vor allem diejenigen betreffen, die keine positive Anerkennung im Asylverfahren erhalten haben.

Das Ausländerrecht wurde damit durch neue Fristen und Voraussetzungen noch komplexer, als es bisher schon ist. Für die Beraterinnen und Berater bedeutet dies eine intensive Einarbeitung in die zahlreichen neuen Vorgaben, um Geflüchtete möglichst umfassend und transparent informieren zu können. Mit der neuen Beschäftigungsduldung hat der Gesetzgeber eine Möglichkeit geschaffen, auch über eine Arbeit den Aufenthalt zu sichern. Die Hürden wurden jedoch sehr hoch gelegt, sodass voraussichtlich nur wenige Menschen von dieser Regelung profitieren werden.

Für Menschen mit Duldung wurden auch die Fristen und Pflichten konkretisiert, die sie bei ihrer Identitätsklärung erfüllen müssen, da sonst ein komplettes Arbeitsverbot durch den Erlass einer sogenannten "Duldung für Personen mit ungeklärter Identität" drohen kann. Identitätsdokumente wie Geburtsurkunden oder Reisepässe sind von vielen Ländern oft schwierig, manchmal gar nicht zu beschaffen. Solche Situationen sind für die Betroffenen frustrierend. Unverständlich scheint für die Menschen dann regelmäßig auch, warum sie für ihren Unterhalt nicht selbst durch eigenes Einkommen aufkommen dürfen, sondern der Staat ihnen die Leistungen zum Lebensunterhalt bezahlt. In der Beratung ist es eine große Herausforderung, die komplexen gesetzlichen Reglungen in möglichst einfache Sprache zu übersetzen und verständlich zu machen, welche Rechte und Pflichten gegeben sind.

Wie kann Ausbildung, Familie und Kinderbetreuung vereinbart werden?

Mit dem Migrationspaket hat der Gesetzgeber des Weiteren geregelt, dass künftig auch vor Abschiebung geschützt ist, wer eine Helfer- und Assistenzausbildung in einem Mangelberuf absolviert. Charly Elanga kommt diese neue Regelung zugute, denn die Ausbildung zum Altenpflegehelfer fällt hierunter. Um die Ausbildungsduldung zu erhalten, muss er sich jedoch verpflichten, nach der Helferausbildung noch die dreijährige qualifizierte Ausbildung zum Altenpfleger draufzusetzen. Ohne den dreijährigen Anschlussvertrag hat er keinen Schutz vor Abschiebung. Für Elanga eine schwierige Aussicht, denn dies bedeutet eine Ausbildungsphase von stattlichen fünf Jahren. Dabei hatte er sich wegen der Kinder und seiner Frau, die ebenfalls eine Ausbildung macht, eigentlich eine möglichst kurze Ausbildungsphase gewünscht.

So können die beruflichen Wünsche leicht daran scheitern, dass Familie, Kinderbetreuung und Ausbildung schlicht nicht unter einen Hut zu bringen sind oder finanziell eine zu große Belastung darstellen. Die neuen Gesetze bieten geflüchteten Auszubildenden erfreulicherweise mehr finanzielle und soziale Unterstützung durch Berufsausbildungsbeihilfe, aufstockende Leistungen oder ausbildungsbegleitende Nachhilfe. Auch hier ist die Beratung gefragt, die Betroffenen zu informieren und bei vielen verschiedenen Anträgen zu unterstützen.

Eine Route festlegen, die gemeistert werden kann

Die Herausforderung in der Beratung besteht somit darin, mit dem Menschen gemeinsam immer wieder einen ganzheitlichen Blick zu haben: auf die Stärken und Grenzen des Einzelnen, auf die Anforderungen des lebensweltlichen Umfelds, auf berufsspezifische Voraussetzungen und zuallererst auf die ausländerrechtlichen Möglichkeiten und Grenzen. So kann Beratung Geflüchtete dabei unterstützen, eine Route festzulegen, die auch erfolgreich gemeistert werden kann.

Charly Elanga hat im vergangenen Oktober tatsächlich seine Ausbildung zum Altenpflegehelfer begonnen und ist glücklich mit der Arbeit. Sein täglicher Zeitplan ist nun so eng getaktet und mit seiner Frau abgestimmt, dass er kaum noch Zeit findet, Beratung in Anspruch zu nehmen. Dabei steht der nächste Antrag – auf Reduzierung der Miete in der Unterkunft während der Ausbildung – schon an.

Weitere Informationen

Patricia Reineck
Foto: privat

Patricia Reineck ist Mitarbeiterin des Caritasverbandes Freiburg-Stadt e. V. im "Projektverbund Baden - Arbeit und Ausbildung für Flüchtlinge". Es ist eines von 41 bundesweiten EU-geförderten Projekten zur Unterstützung der beruflichen Integration Geflüchteter.
Kontakt: patricia.reineck@caritas-freiburg.de

Infos