Reaktionen auf die Landtagswahlen in Thüringen und Sachsen

Reaktionen auf die Landtagswahlen in Thüringen und Sachsen

Quellen: Amadeu Antonio Stiftung / DaMOst / Zentralrat der Sinti und Roma / Amnesty International / Türkische Gemeinde in Deutschland

Angesichts der Ergebnisse der Landtagswahlen in Thüringen und Sachsen ruft die Amadeu Antonio Stiftung dazu auf, verstärkt gegen die Normalisierung des Rechtsextremismus vorzugehen. Auch viele andere Organisationen sind alarmiert und fordern, zivilgesellschaftliche Strukturen zu stärken und demokratische Werte zu verteidigen.

"Wir dürfen nicht zulassen, dass rechtsextreme Parteien wie die AfD in Thüringen und Sachsen weiter an Einfluss gewinnen. Ihre hohen prognostizierten Wahlergebnisse sind alarmierend und gefährden die Demokratie in Deutschland", erklärt Timo Reinfrank, Geschäftsführer der Amadeu Antonio Stiftung. "Es ist unerlässlich, dass wir die Zivilgesellschaft in Ostdeutschland weiterhin stärken und die demokratische Beteiligung ausbauen, insbesondere in ländlichen Regionen."

Die rechtsextreme AfD darf keinen Einfluss auf die Regierungsbildung in Thüringen und Sachsen haben.

"Jede Spekulation über eine Zusammenarbeit mit der AfD trägt zur weiteren Normalisierung des Rechtsextremismus bei. Bis jetzt hat die Brandmauer erheblich dazu beigetragen, die Entwicklung des parteiförmigen Rechtsextremismus zu hemmen. Es braucht in beiden Bundesländern demokratische Mehrheitsregierungen, die der rechtsextremen AfD klar und entschieden entgegentreten. Insbesondere das BSW muss sich jedoch gegen antisemitische Verschwörungsideologien positionieren, die von einzelnen Mitgliedern im Kontext der Aufarbeitung der Pandemie geäußert wurden2, so Reinfrank.

Reinfrank hebt die Bedeutung bestehender Demokratieprogramme hervor: "Programme wie 'Orte der Demokratie' in Sachsen und 'DenkBunt' in Thüringen sind zentrale Pfeiler im Kampf gegen Rechtsextremismus. Diese Programme müssen dringend ausgebaut und an die aktuellen Herausforderungen angepasst werden. Zudem brauchen wir in beiden Ländern dringend Demokratiefördergesetze, um zivilgesellschaftliches Engagement nachhaltig zu sichern."

"Es liegt in unserer Verantwortung, jungen Menschen Perspektiven zu bieten und sich nicht von Rechtsextremen einschüchtern zu lassen."
Timo Reinfrank, Geschäftsführer der Amadeu Antonio Stiftung

Besonders besorgniserregend ist der hohe Zuspruch der AfD unter jungen Menschen. "Erschreckend viele junge Menschen haben bei den Wahlen die AfD gewählt. Das zeigt, dass wir in der Schul- und Jugendsozialarbeit sowie in der Prävention noch viel mehr tun müssen, um Jugendliche vor rechtsextremen Einflüssen zu schützen", so Reinfrank weiter. "Es liegt in unserer Verantwortung, diesen jungen Menschen Perspektiven zu bieten und sich nicht von Rechtsextremen einschüchtern zu lassen."

Die Amadeu Antonio Stiftung hat im Jahr 2024 mit ihrer Kampagne "Gegenwind" insgesamt 104 Projekte gefördert, die sich aktiv gegen die Normalisierung des Rechtsextremismus in Ostdeutschland einsetzen. "Diese Projekte sind ein wichtiger Beitrag, um dem Einfluss rechtsextremer Parteien entgegenzuwirken“, betont Reinfrank. „Dank der Spenden von vielen engagierten Einzelpersonen und Zuwendungen konnten wir viele Initiativen vor Ort unterstützen, die sich mutig für Demokratie und Menschenrechte einsetzen."

