Bundesweite Vorbereitungstagung zur Interkulturellen Woche mit Rekordbeteiligung – Prominentes Podium zur Asylpolitik
Frankfurt/Main. Mit einer Rekordbeteiligung ist am Samstag, 20. Februar, die bundesweite Vorbereitungstagung zur Interkulturellen Woche (IKW) zu Ende gegangen, die zum ersten Mal komplett digital stattfand. Bis zu 220 Haupt- und Ehrenamtliche aus dem gesamten Bundesgebiet, die vor Ort die IKW organisieren, setzten sich an zwei Tagen in unterschiedlichen Formaten dem Motto der Aktionswoche #offengeht auseinander.
Am Jahrestag des rassistischen Mordanschlags von Hanau am 19. Februar begann die Tagung mit einem Gedenken an die Opfer und ihre Familien. Beate Sträter, die stellvertretende Vorsitzende des Ökumenischen Vorbereitungsausschusses (ÖVA) zur Interkulturellen Woche, bezog sich in ihrem Beitrag auf die Erklärung, welche die Teilnehmenden der Tagung im vergangenen Jahr verabschiedet hatten und die nach wie vor aktuell ist. "Wir rufen dazu auf, dass Menschen vor Ort laut und vielfältig ihre Stimme gegen Nationalismus und Rassismus erheben. Wir rufen dazu auf, sich an die Seite von bedrängten und bedrohten Menschen zu stellen, kommunale Netzwerke und Aktionsbündnisse zu schließen und nicht zurückzuweichen", heißt es dort unter anderem.
Sträter stellte den direkten Bezug zur Interkulturellen Woche als wichtiger zivilgesellschaftlicher Initiative her, die seit Jahren kontinuierlich für eine freie und liberale Vielfaltsgesellschaft eintritt: "Die Interkulturelle Woche bietet eben jenen Menschen ein öffentliches Podium, die bedroht, diskriminiert oder in menschenfeindlicher Art attackiert werden. Sie steht für ein vielfältiges und solidarisches Miteinander in der Gesellschaft", sagte sie.
Das Tagungsprogramm startete nach der Begrüßung mit vier Impulsen. Prof. Dr. Karin Scherschel von der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt sprach zum Thema "Fluchtmigration zwischen Abwehr, Rassismus und Solidarität - Aktuelle gesellschaftliche Dynamiken". Anetta Kahane, die Vorstandsvorsitzende der Amadeu Antonio Stiftung redete über "Zivilgesellschaftliches Engagement gegen Gruppen-bezogene Menschenfeindlichkeit". Katja Dörner, Oberbürgermeisterin der Stadt Bonn und Mitglied im Präsidium des Deutschen Städtetages, gab einen Impuls "Zur Rolle von Kommunen beim Eintreten für Menschenrechte und Teilhabe", während sich der baden-württembergische Antisemitismusbeauftragte Michael Blume dem Thema "Die Bedeutung von zivilgesellschaftlichem Engagement gegen Antisemitismus" widmete.
Anschließend wurden in verschiedenen Arbeitsgruppen wichtige politische Themen diskutiert: Wie kann das Recht auf Familiennachzug für Geflüchtete bewahrt werden? Wie können Menschen verschiedener religiöser oder weltanschaulicher Überzeugungen zusammen Vorurteilen begegnen sowie Ausgrenzungen und Übergriffe verhindern? Das Pilotprojekt "Neustart im Team" wurde vorgestellt, bei dem sich Mentor*innengruppen zusammenfinden, um Geflüchteten die Aufnahme in Deutschland zu ermöglichen. Debattiert wurde über Ressentiments in der Bevölkerung und strukturellen Rassismus, über die Arbeitsbedingungen im Versandhandel und über kirchliche Strategien, mit der Neuen Rechten umzugehen. Antiziganismus war ebenso Thema wie Herausforderungen von IKW-Organisierenden bei der Planung der Aktionswoche 2021.
Zum Abschluss des ersten Tages wurde der Film "Wir sind jetzt hier" gezeigt, in dem Geflüchtete in berührender Weise von ihrem Ankommen in Deutschland berichten. Anschließend standen Regisseurin Ronja von Wurmb-Seibel und Protagonist Azim Fakhri für Publikumsfragen zur Verfügung.
