Quelle: Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration und Beauftragte für Antirassismus / Diakonie Deutschland
Staatsministerin Reem Alabali-Radovan, die Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration und Beauftragte für Antirassismus, hat am Mittwoch, 11. Januar, dem Bundeskabinett den Lagebericht "Rassismus in Deutschland: Ausgangslage, Handlungsfelder, Maßnahmen" vorgelegt.
Der 13. Lagebericht ist eine Premiere. Erstmals liegt nun eine umfangreiche Darlegung zu Rassismus in Deutschland vor: mit Daten und Fakten, mit Analyse der Erscheinungsformen, mit Transparenz über Lücken in der Prävention und Beratung. Zudem stellt Alabali-Radovan im Bericht ihre Vorhaben und die der Bundesregierung im Kampf gegen Rassismus vor. Mit dem Bericht setzt die Beauftragte ihren Auftrag um, regelmäßig über Rassismus zu berichten. Zudem erfüllt sie den Berichtsauftrag an den Deutschen Bundestag nach § 94 Aufenthaltsgesetz.
Ausgangslage – die wichtigsten Fakten über Rassismus in Deutschland
Rassismus bewegt und trifft viele Menschen. Im repräsentativen Nationalen Diskriminierungs- und Rassismusmonitor des DeZIM sagen 90 Prozent der Befragten, dass es Rassismus in Deutschland gibt. 22 Prozent haben ihn selbst erfahren [Kapitel 1, S.8ff.]. Auch die Kriminalitätsstatistiken sprechen eine klare Sprache: Das BKA listete 2021 in den Fallzahlen der Politisch motivierten Kriminalität 21.964 rechte Straftaten, darunter 1.042 Gewalttaten, von denen zwei Drittel rassistisch motiviert waren. Die unabhängigen Beratungsstellen meldeten sogar 1.391 Angriffe [Kapitel 3.2, S.25ff.].
Es geht um Rassismus – in vielen Erscheinungsformen
Der Begriff Rassismus wurde in gesellschaftspolitischen Debatten jahrzehntelang gemieden, stattdessen wurden Ersatzbegriffe wie "Fremdenfeindlichkeit" verwendet. Zum Umdenken führten auch die rassistische NSU-Mordserie und die Anschläge von München, Halle oder Hanau. Das Thema Rassismus ist heute präsent in Politik und Gesellschaft und wird so auch benannt. Seine Bekämpfung steht oben auf der Agenda der Bundesregierung. Das zeigt auch die erstmalige Ernennung einer Beauftragten für Antirassismus, das Kabinett berief Staatsministerin Alabali-Radovan dazu im Februar 2022. Der Bericht zeigt, dass Rassismus viele Erscheinungsformen hat. Er manifestiert sich in Vorurteilen, Ausgrenzung, Diskriminierung bis hin zu Hasskriminalität. Aber immer führt Rassismus dazu, dass bestimmte Gruppen als nicht-zugehörig markiert, als minderwertig, kriminell oder bedrohlich stigmatisiert und angegriffen werden – ob Schwarze, Muslime oder Juden, Sinti und Roma [Kapitel 3.3, S.30ff.].
Handlungsfelder im Kampf gegen Rassismus: Es geht auch um Strukturen
Der Bericht leitet wissenschaftlich fundiert her, dass Rassismus nicht verengt werden darf auf gewaltförmige, extreme Ausprägungen. Es geht um Straftaten, aber auch um strukturellen Rassismus. Das wurde lange Zeit nicht erkannt, nicht eingestanden und wird auch heute noch abgetan. Der Bericht zeigt, dass Strukturen überdauern, die bewusst oder unbewusst zu Benachteiligung und rassistischer Diskriminierung im Alltag führen können. Etwa in Schule und Berufsbildung, am Arbeits- oder Wohnungsmarkt oder im Kontakt mit Behörden. Der Bericht benennt die zentralen Handlungsfelder, in denen viel zu tun ist [Kapitel 4, S.42ff.].
