Gemeinsames Wort der Kirchen zur Interkulturellen Woche 2013

Gemeinsames Wort der Kirchen zur Interkulturellen Woche 2013
»Wer offen ist, kann mehr erleben.«
Erzbischof Dr. Robert Zollitsch, Dr.h.c. Nikolaus Schneider, Metropolit Augoustinos

»Wer offen ist, kann mehr erleben.« – unter diesem Motto steht die Interkulturelle Woche 2013. Wir sind dankbar, dass Jahr für Jahr hunderttausende Menschen ihre Offenheit dadurch zeigen, dass sie sich an der Interkulturellen Woche beteiligen. Offenheit ermöglicht Begegnungen und durch Begegnung entsteht Vertrauen, das den Weg zu einer gemeinsamen Zukunft ermöglicht.

»Gott schuf also den Menschen als sein Abbild; als Abbild Gottes schuf er ihn« (Gen 1,27). Wir vertrau­en auf das Zeugnis der Bibel: Alle Menschen sind von Gott nach seinem Bild geschaffen. Die in der Gott­ebenbildlichkeit des Menschen gründende Würde gilt uneingeschränkt für alle Menschen – und sie gilt in be­sonderer Weise für die, die des Schutzes und der Ach­tung ihrer Rechte bedürfen: für Flüchtlinge und Ge­duldete, für Fremde und fremd Gemachte, für Kranke und Alte, Gebrechliche und Traumatisierte.

Gott erinnert sein Volk an eigene Fremdheitserfah­rung, wenn er Israel gebietet, Fremde zu schützen: »Einen Fremden sollst du nicht ausbeuten. Ihr wisst doch, wie es einem Fremden zumute ist; denn ihr selbst seid in Ägypten Fremde gewesen« (Ex 23,9). Nach biblischer Maßgabe stehen also die Fremden un­ter dem besonderen Schutz Gottes: »Wenn bei dir ein Fremder in eurem Land lebt, sollt ihr ihn nicht unter­drücken. Der Fremde, der sich bei euch aufhält, soll euch wie ein Einheimischer gelten, und du sollst ihn lieben wie dich selbst…« (Lev 19,33f).

Auch im Neuen Testament spielt die Zuwendung zum unbekannten Nächsten eine wichtige Rolle, ja sie wird sogar zum entscheidenden Merkmal der Christusbe­gegnung. »Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan!« In der Erzählung vom Weltgericht (Mt 25,31-36) wird der Umgang mit Fremden und anderen an den Rand gedrängten Per ­sonengruppen zum entscheidenden Kriterium für das Heil. In diesen Menschen begegnet uns Christus selbst.

Im deutschen Grundgesetz heißt es: »Die Würde des Menschen ist unantastbar«. Diese Erkenntnis war für das Bundesverfassungsgericht leitend, als es im Juli 2012 angesichts der beschämend niedrigen Leistun­gen für Asylbewerber an die unveräußerlichen Grund­rechte erinnerte. Wir begrüßen die Aussage, dass die Würde des Menschen migrationspolitisch nicht zu re­lativieren ist. Die Kirchen sehen sich darin in ihrer Auffassung bestätigt, nicht nur die Sozialleistungen im Asylbewerberleistungsgesetz, sondern das Aufent­haltsrecht insgesamt an dieser Grundnorm zu messen.

Aus diesen grundsätzlichen Überlegungen heraus be­trachten wir einige gesellschaftliche und politische Entwicklungen mit Sorge.

Rassismus ist auch in Deutschland kein Relikt der Vergangenheit. Dabei ist offen rechtsextremistischer Terror, wie er in der NSU-Mordserie zum Ausdruck gekommen ist, nur ein – schrecklicher – Teil der Pro­blematik. Beunruhigend ist es auch, dass sich rassisti­sche Stimmungen und Gedanken schleichend verbrei­ten und versteckt äußern. Zugewanderte und Men­schen mit anderer Hautfarbe stoßen nicht selten auf Ablehnung und Ausgrenzung. Rassistische Haltungen sind weit verbreitet. Die Macht von Vorurteilen und Ressentiments reicht bis in die sogenannte Mitte unse­rer Gesellschaft – und damit leider auch in unsere christlichen Gemeinden hinein. Wir müssen daher in unserer Haltung umso klarer sein und unmissver­ständlich dafür einstehen: Rechtsextremes oder rassis­tisches Denken und Handeln sind mit dem christlichen Glauben unvereinbar! Sie verletzen die für Christen grundlegende Würde des Menschen, die in seiner Gottebenbildlichkeit gründet.

