Umsetzungslücken bei der UN-Antirassismuskonvention

Dieses Motiv für die Interkulturelle Woche 2024 widmet sich dem Thema Rassismus. © ÖVA
Umsetzungslücken bei der UN-Antirassismuskonvention
Vereinte Nationen machen auf den Verbesserungsbedarf bei der Bekämpfung von rassistischer Diskriminierung in Deutschland aufmerksam
Johannes Brandstäter

Auch in einer von vielen mit Recht als Erfolg angesehenen Demokratie wie der in Deutschland gibt es manchmal Schwachstellen, die für die betroffenen Bevölkerungsgruppen schmerzhaft sind. In diesem Text geht es um den Verfassungsgrundsatz der Gleichheit vor dem Gesetz. Eine Fachstelle der Vereinten Nationen hat auf den Verbesserungsbedarf bei der Bekämpfung von rassistischer Diskriminierung aufmerksam gemacht und eingefordert, dass die Missstände behoben werden. Passend zum Tag der Menschenrechte am 10. Dezember 2023 stellte die Fachstelle im Überprüfungsverfahren zur Einhaltung der UN-Antirassismuskonvention Umsetzungslücken fest. Priorität misst sie den Feldern Hassrede und ihrer konsequenten Bestrafung bei, der Bekämpfung rassistischer Organisationen und Parteien wie der AfD, gesetzlichen Maßnahmen gegen Racial Profiling, Vorkehrungen gegen Diskriminierungen im Bildungssystem sowie Regulierungen von Künstlicher Intelligenz gegen diskriminierende Wirkungen.

Zusammenfassung

Auch in einer grundsätzlich funktionierenden und von vielen mit Recht als Erfolg angesehenen Demokratie wie der in Deutschland gibt es manchmal Schwachstellen, die für die betroffenen Bevölkerungsgruppen schmerzhaft sind. Es geht um den Verfassungsgrundsatz der Gleichheit vor dem Gesetz. Eine Fachstelle der Vereinten Nationen hat auf den Verbesserungsbedarf bei der Bekämpfung von rassistischer Diskriminierung aufmerksam gemacht und eingefordert, dass die Missstände behoben werden.
Passend zum Tag der Menschenrechte am 10. Dezember 2023, an dem sich Deutschland an den 75. Geburtstag der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte erinnerte, stellten die Vereinten Nationen in ihren Schlussbemerkungen im Überprüfungsverfahren zur Einhaltung der Antirassismuskonvention Umsetzungslücken fest. Auf zwölf Seiten gibt der zuständige Vertragsausschuss CERD (Committee on the Elimination of Racial Discrimination) der Bundesrepublik ein kritisches Feedback und klare Empfehlungen mit auf den Weg. Priorität misst CERD den Feldern Hassrede und ihrer konsequenten Bestrafung bei, der Bekämpfung rassistischer Organisationen und Parteien wie der AfD, gesetzlichen Maßnahmen gegen Racial Profiling, Vorkehrungen gegen Diskriminierungen im Bildungssystem sowie Regulierungen von Künstlicher Intelligenz gegen diskriminierende Wirkungen (Ziffer 58).

Dieser Beitrag fasst die wichtigsten Themen und Empfehlungen zusammen:

Statistik und Gleichstellungsdaten (Ziffern 5 und 6) und community-basierter Ansatz

CERD bemängelt, dass im standardmäßig verwendeten Begriff des Migrationshintergrunds Minderheiten ausgeschlossen werden, die seit Jahrhunderten in Deutschland leben. CERD wiederholt seine Empfehlung von 2015, demografische und sozioökonomische Daten spezifisch zu den rassistisch markierten Communities vorzulegen. Besonders hebt CERD das für die Roma und Sinti hervor (Ziffer 27 und 28).

CERD geht ausführlich auf die Belange der einzelnen Communities ein (Ziffern 27 – 40). Hierzu gehört selbstverständlich u. a. die jüdische Gemeinschaft, auch wenn die Bundesregierung in ihrem „Lagebericht Rassismus in Deutschland“ von Januar 2023 Antisemitismus eigentlich nicht als Form von Rassismus ansieht.

Außerdem geht CERD auch auf die Diskriminierung von nicht-deutschen Staatsangehörigen ein. Der Ausschuss beanstandet die Gewalttaten gegen Asylunterkünfte, die Leistungseinschränkungen gemäß Asylbewerberleistungsgesetz und die Residenzpflicht. Schließlich widmet sich CERD den irregulär sich aufhaltenden Menschen und ermahnt dazu, ihre ausbeuterischen Arbeitsbedingungen zu verbessern und einen geschützten Zugang zu ihren Rechten zu gewährleisten.

