Quelle: Allianz gegen Islam- und Muslimfeindlichkeit CLAIM
Bereits Anfang November hat die Allianz gegen Islam- und Muslimfeindlichkeit CLAIM vor einer akuten Zunahme von antimuslimischem Rassismus in Deutschland gewarnt. CLAIM hat im Zeitraum vom 9.10. bis 29.11.2023 bereits 187 Fälle von gewaltvollen antimuslimischen Übergriffen, Beleidigungen,
Drohungen und Diskriminierungen dokumentiert.
Die Vorfälle umfassen über 149 Angriffe gegen Einzelpersonen oder Gruppen, darunter vor allem Familien sowie Gruppen, die im öffentlichen Raum angegriffen wurden. 24 Übergriffe richteten sich gegen religiöse Einrichtungen – darunter Schändung von muslimischen Grabmälern sowie Angriffe auf Moscheen. Damit liegen die dokumentierten Vorfälle bereits jetzt über dem Vorjahresniveau. Die erfassten Fälle betreffen ausschließlich den Offline-Bereich und decken nicht Hassrede im Internet ab. Es ist insgesamt von einer gravierenden Dunkelziffer antimuslimischer Vorfälle auszugehen, die bisher nicht gemeldet oder erfasst werden.
Häufig werden sichtbare muslimische Frauen in Begleitung ihrer Kinder angefeindet
Erst vergangene Woche wurde eine Schülerin in Berlin aufgrund einer Kette mit der Aufschrift "Allah" laut Polizeiberichten von mehreren Mitschülerinnen körperlich angegriffen. In Berlin wurde ein muslimisch gelesener Mann beim Verlassen eines Busses als Terrorist beschimpft und erlitt durch einen Schlag so starke Kopfverletzungen, dass er im Krankenhaus ärztlich behandelt werden musste. Rassistische Bedrohungen oder gewaltvolle Übergriffe auf Menschen, die muslimisch sind oder von denen man annimmt, sie seien muslimisch, ereignen sich bundesweit und nehmen zu. Dabei werden oft sichtbare muslimische Frauen in Begleitung ihrer Kinder angefeindet, erniedrigt oder bedroht. Moscheen und muslimische Gräber werden zudem zur Zielscheibe von gezielten Angriffen. Bundesweit haben Moscheen Drohschreiben, eingepackt mit Fäkalien, verbrannten Koranseiten und Schweinefleisch erhalten (Stand: 29.11.2023). Auch Fälle, in denen Restaurants Bestellungen mit antimuslimischen Bedrohungen erhalten, häufen sich. Die Besitzer*innen eines der betroffenen Restaurants fühlen sich an die Anfänge des NSU erinnert und arbeiten seither in großer Angst.
"Der Vertrauensverlust in unsere demokratischen Grundwerte und Strukturen ist massiv gestört, wenn der Staat seiner Fürsorgepflicht nicht nachkommt und dieser sich nicht vor alle Menschen in diesem Land stellt – unabhängig von ihrer Religion, Hautfarbe oder ethnischen Herkunft." Rima Hanano, Leitung CLAIM
"Die Zunahme von antimuslimischen Übergriffen und Diskriminierungen ist besorgniserregend. Die Angriffe auf Einzelpersonen, religiöse Einrichtungen oder Geschäfte senden ein Signal des Hasses und der Ablehnung. Viele Menschen in diesem Land fühlen sich derzeit alleine gelassen. Sie fühlen sich bedroht und haben Angst – und sie haben allen Grund dazu. Für Menschen, die derzeit in Deutschland angegriffen oder diskriminiert werden, weil sie muslimisch sind oder weil man annimmt, sie seien muslimisch, ist es absolut nicht nachvollziehbar, dass sie kaum Solidarität durch die Öffentlichkeit und Politik noch Schutz durch den Rechtsstaat erfahren. Der Vertrauensverlust in unsere demokratischen Grundwerte und Strukturen ist massiv gestört, wenn der Staat seiner Fürsorgepflicht nicht nachkommt und dieser sich nicht vor alle Menschen in diesem Land stellt – unabhängig von ihrer Religion, Hautfarbe oder ethnischen Herkunft", betont Rima Hanano, Leitung CLAIM.
Mit 187 dokumentierten antimuslimischen Vorfällen im Zeitraum vom 9.10. bis 29.11.2023 liegt die Zahl antimuslimischer Vorfälle bereits jetzt über dem Vorjahresniveau – und das, obwohl nur Fälle aus dem Offline-Bereich dokumentiert wurden und erfahrungsgemäß betroffene Menschen häufig gar nicht erst melden. Auch Sicherheitsbehörden verzeichnen einen deutlichen Anstieg von islamfeindlichen Straftaten in den ersten drei Quartalen 2023 in Deutschland. Die Anzahl der registrierten islamfeindlichen Straftaten liegt mit 686 über der Gesamtzahl des Vorjahres. Insgesamt ist bundesweit von einer gravierenden Dunkelziffer antimuslimischer Vorfälle ausgehen.
