Integrationsbeiräte: "Wir fordern mehr Mut zur Demokratie!"

Integrationsbeiräte: "Wir fordern mehr Mut zur Demokratie!"

Quelle: Arbeitsgemeinschaft der Ausländer-, Migranten- und Integrationsbeiräte Bayerns

Die Kosten für öffentliche Verkehrsmittel, verfügbare Kita-Plätze oder bezahlbarer Wohnraum – bei den anstehenden Kommunalwahlen 2020 spielen diese Themen in fast jeder Kommune für die Bürgerinnen und Bürger eine wichtige Rolle -und zwar unabhängig davon, welche Staatsangehörigkeit sie haben. Dennoch werden die Menschen, die hier leben, aber keinen EU-Pass besitzen, von der Wahl ausgeschlossen. Die bayerischen Integrationsbeiräte ändern dies – zumindest symbolisch.

7% der bayerischen Bevölkerung von Kommunalwahl ausgeschlossen

Eines der zentralen Elemente in der Demokratie ist das Wahlrecht, über das die Mitbestimmung des Volkes gewährleistet wird. Dennoch weist ausgerechnet Deutschland genau in diesem Punkt bis heute ein deutliches Defizit auf. Rund 4,5 Millionen volljährige Bürgerinnen und Bürger dürfen in Deutschland weder bei der Bundestagswahl noch bei Landtags- oder Kommunalwahlen wählen. Sie haben keinen deutschen und keinen EU-Pass, leben hier aber seit durchschnittlich 16 Jahren.
"Einen Teil der Bevölkerung von politischen Entscheidungen auszuschließen schwächt die Demokratie“, erklärt Mitra Sharifi Neystanak, Vorsitzende der AGABY (Arbeitsgemeinschaft der Ausländer-, Migranten- und Integrationsbeiräte Bayerns). Denn gerade in Zeiten, in denen sich rassistische Angriffe wie zuletzt der Vorfall in Hanau häufen und die AfD in immer mehr Parlamente einzieht, hat dieses Demokratiedefizit fatale Folgen.

Ausgerechnet die Personen, die von Rassismus und Diskriminierung am stärksten angegriffen werden und für die rechtsextreme und rassistische Parteien eine reale Bedrohung darstellen, haben somit kaum Möglichkeiten, sich auf politischer Ebene gegen diese Parteien zu schützen oder ihre Stimme zu erheben. In München betrifft dies beispielsweise rund 430.000 Steuern zahlende Bürgerinnen und Bürger. Bayernweit sind insgesamt etwa 7% der Wahlberechtigten mangels EU-Pass von der Kommunalwahl ausgeschlossen. Sowohl die Mehrheitsverhältnisse wie auch der politische Diskurs wird durch diesen systematischen Ausschluss einer gesamten Personengruppe, die immer mehr mit rassistischen Anfeindungen zu kämpfen hat, empfindlich verzerrt. 

Integration ohne aktive Beteiligungsmöglichkeiten?

Die gesetzliche Ausgrenzung bleibt auch im Hinblick auf die Integration nicht ohne Folgen. "Damit wird auch verhindert, dass Menschen, die hier leben, sich als Teil dieser Gesellschaft fühlen oder sich für die demokratischen Strukturen und Prozesse interessieren", gibt Sharifi zu Bedenken. Eine gelingende Integration setzt auch voraus, dass alle Beteiligten gleichermaßen an der Gestaltung des direkten Lebensumfeldes mitwirken können. "Der Ausschluss von dieser Möglichkeit markiert eine andauernde Nicht-Zugehörigkeit – egal wie integriert oder engagiert eine Person ist – und damit zu schmerzhaften Ausgrenzungserfahrungen", erklärt die gebürtige Iranerin, die seit über 30 Jahren in Deutschland lebt. Kommunales Wahlrecht für alle wäre für die Vorsitzende der AGABY ein Ausdruck gesellschaftlicher und politischer Gleichberechtigung und „ein längst fälliges Förderprogramm für Integration und für die Demokratie.“ In 16 von 28 EU-Staaten ist dies bereits unaufgeregte Praxis.

"Mehr Mut zur Demokratie!" - Solidarische Abstimmungen mehreren Bayerischen Städten

Pünktlich zur Kommunalwahl führen die Integrationsbeiräte in Bayern deshalb eine solidarische Abstimmung durch. Die Aktion findet im Rahmen der bundesweiten Kampagne „Hier lebe ich, hier wähle ich“ des Bündnisses „Wir wählen“ (wir-wählen.org) statt. Das deutschlandweite Netzwerk, das Teil einer europaweiten Bewegung ist, hatte bereits zur Bundestagswahl 2017 symbolische Wahlen in acht deutschen Städten durchgeführt.

Ähnliche Kampagnen gibt es beispielsweise auch in Malta oder dem Nachbarland Österreich. Bei diesen symbolischen Wahlen können alle Bürgerinnen und Bürger ohne deutschen Pass auf einem Wahlzettel in ausgewiesenen Wahllokalen Parteien und Abgeordnete wählen. Damit erfolgt nicht nur politische Bildung, sondern auch eine - zwar symbolische - aber sehr wichtige Gleichstellung derjenigen, die sonst keine demokratischen Teilhabemöglichkeiten haben. Bei den solidarischen Abstimmungen zu den symbolischen Wahlen sind alle zum Mitmachen aufgefordert. Auf einem Wahlzettel können alle Bürgerinnen und Bürger symbolisch über das kommunale Wahlrecht abstimmen und damit ihre Solidarität bekunden. "Wir fordern mehr Mut zur Demokratie!" fasst Mitra Sharifi die Botschaft der Kampagne zusammen.