Den Kampf kämpfen: die Maßnahmen der Beauftragten für Antirassismus
Alle müssen zur wehrhaften Demokratie beitragen und Zivilcourage bei Rassismus zeigen. Besonders wichtig ist der Antirassismusbeauftragten, die Betroffenen von Rassismus einzubeziehen und ihre Perspektive in den Mittelpunkt zu stellen. Dafür setzt sie viele Maßnahmen um, dazu gehören [Kapitel 6, S.88ff.]:
- Niedrigschwellige Community-basierte Beratung in Migrantenorganisationen und weiteren Einrichtungen fördern. Mit Professionalisierung, Qualifizierung und hauptamtlichen Antirassismus-Beratern für schnelle Hilfe bei Rassismus.
- Vorhandene Beratungsstrukturen besser vernetzen und flächendeckend ausbauen, auch in ländlichen Räumen, in Kleinstädten und Online.
- Gründung eines Expertenrats Antirassismus mit Mitgliedern aus Wissenschaft und Praxis. Auftrag u.a.: Arbeitsdefinition von Rassismus für Verwaltungshandeln erarbeiten, für Entwicklung von Gegenmaßnahmen.
- Opferinitiativen stärken, mit mehr Ressourcen für eigene Projekte und Räume zum Austausch und Empowerment, ob in Hanau, Halle oder München.
- Kommunale Entscheidungsträger stärken, die sich vor Ort gegen Rassismus engagieren. Dafür: Modellprojekt ab Frühjahr 2023, bundesweit 10 Standorte.
- Hassrede im Internet („Hate Speech“) bekämpfen, Gegenrede stärken und Akteure in Sozialen Medien im Umgang mit Hassrede empowern.
- Im Amateur- und Breitensport bundesweit mehr Prävention, Intervention und Antirassismus-Arbeit fördern.
Im Bundeshaushalt 2023 sind 10 Millionen Euro für die Maßnahmen eingestellt. In 2022 waren es 8 Millionen Euro. Projektträger sind u.a. der Verband der Beratungsstellen für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt (VBRG), die Türkische Gemeinde Deutschlands, der Dachverband der Migrant*innenorganisationen in Ostdeutschland (DaMOst), der Deutsche Fußball-Bund (DFB) oder der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB).
Zur Vorlage des Berichts erklärt Alabali-Radovan:
"Der Bericht ist eine Premiere, erstmals lege ich ein Dokument der Bundesregierung mit einer umfassenden Darlegung zu Rassismus und seinen Erscheinungsformen in Deutschland vor. Klar ist: Rassismus ist eine große Gefahr für unsere Demokratie, denn er greift Menschen und ihre Menschenwürde an, die das Grundgesetz uns allen garantiert. Rassismus ist keine abstrakte Gefahr, sondern schmerzhafter Alltag für viel zu viele in unserem Land. Er trifft Menschen mit familiärer Einwanderungsgeschichte genauso wie Geflüchtete, Schwarze Menschen, Muslime und Juden oder Sinti und Roma. Wie viel zu tun ist, zeigen rund 22.000 Angriffe von rechts pro Jahr – alle 24 Minuten so eine Straftat. Einschneidende Ereignisse wie die NSU-Mordserie und die Anschläge von Halle und Hanau haben das Thema Rassismus in den vergangenen Jahren in den Fokus gesellschaftspolitischer Debatten gerückt. Heute steht der Kampf gegen Rassismus oben auf unserer politischen Agenda. Wir müssen Rassismus konsequent bekämpfen, das ist systemrelevant für unsere Demokratie. Denn alle müssen hier sicher, in Würde und mit gleichen Chancen leben. Mein Lagebericht leitet wissenschaftlich fundiert her, dass es bei Rassismus nicht nur um Gewalt und Straftaten geht, sondern auch um Alltagsrassismus und strukturellen Rassismus. Deshalb geht Antirassismus uns alle an: Wir müssen widersprechen, wenn Menschen abgewertet werden, ob mit dummen Sprüchen am Stammtisch oder im Stadion. Wir müssen Hilfe anbieten, wenn Menschen rassistisch in Bus oder Bahn attackiert werden. Und wir müssen verkrustete Strukturen und Handlungsroutinen aufbrechen, die am Arbeitsmarkt, im Gesundheitswesen oder im Behörden-Kontakt noch immer Gleiche ungleich behandeln.“
Diakonie-Präsident Lilie: „Diesem Lagebericht müssen nun Taten folgen."