 


Ideen für Veranstaltungen der Interkulturellen Woche

  • Laden Sie postmigrantische und/oder migrantische Organisationen ein wie z. B. die Initiative Schwarze Menschen in Deutschland sowie eine Vertretung der Länderpolizei.
  • Laden Sie das Baudezernat der Kommune ein und diskutieren sie, wie die Stadt neuen bezahlbaren Wohnraum schafft und nach welchen Gesichtspunkten der Wohnraum an Geflüchtete und andere bedürftige Menschen vergeben wird.
  • Bringen Sie zum Thema "Recht auf Bildung" Schulleitungen und postmigrantische und/oder migrantische Organisationen an einen Tisch. Befragen Sie Landtagsabgeordnete, wie sie ausreichend Ressourcen für das Bildungswesen bereitstellen wollen.
  • Stellen Sie in einer Veranstaltung zum Thema "Diskriminierungsfreies Recht auf Gesundheit" den Bericht des Deutschen Zentrums für Integrations- und Migrationsforschung (DeZIM) "Rassismus und seine Symptome" vor, unter Einbeziehung der Erfahrungen eines Krankenhauses von zum Beispiel Caritas oder Diakonie und einer regionalen postmigrantischen und/oder migrantischen Organisation.
  • Für Veranstaltungen zum Thema Armut: Das DeZIM-Institut hat am 7. Mai 2024 einen Kurzbericht zu "Grenzen der Gleichheit: Rassismus und Armutsgefährdung" vorgelegt. Der Bericht stellt dar, wie asiatische, muslimische und Schwarzen Menschen besonders von Armut bedroht sind, selbst bei hohen Bildungsabschlüssen. Laden Sie für Veranstaltungen Angehörige dieser Bevölkerungsgruppen ein sowie die Mitarbeiter:innen der Studie vom DeZIM.

Beide oben genannten Berichte des DeZIM arbeiten erstmals die Besonderheiten der Diskriminierungen von Schwarzen, muslimischen oder asiatischen Communities heraus – ganz entsprechend, wie CERD es vom deutschen Vertragsstaat schon lange fordert.


 

Tatsächliche Anwendung des Übereinkommens (Ziffern 7 und 8)

CERD stellt die sehr grundlegende Frage, ob das Übereinkommen in der Praxis der deutschen Rechtsordnung überhaupt Anwendung findet, da es an Information fehle, wie oft und in welchen Fällen auf seine Bestimmungen von den Gerichten Bezug genommen wurde. Insbesondere zeigt sich CERD befremdet darüber, dass der deutsche Vertragsstaat die Empfehlungen von CERD zum Fall Sarrazin von 2010 nicht voll umgesetzt habe. (Ziffern 9 und 10)

Die Anwendung des Übereinkommens betrifft nicht nur die Bekämpfung rassistischer Propaganda, sondern auch die Gleichstellung. Rassistisch diskriminierte Communities sollen nicht nur eine allgemein rechtliche, sondern auch eine tatsächliche Gleichstellung erfahren, die über "Besondere Maßnahmen" (Special Measures; auch Affirmative Action oder Positive Maßnahmen genannt)1  zu erreichen ist.

Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (Ziffern 13 und 14, 41 und 42)

CERD fordert, das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) auf Diskriminierungen von öffentlichen Stellen auszudehnen und kritisiert, dass noch nicht alle Bundesländer eigene Antidiskriminierungsstellen eingerichtet  haben. Empfohlen wird, die Möglichkeiten zur Klage und Wiedergutmachung zu verbessern.

Rassistische Hassvergehen und Propaganda nach Art. 4 (Ziffern 15 und 16)

Der UN-Fachausschuss ermahnt den deutschen Vertragsstaat, sich mehr Mühe zu geben bei der Bekämpfung von rassistischem Hass. Er empfiehlt, geeignetes gesetzliches Regelwerk zu schaffen und die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen zu intensivieren sowie die Taten zur Verurteilung und Bestrafung zu bringen.
CERD fordert aufgrund des Artikels 4 auch, gegen die AfD und der Verbreitung von rassistischem Hass durch diese Partei vorzugehen.