"Wir appellieren nachdrücklich an politische Entscheidungsträger zu erkennen, dass antimuslimischer Rassismus eine ernsthafte Bedrohung für die gesellschaftliche Stabilität und den sozialen Frieden darstellt." Malika Mansouri, Sprecherin des Kompetenzverbundes Antimuslimischer Rassismus NRW
Malika Mansouri, Sprecherin des Kompetenzverbundes Antimuslimischer Rassismus NRW: "Unsere Antidiskriminierungsstellen mit dem Schwerpunkt auf antimuslimischen Rassismus berichten, dass die steigenden Beratungsanfragen und der erhöhte Beratungsbedarf, die vorhandenen Ressourcen der Stellen weit übersteigen. Besonders besorgniserregend ist die verstärkte Intensität von antimuslimischen Vorfällen im schulischen Umfeld sowie alltägliche verbale und physische Angriffe. Wir appellieren nachdrücklich an politische Entscheidungsträger zu erkennen, dass antimuslimischer Rassismus eine ernsthafte Bedrohung für die gesellschaftliche Stabilität und den sozialen Frieden darstellt."
In einem europäischen Schulterschluss wurde am 29. November 2023 eine erste gemeinsame Erklärung unter anderem von Sonderbeauftragten im Kampf gegen Rassismus sowie Menschenrechtbeauftragten verschiedener europäischer Länder veröffentlicht, in welcher unter anderem die Notwendigkeit des Schutzes sowie von Maßnahmen zur Bekämpfung von (antimuslimischem) Rassismus betont werden.
"Menschenfeindliche Ideologien müssen politisch gemeinsam adressiert werden, anstatt sie gegeneinander auszuspielen." Rima Hanano, Leitung CLAIM
"Jeder dieser Vorfälle ist ein Angriff auf unsere Demokratie. Neben weitreichenden Maßnahmen gegen antimuslimischen Rassismus brauchen wir jetzt dringend eine klare Positionierung aller demokratischen Parteien in Deutschland. Menschenfeindliche Ideologien müssen politisch gemeinsam adressiert werden, anstatt sie gegeneinander auszuspielen", so Rima Hanano, Leitung CLAIM.
Die im kurzen Erhebungszeitraum vom 9.10. bis 29.11.2023 dokumentierten antimuslimischen Vorfälle gehen unter anderem auf Meldungen von wenigen Beratungsstellen, Meldungen über das Meldeportal I Report sowie Vorfallsmeldungen aus Medienberichten und Polizeimeldungen zurück. Nicht berücksichtigt werden konnten Hassrede im Internet oder antimuslimische Parolen auf Demonstrationen. CLAIM erreichen laufend neue Fallmeldungen. In der Pressemitteilung vom 2. November 2023 hatte CLAIM bereits den akuten Handlungsbedarf zur Bekämpfung von antimuslimischem Rassismus und den notwendigen Schutz von Betroffenen gefordert sowie den notwendigen bundesweiten und flächendeckenden Ausbau von Monitoring- und Beratungsstrukturen und deren Finanzierung.
Hintergrund
Etwa jede*r Zweite in Deutschland stimmt muslimfeindlichen Aussagen zu (siehe hierzu Muslimfeindlichkeit – Eine deutsche Bilanz, 2023/BMI). Im Jahr 2022 fanden im Schnitt mehr als zwei antimuslimische Übergriffe pro Tag in Deutschland statt, darunter Diskriminierungen, körperliche Angriffe sowie Sachbeschädigungen (siehe Zivilgesellschaftliches Lagebild antimuslimischer Rassismus/CLAIM). Dabei zieht sich antimuslimischer Rassismus durch alle Lebensbereiche: sei es bei der Wohnungssuche, dem Arztbesuch oder in der Schule. Der vom Bundesministerium des Innern und für Heimat (BMI) 2020 eingesetzte Unabhängige Expertenkreis Muslimfeindlichkeit (UEM) hat in seinem im Juni 2023 veröffentlichten Abschlussbericht nicht nur die großen Lücken in der Bekämpfung von antimuslimischem Rassismus in Deutschland aufgezeigt, sondern auch konkrete Handlungsempfehlungen an die Bundesregierung formuliert. Hierzu gehören sowohl der Ausbau von Beschwerde- und Monitoring-Stellen sowie Sensibilisierungsmaßnahmen für unterschiedliche Zielgruppen (Öffentlichkeit, Politik, Verwaltung/Behörden).
Über CLAIM
CLAIM vereint und vernetzt 50 muslimische und nichtmuslimische Akteure der Zivilgesellschaft und bildet eine breite gesellschaftliche Allianz gegen antimuslimischen Rassismus, Islam- und Muslimfeindlichkeit. CLAIM wird getragen von Teilseiend e. V., gefördert u. a. vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) im Rahmen des Bundesprogramms „Demokratie leben!“ und durch die Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration und zugleich die Beauftragte der Bundesregierung für Antirassismus. Seit 2020 ist CLAIM Partner im Kompetenznetzwerk Islam- und Muslimfeindlichkeit. Weitere Informationen zu CLAIM unter www.claim-allianz.de.
Über den Kompetenzverbund Antimuslimischer Rassismus NRW
Der Kompetenzverbund Antimuslimischer Rassismus NRW ist ein Zusammenschluss von Antidiskriminierungsstellen mit dem Schwerpunkt auf antimuslimischen Rassismus im Auftrag des Ministeriums für Kinder, Jugend, Familie, Gleichstellung, Flucht und Integration des Landes Nordrhein-Westfalen (MKJFGFI NRW).