Diakonie begrüßt Schwerpunktsetzung auf Rassismus
Die Diakonie Deutschland begrüßt, dass der Bericht erstmals einen Schwerpunkt auf Rassismus gegenüber Eingewanderten legt. Dazu erklärt Diakonie-Präsident Ulrich Lilie: "Rassismus und rassistische Diskriminierung sind nicht abstrakt, sondern konkret und schmerzvoll erfahrener Alltag für viele Menschen in Deutschland. Der Lagebericht zeigt in deutlicher Weise auf, dass Rassismus über persönliche Handlungen von Einzelnen hinaus in unseren gesellschaftlichen Strukturen und Prozessen tief verankert ist, die Schwarze Menschen und People of Color benachteiligen und ausgrenzen. Rassismus ist ein gesamtgesellschaftliches und zugleich immer wieder unser aller persönliches Problem. Gut, dass die Bundesregierung klare Worte findet: Es geht nicht nur um die Gewalt von ein paar verrückten Neonazis, sondern um institutionelle und strukturelle rassistische Diskriminierung, etwa im Bildungssystem, am Arbeits- oder Wohnungsmarkt. Darum müssen wir uns alle hinterfragen, aber besonders müssen Behörden – ihre ausführenden Organe und ihre Strukturen – jetzt auf den Prüfstand gestellt werden. Diesem Lagebericht müssen nun Taten folgen. Wir erwarten von der Bundesregierung einen klaren Fahrplan für das angekündigte Bundespartizipationsgesetz. Dazu zählen Vorgaben zu einer besseren Repräsentation eingewanderter Menschen im Öffentlichen Dienst und zur Gleichstellung von Menschen, die negativ von Rassismus und Diskriminierung betroffen sind."
"Vielfalt ist längst das neue Normal."
Das müsse auch für die aktuelle Debatte um die Ereignisse in der Silvesternacht in Berlin gelten. Lilie: "Attacken auf Polizei und Feuerwehr, die ihren Job machen, sind nicht hinnehmbar und müssen strafrechtlich und polizeilich verfolgt werden. Mit den Einsichten dieses Lageberichts sind aber auch Diskurse unvereinbar, die eine Auseinandersetzung mit den Ausschreitungen für rassistische Zuschreibungen missbrauchen. Die rassistischen Vorurteile, die in der Debatte um die Silvesternacht und einer vorschnellen und undifferenzierten Verbindung von Migration und Kriminalität sichtbar werden, sind weder gerechtfertigt noch zielführend. Vielfalt ist längst das neue Normal. Nur auf dieser Basis und mit einer Haltung des genauen Hinsehens und des gegenseitigen Respekts finden wir gemeinsam eine Lösung, ohne dass wir soziale Ungleichheiten verschärfen und fatale Ausgrenzungsmechanismen wiederholen."
Was ist der Lagebericht?
- Alle zwei Jahre legt die Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration dem Deutschen Bundestag einen Bericht zur Integration und Teilhabe in Deutschland vor.
- Der nunmehr 13. Lagebericht ist eine Premiere. Erstmals erscheint der Bericht als umfangreiche Darlegung zu Rassismus in Deutschland: mit Daten und Fakten, mit Analyse der Erscheinungsformen, mit Transparenz über Lücken in der Prävention, Forschung oder Beratung.
- Zudem stellt die Staatsministerin die Maßnahmen ihres Amtes als Antirassismus-Beauftragte und jene der gesamten Bundesregierung im Kampf gegen Rassismus vor.
Der Lagebericht steht hier zum Download zur Verfügung: www.integrationsbeauftragte.de/antirassismus