Am 27. September 2020 wurde in der Münchner Frauenkirche ein Ökumenischer Gottesdienst gefeiert, der den bundesweiten Auftakt der Interkulturellen Woche markierte. Charlotte Knobloch, die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, sendete dieses Grußwort, das verlesen wurde von Beate Sträter, der stellvertretenden Vorsitzenden des Ökumenischen Vorbereitungsausschusses zur Interkulturellen Woche:
Eminenz, hochverehrter Herr Kardinal Marx,
sehr geehrter Herr Landesbischof Bedford- Strohm,
sehr geehrter Herr Metropolit Augoustinos,
sehr geehrte Damen und Herren,
ich danke Ihnen vielmals für die Gelegenheit, mich heute zum bundesweiten Beginn der Interkulturellen Woche an Sie zu wenden. Am heutigen Abend, da die jüdische Gemeinschaft die ersten Stunden von Jom Kippur begeht, kann ich leider nicht persönlich bei Ihnen sein. Es ist mir dennoch eine besondere Freude, dass mit dieser Veranstaltung bei uns in München ein so wichtiges Zeichen gesetzt wird. Es kommt genau zur richtigen Zeit.
Denn die grundlegenden Werte unserer Gesellschaft und unseres friedlichen Zusammenlebens sind heute so gefährdet wie seit Langem nicht mehr. Die fundamentale Regel, dass Menschen – ganz gleich, welchen Glaubens – einander mit Respekt, Offenheit und Toleranz begegnen sollten, findet heute immer weniger Beachtung.
Stattdessen erleben wir, wie die Grundpfeiler unserer Gesellschaft mehr und mehr ins Bröckeln geraten. Wir erleben, wie Abgrenzung den Austausch ersetzt, wie Beleidigung und Beschimpfung an die Stelle des Miteinanders treten. Im persönlichen Austausch, aber auch beispielsweise in den Untiefen der Sozialen Medien herrscht ein Ton vor, der nicht mehr nur rau ist, sondern oft genug hasserfüllt und gefährlich.
Wir in der jüdischen Gemeinschaft haben das in den vergangenen Jahren besonders schmerzlich erfahren müssen – das sage ich mit Bedacht heute an Jom Kippur, da sich der Anschlag von Halle nach dem jüdischen Kalender zum ersten Mal jährt. Und auch viele andere Menschen in unserem Land erleben heute Ablehnung und Gewalt, auch sie fühlen sich nicht wertgeschätzt – oder auch nur sicher.
Eine Gesellschaft, die sich von den Werten entfernt, auf denen sie aufgebaut ist, kann nicht lange Bestand haben. Gemeinsam gegen den Hass anzugehen und den Hetzern mit Bestimmtheit und dem Selbstbewusstsein der Demokraten entgegenzutreten, ist die Aufgabe unserer Zeit.
Es ist naturgemäß vor allem eine Aufgabe der Politik – aber auch wir als gesellschaftliche Akteure sind und bleiben gefordert. Wo Menschen schikaniert, beleidigt, gewaltsam bedroht oder angegriffen werden, darf nicht Schweigen die Antwort sein. Die Verantwortung, die auch aus der Geschichte erwächst, verpflichtet jeden von uns – wiederum unabhängig von seinem Glauben – nicht tatenlos und stumm zu bleiben.
Vom berühmten jüdischen Gelehrten Hillel berichtet der Talmud, er habe einst auf Aufforderung das Wesen der gesamten Torah in einem einzigen Satz zusammengefasst - nämlich: "Was dir nicht lieb ist, das tue auch deinem Nächsten nicht." Von dieser Weisheit, die die Gesamtheit der abendländischen Ethik präzise zusammenfasst, können wir auch nach tausenden von Jahren noch viel lernen.
Und mehr noch, wir können nicht nur, wir müssen: Um mit lauter und vereinter Stimme für die Werte einzustehen, die uns gemeinsam ausmachen.
Ich wünsche mir, dass dafür von dieser Woche ein starkes Signal ausgeht. Ich wünsche den Beteiligten viel Glück und Erfolg und uns allen G’ttes Segen. Vielen Dank.