Quelle: Projekt "Flucht- und Flüchtlingsforschung: Vernetzung und Transfer" (FFVT)
Im dritten Jahr seines Erscheinens ist der "Report Globale Flucht" zu einem unverzichtbaren Überblicks- und Informationswerk geworden, das die Debatte mit wissenschaftlichen Beiträgen, Interviews und Rezensionen versachlicht und dabei auf Entwicklungen aufmerksam macht, die im politischen Alltag entweder übersehen oder zermahlen werden. Der Report ist der erste regelmäßig herausgegebene, deutschsprachige Bericht zum Thema Flucht. Er wird jährlich vom Verbundprojekt "Flucht- und Flüchtlingsforschung: Vernetzung und Transfer" (FFVT) in Zusammenarbeit mit dem S. Fischer Verlag veröffentlicht.
Weltweit bleiben die Flüchtlingszahlen hoch. In Deutschland und Europa geht die Zahl der Asylanträge nach dem Ausnahmejahr 2023 allerdings wieder stark zurück. Die Kommunen atmen auf, Aufnahmekapazitäten werden vielfach sogar bereits wieder rückgebaut. Zehn Jahre nach der starken Fluchtzuwanderung "2015" lässt sich zudem feststellen, dass die Flüchtlingsintegration überwiegend recht erfolgreich war. Dennoch herrscht im Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD auch weiterhin eine Präferenz für eine restriktive Flüchtlings- und Asylpolitik.
Um die Debatten mit empirischer Evidenz zu unterfüttern, gibt das Team des Projekts Flucht, Flüchtlingsforschung, Vernetzung und Transfer (FFVT) am 28. Mai zum dritten Mal den Report Globale Flucht im Fischer Verlag heraus. Diskutiert werden aktuelle Politiken wie Grenzkontrollen, Rückführungen und Flüchtlingslager. Die 44 Autorinnen und Autoren zeigen auf, inwiefern die Flüchtlingspolitik teils auf falschen Annahmen basiert, häufig unstimmig ist und falsche Erwartungen weckt. Sie stellen zugleich Lösungsvorschläge aus der Fluchtforschung vor.
Der "Report Globale Flucht 2025" ist ab 28. Mai 2025 im Buchhandel erhältlich. Er erscheint im Auftrag des Projekts "Flucht- und Flüchtlingsforschung: Vernetzung und Transfer" (FFVT) und wird herausgegeben von Jochen Oltmer, Marcel Berlinghoff, Franck Düvell, Benjamin Etzold, Christine Lang und Andreas Pott.
Kernbotschaften
Die Themen Migration und Flucht haben Wahlkampf und Regierungswechsel wesentlich geprägt. Dabei waren die meist auf Deutschland konzentrierten Debatten häufig aufgeheizt und wenig an Fakten und wissenschaftlichen Ergebnissen orientiert. Hier will der Report Globale Flucht, Flaggschiff der Fluchtforschung in Deutschland, Abhilfe schaffen. In seiner nunmehr dritten Auflage gibt der vom BMBF-geförderten Verbundprojekt „Flucht- und Flüchtlingsforschung: Vernetzung und Transfer (FFVT)“ getragene Band einen wissenschaftlich basierten, aber leicht zugänglichen Überblick über das globale Fluchtgeschehen. Flüchtlingslager innerhalb wie außerhalb der Europäischen Union sind das diesjährige Fokusthema.
"Die nationale Engführung der Diskussion
steht wirklichen Lösungen im Wege."
Franck Düvell, Mit-Herausgeber
Darüber hinaus beleuchten namhafte Autorinnen und Autoren auch Grenzkontrollen, den Stand des Flüchtlingsschutzes, die Regulierung von Flucht und die Teilhabe von Geflüchteten in Deutschland. Neben einer historischen Einordnung kommt dem “Report Globale Flucht” das Verdienst zu, auch solche Themen und Regionen zu analysieren, die in der bundesdeutschen Debatte oft unterbelichtet bleiben, sich aber zweifelsohne auf die deutsche und europäische Realität auswirken: So analysieren die Autor:innen die großen Fluchtbewegungen im Sudan oder die Situation palästinensischer Flüchtlinge.