Racial Profiling und Polizeigewalt (Ziffern 17 und 18)

CERD greift erneut das Thema Polizei auf und fordert ein "absolutes Verbot von Racial Profiling" und klare polizeidienstliche Umsetzungsbestimmungen. Gefordert sind unabhängige Beschwerdemechanismen, um Polizeigewalt entgegenwirken zu können. Der deutsche Vertragsstaat liegt hier mit CERD, sowie auch mit der ECRI (Europäische Kommission gegen Rassismus und Intoleranz im Rahmen der Europäischen Menschenrechtskonvention) über Kreuz. Die geplante Reform des Bundespolizeigesetzes könnte indes dafür sorgen, dass CERD auch im nächsten Staatenberichtszyklus Deutschland wieder zur Umsetzung der Konvention ermahnt. Denn laut Kabinettsbeschluss, so kritisierte am 20. Dezember 2023 die Antidiskriminierungsbeauftragte Ferda Ataman, sollen verdachtsunabhängige Personenkontrollen aufgrund des äußerlichen Erscheinungsbilds bei Vorliegen eines nicht näher definierten "sachlichen Grunds" rechtmäßig werden.  

Zugang zu sozialen Rechten (Ziffern 19-24)

Für die Wohlfahrtspflege relevant sind insbesondere die sozialen Rechte und die Zugänge dazu, die von der Konvention in Artikel 5 geschützt sind. Beeinträchtigungen finden sich laut CERD bei Beschäftigung, angemessener Wohnraumversorgung, Gesundheitsversorgung und Bildung, besonders auch für die Gruppe der Roma und Sinti. Beim Zugang zu Wohnraum fordert CERD wie auch schon 2015 die Abkehr von § 19-3 im AGG . Beim Recht auf Bildung fordert CERD Maßnahmen gegen die fehlenden Schulabschlüsse, von denen mehrheitlich Angehörige von diskriminierten Minderheiten betroffen sind, und verbesserten Zugang zur vorschulischen Bildung.

Fortgang der Staatenberichterstattung

Die Bundesregierung soll dem UN-Ausschuss bereits innerhalb eines Jahres zur Umsetzung von folgenden Empfehlungen berichten: über Verbesserungen des AGG, über die Aufhebung der Restriktionen des Asylbewerberleistungsgesetzes, über die Aufhebung der Übermittlungspflicht von Informationen über irregulär sich Aufhaltende an die Ausländerbehörde sowie über die Abkehr von der Residenzpflicht. Der nächste turnusgemäße Staatenbericht ist am 15. Juni 2027 fällig (Ziffern 57 und 59), dort ist auch über die Umsetzung der übrigen Empfehlungen zu berichten.

Hintergrund
Der UN-Antirassismusausschuss (Committee on the Elimination of Racial Discrimination, CERD) ist das mit Fachpersonen besetzte Vertragsorgan der Vereinten Nationen, das für die Überwachung der Einhaltung des Internationalen Übereinkommens zur Beseitigung jeder Form von rassistischer Diskriminierung verantwortlich ist. Dieser Menschenrechtsvertrag dient seit mehr als 50 Jahren der Verhinderung und Bekämpfung rassistischer Diskriminierung und wurde mittlerweile von 180 Staaten ratifiziert. Die Konvention soll sicherstellen, dass Menschen rechtlich, aber auch tatsächlich vor rassistischer Diskriminierung geschützt werden. Bis Ende 2023 gab es ein deutsches Mitglied, Prof. Dr. Mehrdad Payandeh.


1 General recommendation No. 32, The meaning and scope of special measures in the International Convention on the Elimination of All Forms Racial Discrimination. Quelle
2 § 19 Abs. 3 AGG erlaubt bei der Vermietung von Wohnraum Ungleichbehandlungen zugunsten „sozial stabiler Bewohnerstrukturen“, „ausgewogener Siedlungsstrukturen“ und „ausgeglichener wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Verhältnisse“. Diese Regelung ermöglicht, dass beim Abschluss von Mietverträgen rassistisch motivierte Ungleichbehandlungen nicht notwendigerweise sanktioniert werden können. Quelle

Weitere Informationen

Johannes Brandstäter
Foto: ÖVA / Nils Bornemann

Johannes Brandstäter ist Referent für migrationspolitische Grundsatzfragen beim Diakonie-Bundesverband und Mitglied im Ökumenischen Vorbereitungsausschuss zur Interkulturellen Woche

Kontakt: johannes.brandstaeter@diakonie.de