Am Samstag widmete sich eine prominent besetzte Podiumsrunde dem Thema "Asylpolitische Perspektiven für Deutschland und Europa". Anlass war der 70. Jahrestag der Unterzeichnung der Genfer Flüchtlingskonvention. Moderiert von Pitt von Bebenburg (Frankfurter Rundschau) diskutierten Marie von Manteuffel von "Ärzte ohne Grenzen", der Migrationsforscher Gerald Knaus und PRO ASYL-Geschäftsführer Günter Burkhardt engagiert. "Wir erleben den tausendfachen Bruch des Völkerrechts an Europas Grenzen", sagte Burkhardt mit Blick auf die "Push-Backs" im Mittelmeer, bei denen Boote mit Geflüchteten auf dem Weg nach Europa wieder zurückgedrängt werden – eine Praxis, welche die Genfer Flüchtlingskonvention ausdrücklich verbietet. In der Analyse – auch der unhaltbaren Zustände in den Flüchtlingslagern in Griechenland und Bosnien-Herzegowina – war sich die Runde schnell einig. Über die notwendigen politischen Schritte, um die Situation zu verbessern, entwickelte sich eine lebhafte und spannende Debatte. Das Video der Podiumsdiskussion kann hier angeschaut werden.
Mit Blick auf die Bundestagswahl am 26. September 2021 – gleichzeitig der offizielle Beginn der IKW – hatten die Organisierenden fünf Bundespolitikerinnen und -Politiker eingeladen, die gebeten waren, zu für die Interkulturelle Woche zentralen Fragen ihre Ziele und Vorstellungen darzulegen. "Überzeugen Sie uns von Ihren Positionen", forderte Moderatorin Jutta Weduwen (Aktion Sühnezeichen Friedensdienste und Mitglied im Ökumenischen Vorbereitungsausschuss zur Interkulturellen Woche) die Politiker*innen auf. Erwartungsgemäß hatten Filiz Polat (Bündnis 90/Die Grünen), Ulla Jelpke (Die Linke), Stephan Thomae (FDP), Dr. Lars Castelucci (SPD) und Alexander Throm (CDU) dabei unterschiedlichen Erfolg bei den Tagungsteilnehmenden, die im Chat die Beiträge der Vortragenden konstruktiv kritisch mit ihren Fragen und Kommentaren begleiteten.
Zum Abschluss der Tagung wurden die Plakat- und Postkartenmotive für die Interkulturelle Woche 2021 vorgestellt, welche die Organisierenden vor Ort für ihre Öffentlichkeitsarbeit nutzen können. Diese stehen in Kürze auf www.interkulturellewoche.de/download zum Herunterladen bereit.
Friederike Ekol, Geschäftsführerin des Ökumenischen Vorbereitungsausschusses zur IKW, zieht ein positives Fazit der Veranstaltung: "Durch das digitale Format bot die bundesweite Tagung breite Partizipationsmöglichkeiten und ermöglichte den Gästen einen lebhaften und konstruktiven Austausch. Mit viel Energie und Motivation starten nun die Vorbereitungen in mehr als 500 Städten und Gemeinden für die diesjährige Interkulturelle Woche, die im Herbst wieder bundesweit wichtige politische Themen aufgreift aber auch in kreativen Formaten Begegnungen ermöglicht. Die IKW lässt uns eine Gesellschaft feiern, die ganz überwiegend friedlich und vielfältig zusammenlebt und sich solidarisch und offen gegenüber Neu-Dazukommenden zeigt."
Beate Sträter: „Es wird deutlich, dass wir das Thema des strukturellen Rassismus stärker in den Blick nehmen müssen: Das betrifft den Umgang mit Geflüchteten genauso wie die Prävention rechter Gewalttaten und den Kampf gegen Alltagsrassismus. Ein Zusammenleben in Vielfalt kann nur gelingen, wenn die Achtung der Menschenrechte Maßstab und Grundlage für politisches und gesellschaftliches Handelns ist."
Während der Interkulturellen Woche finden bundesweit jedes Jahr im September rund 5.000 Veranstaltungen in mehr als 500 Städten und Gemeinden statt. Sie ist eine Initiative der Deutschen Bischofskonferenz, der Evangelischen Kirche in Deutschland und der Griechisch-Orthodoxen Metropolie. Die IKW wird mit mitgetragen von Kommunen, Gewerkschaften, Wohlfahrtsverbänden, Migrantenorganisationen und zivilgesellschaftlichen Institutionen. Als Termin für die Interkulturelle Woche wird in diesem Jahr der Zeitraum vom 26. September bis 3. Oktober vorgeschlagen. Der bundesweite Auftakt findet am 26. September in Rostock statt, der nationale Tag des Flüchtlings ist am 1. Oktober.
Das komplette Tagungsprogramm finden Sie hier.