"Es ist unerlässlich, dass die Bundesregierung zivilgesellschaftliches Engagement in Ostdeutschland weiterhin unterstützt und absichert."
Timo Reinfrank, Geschäftsführer der Amadeu Antonio Stiftung

Reinfrank fordert auch ein stärkeres Engagement der Bundesregierung: "Es ist unerlässlich, dass die Bundesregierung zivilgesellschaftliches Engagement in Ostdeutschland weiterhin unterstützt und absichert. Programme wie 'Demokratie leben!' dürfen nach den Kommunalwahlen nicht von antidemokratischen Kräften in den Kommunen beeinflusst werden. Wir müssen sicherstellen, dass zivilgesellschaftliche Projekte und Beratungsstellen direkt unterstützt werden, um die Verteidigung der Demokratie zu gewährleisten."

Die Amadeu Antonio Stiftung ruft dazu auf, die Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus entschlossen fortzusetzen und solidarisch zusammenzustehen. "Jetzt ist nicht die Zeit für Resignation. Gerade in diesen schwierigen Zeiten müssen wir als Gesellschaft zusammenstehen und den demokratischen Zusammenhalt stärken", appelliert Reinfrank abschließend.

Für den Dachverband der Migrant:innenorganisationen in Ostdeutschland (DaMOst) und den Verein MigraNetz Thüringen sind die Wahlergebnisse "weit mehr als eine bloße Protestwahl. Sie offenbaren tief verankerte rassistische, diskriminierende und antidemokratische Einstellungen, die die Grundfesten unserer Demokratie gefährden", schreiben die Organisationen in einer gemeinsamen Pressemitteilung.

Weiter heißt es dort: "Wir sind zutiefst erschüttert und alarmiert über die verheerenden Auswirkungen dieses Wahlergebnisses, besonders für Menschen mit Migrationsbiografie und Betroffene von rassistischer Diskriminierung in Thüringen und Sachsen. Dieses Ergebnis birgt die ernsthafte Gefahr einer tiefen gesellschaftlichen Spaltung und einer massiven Bedrohung für marginalisierte Gruppen, insbesondere migrantische Communities. Wir stehen vor der wesentlichen Herausforderung, diese gefährliche Entwicklung entschlossen zu bekämpfen und für den Schutz und die Rechte aller Betroffenen einzutreten."

"Menschenwürde, Gleichheit und Rechtsstaatlichkeit sind die unverzichtbaren Fundamente unserer Demokratie und müssen für JEDEN Menschen uneingeschränkt gelten."
Ayman Qasarwa, Vorstandsvorsitzender von MigraNetz Thüringen e.V.

Emiliano Chaimite, Vorstandsmitglied von DaMOst e.V., erklärt: "Die Wahlergebnisse in Thüringen und Sachsen zeigen eine alarmierende Ablehnung gesellschaftlicher Vielfalt, die ein drängendes Warnsignal an uns alle ist. Diese Entwicklung erfüllt mich mit tiefer Trauer, Enttäuschung und Besorgnis. Es geht nicht nur darum, wie unsere Gesellschaft in Zukunft aussehen wird und welche Herausforderungen auf uns Migrant*innen zukommen, sondern ob diese Regionen im Alltag ohne uns Migrant*innen überhaupt funktionieren können. Ich fordere deshalb sofortige und entschlossene Maßnahmen zum Schutz und zur Sicherheit aller betroffenen Communities sowie derjenigen, die sich unermüdlich für eine offene und vielfältige Gesellschaft einsetzen."