1. Deutsche Flüchtlingspolitik wird den globalen Herausforderungen nicht gerecht. Die verbreitete Binnenzentrierung steht wirklichen Lösungen im Weg
Die Herausgeber:innen kommen zu dem Ergebnis, dass die globalen Herausforderungen in der aktuellen Debatte und in der deutschen Flüchtlingspolitik zu wenig beachtet werden. "Die nationale Engführung der Diskussion steht wirklichen Lösungen sogar im Wege," so Franck Düvell, einer der Herausgeber des Reports. Aus der Sicht der Fluchtforschung sollte die deutsche Politik aus einem Krisenmodus heraustreten und sich von ihrer politischen "Binnenperspektive" lösen, die Debatte versachlichen und eine langfristige und global ausgerichtete Strategie entwickeln. "Dem komplexen und globalen Thema der Flucht muss die Politik mit aufeinander aufbauenden und international abgestimmten Lösungsansätzen begegnen. Einfache und symbolpolitische Maßnahmen, die auf Deutschland und seine Grenzen beschränkt sind, sind hierzu nicht geeignet," ergänzt Herausgeber Benjamin Etzold.
Hierzu ist es dringend erforderlich, die multilaterale Flüchtlingspolitik wiederzubeleben, auch ohne die Teilnahme der USA. Der Globale Pakt für Flüchtlinge der Vereinten Nationen, für den sich die Bundesregierung 2018 noch stark gemacht hat, stellt eine globale Verantwortungsteilung und die Lösung von langanhaltenden Fluchtsituationen in den Vordergrund. Seine Umsetzung bleibt allerdings auf Grund der Zurückhaltung vieler Länder und ihrer auf Abschottung und Abgrenzung ausgerichteten Politik weit hinter den Erwartungen zurück. "Um wirkliche Lösungen voranzutreiben müssen stattdessen die verschiedenen Handlungsebenen – global, regional, national und lokal – miteinander verzahnt werden. Deutschland sollte hier eine europäische und globale Vorreiterposition einnehmen," betonen die Herausgeber:innen.
2. Die Verbesserung der Lebensbedingungen von Geflüchteten in Ländern außerhalb der EU ist die wirkungsvollste Antwort auf den Druck zur Weitermigration nach Europa
Menschen fliehen überwiegend vor Gewalt, Krieg und politischer Repression. Sie fliehen, um ihr Leben zu schützen. Dies kann nicht verhindert werden. Eine effektive Fluchtursachenbekämpfung bedeutet daher in erster Linie, die Lebensbedingungen von Schutzsuchenden substantiell zu verbessern. Dies gilt sowohl für Binnenvertriebene bspw. in der Ukraine oder dem Sudan als auch für Geflüchtete in Erstaufnahmestaaten wie Ägypten, Äthiopien, Türkei, Jordanien oder Bangladesch sowie in den Ländern an der Außengrenze der EU wie Griechenland, Bulgarien und Italien.
"Nur rechtliche Sicherheit und verbesserte Lebensperspektiven vor Ort können den Druck zur Weitermigration verringern und somit auch einer irregulären Migration nach Deutschland vorbeugen"
Benjamin Etzold, Mit-Herausgeber
Doch anstatt immer mehr Schutzsuchende in Flüchtlingslagern festzusetzen, zu versorgen, zu verwalten und von der gesellschaftlichen Teilhabe längerfristig auszuschließen, müssen Perspektiven der Flüchtlingsaufnahme und der lokalen Integration in den Vordergrund rücken, wie etliche Beiträge des Fokusthemas "Lager" zeigen. Zu den Verbesserungsmöglichkeiten gehören ein verlässlicher Aufenthaltsstatus, Unterkunft und Versorgung, Schutz der Frauen, Schulen für die Kinder sowie Möglichkeiten von Selbstständigkeit und Arbeitsaufnahme.
"Nur rechtliche Sicherheit und verbesserte Lebensperspektiven vor Ort können den Druck zur Weitermigration verringern und somit auch einer irregulären Migration nach Deutschland vorbeugen", betont Fluchtforscher Benjamin Etzold. Es sei daher wichtig, "die Herkunftsländer, Transitländer sowie Erstaufnahmestaaten bei der Aufnahme und Integration von Schutzsuchenden massiv zu unterstützen und dauerhafte Lösungen für diese zu finden." In der Zusammenarbeit mit Ländern außerhalb der EU sollten daher auch nicht die Rücknahme von Geflüchteten im Vordergrund stehen – wie im Koalitionsvertrag und in dem Entwurf der EU-Rückkehrrichtlinie formuliert –, sondern die systematische Stärkung ihrer Fähigkeiten und Kapazitäten des Flüchtlingsschutzes. Die Verbesserung der Lebensbedingungen von Geflüchteten in Ländern außerhalb der EU ist die wirkungsvollste Antwort auf den Druck zur Weitermigration nach Europa
3. Grenzmaßnahmen in der Kritik
Zwei Artikel des Fluchtreports widmen sich Maßnahmen an der Grenze und zeigen: Architektonische und rechtliche Grenzziehungen, das eigentlich für Flughäfen entwickelte juristische Konzept der "fiktiven Nichteinreise" oder KI-gestützte Kontrollmaßnahmen dienen in erster Linie der Ausgrenzung und Abschreckung von Schutzsuchenden. Solche Maßnahmen greifen tief in die Freiheit und Persönlichkeitsrechte von Schutzsuchenden ein. Ihre Wirksamkeit hinsichtlich der Verhinderung einer Einreise wird jedoch überschätzt. Grenzüberschreitende Flucht und Migration werden maßgeblich von den bedrohlichen Verhältnissen in den Herkunftsländern und in den Transit- und Erstaufnahmeländern angetrieben und durch bestehende Migrationskorridore und die persönlichen Netzwerke der Schutzsuchenden beeinflusst. Natürlich sind die de facto vorhandenen Möglichkeiten der legalen Einreise entscheidend, dies zeigt der Vergleich der Fluchtbewegungen aus der Syrien und Ukraine ganz klar.
