Studie: Unterschiede bei Einstellungen zu Migration in Europa

Für die MIDEM-Studie wurden im September und Oktober 2022 in zehn EU-Staaten insgesamt 20.403 Personen befragt.
Studie: Unterschiede bei Einstellungen zu Migration in Europa

Quelle: Mercator Forum Migration und Demokratie

Eine große Mehrheit der Europäerinnen und Europäer befürwortet die Aufnahme ukrainischer Geflüchteter. Allerdings könnte die Solidarität für die Ukraine durch die wirtschaftlichen und sozialen Folgekosten deutlich schrumpfen. Zudem erstreckt sich die Solidarität nicht auf alle Geflüchteten gleichermaßen. Zu diesen Ergebnissen kommt die neue Studie des Mercator Forum Migration und Demokratie (MIDEM).

Die Ergebnisse der in Zusammenarbeit mit dem Meinungsforschungsinstitut YouGov durchgeführten repräsentativen Umfrage zeichnen ein gemischtes Bild der europäischen Einstellungen zu Migration und Ukraine. Während die Aufnahme- und Hilfsbereitschaft für ukrainische Geflüchtete groß ist, überwiegt die Skepsis gegenüber Geflüchteten aus anderen Krisenregionen. Insbesondere gegenüber Zugewanderten aus vornehmlich muslimisch geprägten Ländern sind die Vorbehalte groß. Befragte äußerten hier stärkere Bedenken im Hinblick auf ihre Integrierbarkeit.

Kein Paradigmenwechsel im Umgang mit Geflüchteten

Für MIDEM-Direktor Professor Hans Vorländer steht fest: "Deutschland und auch ostmitteleuropäische Länder wie Polen haben große Aufnahmebereitschaft für ukrainische Geflüchtete gezeigt. Hier hat die Zivilgesellschaft Enormes geleistet. Auch die EU hat sich einig gezeigt, zum ersten Mal wurde die Massenzustrom-Richtlinie angewendet. Doch ist damit kein genereller Paradigmenwechsel in der europäischen Flüchtlings- und Migrationspolitik verbunden. Die Offenheit gegenüber ukrainischen Geflüchteten ist nicht gleichzusetzen mit einer Offenheit gegenüber allen Geflüchteten."

Migration wird in Europa mehrheitlich mit dem Wunsch nach Kontrolle und Begrenzung verknüpft. Dies gilt auch für Länder, denen in den vergangenen Jahren ein Trend zu größerer Migrationsoffenheit attestiert wurde. So fällt zum Beispiel in Schweden die Mehrheit der Befürworter einer grundsätzlichen Begrenzung der Zuwanderung besonders deutlich aus. "Die große Mehrheit der Befragten sind der Meinung, dass Migration das politisch konfliktträchtigste Thema ist – weit vor Wirtschafts- und Klimafragen", führt Vorländer weiter aus. Nur in Ländern wie Polen und Tschechien, die besonders viele Geflüchtete aus der Ukraine aufgenommen haben, rangiere das Thema Migration eher im Mittelfeld.

"Das Thema Migration birgt offenbar noch immer erheblichen gesellschaftlichen Zündstoff", sagt Christiane von Websky, Leiterin des Bereichs Teilhabe und Zusammenhalt der Stiftung Mercator. "Unser Ziel ist es, der gesellschaftlichen Spaltung vorzubeugen. Diese Studie leistet einen wichtigen Beitrag dazu, indem sie politischen Entscheidungsträgerinnen und -trägern Gefahren aufzeigt und einen differenzierten Blick auf Europa wirft", so von Websky. Die Stiftung Mercator hat Midem 2017 mitinitiiert und fördert seitdem das Forschungszentrum an der Technischen Universität Dresden.

Wirtschaftliche und soziale Folgekosten könnten Unterstützung für Ukraine schwächen

Es gibt Anzeichen dafür, dass die Unterstützung für die Ukraine durch die sich bereits jetzt abzeichnenden Folgen der Energiekrise bröckeln könnte. Der MIDEM-Befragung zufolge ist bereits jetzt nur eine knappe relative Mehrheit (40 Prozent) dafür, die Unterstützung für die Ukraine fortzusetzen, selbst um den Preis negativer wirtschaftlicher und sozialer Folgen. Jedoch sind 39 Prozent der Befragten eher der gegenteiligen Meinung, wonach die Unterstützung für die Ukraine wegen der negativen Folgen besser eingeschränkt werden sollte. Die geringste Bereitschaft, die Ukraine auch angesichts wachsender wirtschaftlicher Folgekosten in gleichem Umfang weiter zu unterstützen, besteht in Tschechien und Ungarn – aber auch in Ostdeutschland. "So könnte", folgert MIDEM-Direktor Vorländer, "in den nächsten Monaten ein Stresstest für die Solidarität mit der Ukraine anstehen."

Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschland

Generell werden signifikante Unterschiede im Hinblick auf Krieg und Migration zwischen Ost- und Westdeutschland deutlich. So zeigt die Befragung, dass im Osten mehr als ein Drittel der Befragten eine Teilschuld für den Krieg bei der NATO sieht – ähnlich wie in Tschechien und Ungarn. Damit unterscheidet sich die Stimmungslage in Ostdeutschland deutlich vom EU-Durchschnitt.  Auch die Zustimmung zu migrationskritischen Aussagen fällt im Osten Deutschlands stärker aus als im Westen.

Hintergrund
Die MIDEM-Studie setzt sich aus quantitativen und qualitativen Untersuchungen zusammen. Die Ergebnisse der quantitativen Untersuchung basieren auf einer Erhebung, die MIDEM in Zusammenarbeit mit dem Meinungsforschungsinstitut YouGov zwischen dem 16. September und 12. Oktober 2022 durchgeführt hat. Dabei wurden in zehn Staaten der Europäischen Union (Deutschland, Frankreich, Griechenland, Italien, Niederlande, Polen, Schweden, Spanien, Tschechien und Ungarn) insgesamt 20.403 Personen mit Hilfe regionaler Online-Access-Panels befragt. Der qualitative Teil der Studie bietet Einblicke und Hintergrundanalysen zur gesellschaftlichen und politischen Verarbeitung der ukrainischen Fluchtmigration in einigen der am meisten davon betroffenen Ländern: Deutschland, Polen, Slowakei, Tschechien und Ungarn. Die Studie wertete zu diesem Zweck Umfragen, politische Diskurse und politisch-administrative Maßnahmen aus.