Ayman Qasarwa, Vorstandsvorsitzender von MigraNetz Thüringen e.V. sagt: "Deutschland ist ein Einwanderungsland, das durch eine reiche Vielfalt an Geschichten, Kulturen und Biografien geprägt ist. Jede*r vierte Einwohner*in hat eine Migrationsbiografie und auch in Ostdeutschland sind wir zunehmend präsent und politisch sichtbar. Diese Realität erfordert eine Politik, die unsere Vielfalt nicht nur anerkennt, sondern aktiv fördert. Menschenwürde, Gleichheit und Rechtsstaatlichkeit sind die unverzichtbaren Fundamente unserer Demokratie und müssen für JEDEN Menschen uneingeschränkt gelten."

Der Aufstieg der AfD stelle eine erhebliche Bedrohung für das Leben von Migrant*innen dar und gefährde die Arbeit ihrer Organisationen. DaMOst und MigraNetz fordern daher "dringende und umfassende politische sowie finanzielle Unterstützung für das Engagement von Migrant*innen, insbesondere in Thüringen und Sachsen. Es darf nicht zugelassen werden, dass die AfD zivilgesellschaftliche Projekte finanziell aushungert und unsere wertvolle Arbeit untergräbt. Jetzt ist es an der Zeit, alle demokratischen Kräfte zu bündeln, entschlossene, wirkungsvolle Allianzen zu bilden und alle Betroffenen mit sämtlichen verfügbaren rechtlichen und moralischen Mitteln umfassend zu unterstützen."

"Das eigentliche Ziel der AfD ist die Beseitigung unserer Demokratie und des Rechtsstaats."
Romani Rose, Vorsitzender des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma

Der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma zeigt sich fassungslos und schockiert über die Ergebnisse der Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen. "Diese Wahlergebnisse beschädigen das Vertrauen Europas in unsere Demokratie und den Willen zur Völkerverständigung, den sich die deutsche Politik nach dem Zweiten Weltkrieg erarbeitet hat", schreibt der Zentralrat in einer Mitteilung.

Romani Rose, Vorsitzender des Zentralrats: "Für die meisten Wähler war die Wahl der AfD eine bewusste Entscheidung, die Renaissance von völkischem Denken wieder salonfähig zu machen. Funktionäre der Partei wie Björn Höcke stehen für eine menschenverachtende Ideologie und kokettieren immer wieder mit den Symbolen und Parolen des Nazi-Regimes."

Rose weiter: "Das eigentliche Ziel der AfD ist die Beseitigung unserer Demokratie und des Rechtsstaats. So schürt die AfD Hass und Hetze gegen demokratische Politiker sowie engagierte Menschen aus der Zivilgesellschaft. Sie ist eine Gefahr für den inneren Frieden und isoliert unser Land wieder in Europa. Viele gesellschaftliche Gruppen, wie Kirchen, Industrieverbände und Gewerkschaften, haben deshalb vor der Wahl der AfD gewarnt."

Rose verweist darauf, dass die AfD auch gesellschaftlich ein Klima der Angst erzeuge: "Deutschland hat zwei Weltkriege verursacht, und die Nazis haben in Europa unvorstellbare Menschheitsverbrechen verübt. Die Gewalt gegen Politiker in den letzten Monaten oder die Drohungen gegen den Leiter der Gedenkstätte Buchenwald erinnern uns an die dunkelsten Kapitel der deutschen Geschichte."

"Der menschenrechtliche Unterbietungswettbewerb muss jetzt ein Ende haben."
Dr. Julia Duchrow, Generalsekretärin von Amnesty International in Deutschland

Dr. Julia Duchrow, Generalsekretärin von Amnesty International in Deutschland, sagt: "In Thüringen und Sachsen haben sich die Parteien im Wahlkampf von menschenfeindlichen Forderungen treiben lassen. Der menschenrechtliche Unterbietungswettbewerb muss jetzt ein Ende haben. Die kommenden Landesregierungen haben den Auftrag, die Rechte aller zu schützen – ohne dabei zu diskriminieren. Rassismus, Queerfeindlichkeit und Hass stehen dem diametral entgegen.“