"Um irreguläre Migration, auch von Schutzsuchenden, zu minimieren, bedarf es mehr legaler Migrationspfade, nicht weniger."
Franck Düvell, Mit-Herausgeber
"Um irreguläre Migration, auch von Schutzsuchenden, zu minimieren, bedarf es mehr legaler Migrationspfade, nicht weniger", so Franck Düvell. Die Aussetzung von Bundesaufnahmeprogrammen und des Familiennachzugs zu subsidiär Schutzberechtigten, wie die neue Bundesregierung sie vorsieht, sind daher kontraproduktiv. Dies hat unerwünschte Nebenwirkungen, da so der irregulären Migration sogar noch Vorschub geleistet wird.
4. "Rückkehroffensive" ohne dauerhafte Perspektiven im Heimatland zum Scheitern verurteilt
Der Report Globale Flucht hinterfragt in zwei Beiträgen die Motive von Geflüchteten zur Rückkehr und auch die Perspektiven, die sich in ausgewählten Herkunftsstaaten bieten. Er zeigt, dass es zweifelhaft ist, ob Syrien Hunderttausende oder gar Millionen Rückkehrer:innen aufnehmen und erfolgreich reintegrieren kann. Die Forschung zeigt, dass Rückkehrer:innen oft als Binnenflüchtlinge enden, wie im Irak, oder Konflikte um knappe Ressourcen anheizen, wie in Afghanistan. Die Rückkehr von Geflüchteten aus einem sichereren und wohlhabenderen Land in ihre Heimat gilt vielfach als Misserfolg und ist mit einem Stigma behaftet.
Rückkehr und Wiedereingliederung, soll sie erfolgreich und nachhaltig sein, erfordert, dass Rückkehrer:innen zuvor neue erlernte Fähigkeiten anwenden und sie Kapital für Investitionen einsetzen können. Entscheidend ist zudem, dass sie vor Ort wieder gut eingebettet sind – und nicht politisch oder sozial ausgrenzt werden – und sie für sich und ihre Familien eine dauerhafte Perspektive in der Heimatregion sehen. Die Herausgeber:innen schlussfolgern deshalb: "Vorstellungen von einer schnellen und massenhaften Rückkehr erscheinen unrealistisch und riskant, denn diese könnte [u.a.] die syrische Gesellschaft überlasten und die Instabilität des Landes weiter vertiefen."
"Um den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu stärken, braucht es mehr Teilhabechancen für Geflüchtete. Abschreckungsmaßnahmen erschweren indes die Integration."
Petra Bendel, Leiterin des FFVT-Projekts
5. Teilhabe in Deutschland in Gesundheit und Bildung sowie Diskriminierungsprävention entscheidend
Abschreckungsmaßnahmen im Gesundheitswesen in Deutschland sind migrationspolitisch wirkungslos oder entfalten gegenteilige Wirkung. Ein Beitrag im
"Report Globale Flucht" zeigt das eindrücklich. Die Autor:innen fordern, migrations- und gesundheitspolitische Logiken voneinander zu entkoppeln. Und auch Zugangsbarrieren zu Ausbildung und Beruf für junge Menschen mit einer Fluchtgeschichte müssen, so ein weiterer Befund des Reports, deutlich reduziert werden. Diskriminierungserfahren schließlich behindern nicht nur die Integration in Gesundheit, Ausbildung und Arbeit, sondern tragen dazu bei, dass Zugewanderte das Vertrauen in die Institutionen in Deutschland verlieren.
„Um den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu stärken, braucht es mehr Teilhabechancen für Geflüchtete. Abschreckungsmaßnahmen erschweren indes die Integration“, betont Petra Bendel, eine der Leiterinnen des FFVT-Projekts ("Flucht- und Flüchtlingsforschung: Vernetzung und Transfer").