Wer die Würde und die Rechte von Menschen miss­achtet, wer andere Menschen mit Hass verfolgt, ver­letzt oder gar ermordet, handelt gegen den Willen Gottes. Als Christinnen und Christen sind wir über­zeugt: Rassismus ist Sünde!

»Rassismus entsteht im Kopf. Offenheit auch.« Das ist die zentrale Botschaft des Plakates zur Interkul ­turellen Woche 2013. Als Kirchen treten wir ein für eine Gesellschaft in Vielfalt und Offenheit. Ein wichtiger Schritt zur Veränderung ist die Anerken­nung von erlebtem Unrecht. Wir rufen insbesondere unsere Pfarreien und Kirchengemeinden dazu auf, Opfer von Rassismus einzuladen, ihnen zuzuhören und ihnen – z.B. in der Interkulturellen Woche – ein Forum zu geben.

Die diesjährige Interkulturelle Woche steht in zeitlicher Nähe zur Wahl des Deutschen Bundestages. Wir appellieren daher an alle Politikerinnen und Politiker, die sich um ein Mandat bewerben: Achten Sie im Wahlkampf auf die Worte, die Sie verwenden! Vermeiden Sie alle Äußerungen, die ablehnende und abwehrende Stimmungen gegenüber Fremden, Migrantinnen, Migranten und Benachteiligten fördern!

In den letzten Jahren ist in Deutschland die Erkenntnis gewachsen, dass unser Land ein Einwanderungsland ist. Erwartungen und rechtliche wie politische Maßnahmen richteten sich dabei vor allem an die Zugewanderten. Aber genauso ist ein Umdenken in der Aufnahmegesellschaft erforderlich. Für Menschen, die lange in Deutschland leben, muss der Weg zu einer gleichberechtigten Teilhabe in unserer Gesellschaft offen stehen. Dazu gehört beispielsweise für Menschen mit humanitären Aufenthaltstiteln die Ermöglichung des Familiennachzugs. Die Kirchen weisen – nicht nur anlässlich der Interkulturellen Woche – auf die Situation von Menschen hin, die seit vielen Jahren nur mit einem ungesicherten Aufenthaltsstatus in Deutschland leben. Dies betrifft weit mehr als 100.000 Personen. Wer lange hier lebt, muss einen sicheren Aufenthaltsstatus haben. Dies ist ein Schlüsselelement für gelingende Integration.

Zu lösen ist auch das Problem der Langzeitgeduldeten. Trotz verschiedener Bleiberechtsregelungen leben Zehntausende immer noch in ständiger Angst vor der Abschiebung. Ohne eine echte Perspektive können sie kaum ihre Persönlichkeit entfalten und ihre Fähigkeiten in unsere Gesellschaft einbringen. Die Kirchen treten für eine stichtagsunabhängige Bleiberechtsregelung ein, die aus humanitären Gründen auch für alte, kranke und traumatisierte Menschen gilt. Für sie und andere, die immer wieder um die Verlängerung ihres
Aufenthaltstitels bangen, müssen die Hürden beseitigt werden, die das Aufenthaltsrecht ihrer Integration entgegenstellt. Die Kettenduldungen müssen endlich abgeschafft
werden!

»Wer offen ist, kann mehr erleben.« Die Interkulturelle Woche mit ihren zahlreichen Veranstaltungen ist jedes Jahr ein lebendiges Zeichen dafür, dass wir uns auf einem guten Weg zu einer echten Willkommenskultur befinden und trennende Mauern durchbrechen können. Wir danken allen, die sich vor Ort für diese Anliegen einsetzen und wünschen ihnen Gottes Segen für ihr Engagement.