Das Neutralitätsgebot in der Bildung

Das Neutralitätsgebot in der Bildung
Neutral gegenüber rassistischen und rechtsextremen Positionen von Parteien?
Hendrik Cremer

Rassistische und rechtsextreme Positionen haben im öffentlichen und politischen Raum deutlich zugenommen. Lehrkräfte und andere Bildungsakteure, die in der Schule und in der außerschulischen Bildung entsprechende Positionen politischer Parteien behandeln und kritisch thematisieren, berichten über zunehmenden Druck.

Beispielsweise werden Schüler*innen und Eltern aufgerufen, auf Meldeportalen Lehrkräfte zu melden, die gegen das staatliche Neutralitätsgebot verstoßen. Aus der AfD werden Dienstaufsichtsbeschwerden bei Schulbehörden erhoben, um nach eigener Darstellung das Neutralitätsgebot durchzusetzen. Im Bereich der außerschulischen Bildung stellt die AfD die Programme zur Demokratieförderung, die durch die Bundesregierung und Landesregierungen gefördert werden, infrage und setzt dabei Akteure unter Druck, die sich kritisch mit Rassismus und Rechtsextremismus auseinandersetzen.

Dürfen Lehrkräfte rassistische und rechtsextreme Positionen einer Partei thematisieren?

Diese Entwicklungen haben auch vermehrt rechtliche Fragen aufgeworfen. So stellt sich die Frage, ob es mit dem Neutralitätsgebot und dem Recht der Parteien auf Chancengleichheit im politischen Wettbewerb (Art. 21 GG) vereinbar ist, wenn Lehrkräfte oder Akteure der außerschulischen Bildung rassistische und rechtsextreme Positionen einer Partei thematisieren.

Die Antwort auf diese Frage findet sich in den Grund- und Menschenrechten als zentraler Bestandteil der freiheitlichen demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes. Diese und die ihnen zu Grunde liegenden Werte gehören zu den Grundlagen für politische Bildung. Dies betonen auch die Schulgesetze der Länder und die Kultusministerkonferenz; menschenrechtliche Verträge verpflichten den Staat außerdem explizit zu schulischer und außerschulischer Menschenrechtsbildung.

Das Gebot der Sachlichkeit muss eingehalten werden

Gegenwärtige Erscheinungsformen von Rassismus und Rechtsextremismus und die damit verbundenen Gefahren für den gesellschaftlichen Frieden kritisch zu thematisieren, ist ein wesentlicher Bestandteil des staatlichen Bildungsauftrags. Daher sind auch rassistische und rechtsextreme Positionen von Parteien in der schulischen und außerschulischen Bildung kritisch zu thematisieren. Das parteipolitische Neutralitätsgebot des Staates und das Recht der Parteien auf Chancengleichheit im politischen Wettbewerb (Art. 21 GG) stehen dem nicht entgegen, solange das Gebot der Sachlichkeit eingehalten wird. Wesentlich ist, dass die Positionen von Parteien sachlich zutreffend wiedergegeben werden und auch deren Behandlung sachlich erfolgt.

Das Phänomen des Rassismus in Deutschland kann dabei allerdings nicht allein auf Parteien wie die NPD oder AfD reduziert werden. Immer wieder lässt sich auch in der öffentlichen Debatte beobachten, dass sich Aussagen mit in rassistischer Weise ausgrenzenden oder stigmatisierenden Inhalten bei sämtlichen Parteien finden. Ein prominentes und zugleich besonders deutliches Beispiel bilden rassistische Aussagen des SPD-Mitglieds Thilo Sarrazin, dessen 2010 von einem renommierten Verlag herausgegebenes Buch „Deutschland schafft sich ab“ sogar zum Bestseller wurde. Klarstellend sei daher angemerkt, dass in der politischen Bildung Aussagen von Politiker*innen sämtlicher Parteien oder etwa herausragender Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens aufgegriffen und thematisiert werden können.

Die AfD ist zwingend ein Thema im Unterricht

Genauso klar sollte allerdings auch sein, warum die AfD in der politischen Bildung im Themenfeld Rassismus und Rechtsextremismus zwingend zu thematisieren ist. Es gibt hier einen kategorialen Unterschied zwischen der AfD und anderen in den Parlamenten vertretenen Parteien. In der AfD sind rassistische Positionierungen Bestandteil ihres Programms, ihrer Strategie und der Äußerungen von Führungspersonen und Mandatsträger*innen. Solche rassistischen Positionen stellen den Grundsatz der allen Menschen gleichermaßen zustehenden Menschenwürde und den damit einhergehenden Grundsatz der Rechtsgleichheit in Frage. Hierbei handelt es sich um nicht verhandelbare Grundsätze des Grundgesetzes.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen im Forum Migration im September 2019

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Hendrik Cremer
Foto: Anke Illing

Dr. Hendrik Cremer ist studierter Jurist und arbeitet seit 2007 am Deutschen Institut für Menschenrechte. Er ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Abteilung Menschenrechtspolitik Inland/Europa mit den Themen Asyl und Migration, Rassismus und Kinderrechte.

Kontakt: cremer@institut-fuer-menschenrechte.de