"Die Wähler*innen treiben Ostdeutschland wirtschaftlich und gesellschaftlich in die Isolation und damit in den Ruin. Internationale Unternehmen setzten auf Vielfalt und sehen keine Zukunft in einer rassistisch geprägten Umgebung."
Gökay Sofuoğlu, Bundesvorsitzender der Türkischen Gemeinde in Deutschland

"Die Wähler*innen treiben Ostdeutschland wirtschaftlich und gesellschaftlich in die Isolation und damit in den Ruin", sagt Gökay Sofuoğlu, Bundesvorsitzender der Türkischen Gemeinde in Deutschland e. V. "Wirtschaftsverbände, Unternehmen und andere Expert*innen beschreiben seit Jahren, was eine AfD-Regierung für den Wirtschaftsstandort Deutschland und das gesellschaftliche Klima bedeuten würde. Internationale Unternehmen setzten auf Vielfalt und sehen keine Zukunft in einer rassistisch geprägten Umgebung. Fachkräfte werden (Ost-)Deutschland meiden und die migrantische Ökonomie wird sich zurückziehen. Offenheit und Vielfalt sind die Voraussetzungen für den Erfolg unserer Gesellschaft. Deshalb sage ich im Namen der Türkischen Gemeinde: Mit den Menschen in Thüringen und Sachsen müssen wir reden! Rechtsextremen und verfassungsfeindlichen Strukturen allerdings muss der Rechtsstaat begegnen und zwar kompromisslos und unmissverständlich."

"Für uns, die 'neuen' Deutschen mit Migrationsgeschichte, sind diese Ergebnisse erschütternd und beängstigend, denn sie stellen unsere Heimat und unsere Zukunft hier in Frage."
Aslıhan Yeşilkaya-Yurtbay, Bundesvorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland

Aslıhan Yeşilkaya-Yurtbay, Bundesvorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland e.V., sagt: "Für uns, die 'neuen' Deutschen mit Migrationsgeschichte, sind diese Ergebnisse erschütternd und beängstigend, denn sie stellen unsere Heimat und unsere Zukunft hier in Frage. Viele Menschen meiner Generation planen bereits Deutschland zu verlassen. Die aktuelle Situation erinnert stark an die 90er Jahre. Politiker*innen aller Parteien reproduzieren zunehmende rassistisch geprägte Erzählungen, wenn etwa Migration und innere Sicherheit als Gegensätze konstruiert werden. Das ist gefährlich und traurig. Wir appellieren hier in aller Deutlichkeit an die Politiker*innen aller Parteien: Finden Sie endlich andere Lösungen, um das Vertrauen der Menschen in die innere Sicherheit wieder herzustellen! Hören Sie auf damit, gesellschaftliche Probleme zu migrantisieren und arbeiten sie endlich gemeinsam an Lösungen. Aber vor allem: Machen Sie keinen Wahlkampf, mit dem Sie die Positionen der AfD bestätigen. Der hohe Zuspruch für die AfD unter jüngeren Wähler*innen unterstreicht dramatisch, wie wichtig es ist, in unsere Demokratie zu investieren, sie in Projekten zu fördern und das zuverlässig und auf Dauer. Wir geben weniger als 0,04 Prozent des Bundeshaushaltes für diese Verteidigung der Demokratie nach innen aus! Das ist viel zu wenig. Das Demokratiefördergesetz muss nun endlich verabschiedet werden!"

Pressekontakte

Amadeu Antonio Stiftung
030 240 886 16
presse(at)amadeu-antonio-stiftung.de

DaMOst e.V.
Ayman Qasarwa
0345 68686428
info@damost.de

Zentralrat Deutscher Sinti und Roma
06221 9811-01
zentralrat@sintiundroma.de

Amnesty International Deutschland
030 420248-306
presse@amnesty.de

Türkische Gemeinde in Deutschland
Kaan Bağcı
Referent für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
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