Trialog-Predigt zur Manna-Geschichte mit aktuellen Bezügen

Bischof Emmanuel von Christoupolis, Landesbischöfin Heike Springhart und Erzbischof Stephan Burger (v. l.) hielten eine Trialog-Predigt. Foto: ÖVA
Trialog-Predigt zur Manna-Geschichte mit aktuellen Bezügen
Aus dem ökumenischen Gottesdienst zur bundesweiten Eröffnung der Interkulturellen Woche 2022 in Heidelberg

Beim ökumenischen Open-Air-Gottesdienst zur bundesweiten Eröffnung der Interkulturellen Woche am 25. September 2022 in Heidelberg hielten Erzbischof Stephan Burger (Freiburg), Bischof Emmanuel von Christoupolis (Vikarbischof der Griechisch-Orthodoxen Metropolie von Deutschland) und Landesbischöfin Heike Springhart (Evangelische Kirche in Baden) eine Trialog-Predigt zur Manna-Geschichte und ihren aktuellen Bezügen.

 

Erzbischof Burger:

Liebe Schwestern, liebe Brüder,

ein wesentliches Element unseres heutigen Ökumenischen Gottesdienstes wird eine Agapefeier sein: Wir segnen Brot und teilen es miteinander als Zeichen der Gemeinschaft und des gemeinsamen, uns verbindenden christlichen Glaubens.

Brot ist mehr als nur ein Gemisch aus Mehl, Salz, Hefe und Wasser, das unter Einwirkung von Hitze zu etwas Essbarem, Schmackhaften wird. Brot ist ein Lebensmittel, aber es steht auch als das Lebensmittel schlechthin für alles, was wir zum Leben und Über-Leben brauchen. Was uns am Leben hält und damit nicht nur satt macht, sondern auch erfüllt, zufrieden und glücklich leben lässt.

Eine ebenso eindrückliche wie auch erhellende Erzählung hierzu finden wir in der Heiligen Schrift, näherhin im Buch Exodus. Das Volk Israel – mit Gottes und Moses Hilfe der Herrschaft des Pharao in Ägypten entkommen – befindet sich auf der Flucht. Der Weg durch die Wüste wird immer mühsamer, die Vorräte gehen zur Neige. Unmut und Missstimmung breitet sich aus… In dieser Situation greift Gott erneut in das Geschehen ein. Da heißt es dann im 16. Kapitel des Buches Exodus:

"Der HERR sprach zu Mose:

12 Ich habe das Murren der Israeliten gehört. Sag ihnen: In der Abenddämmerung werdet ihr Fleisch zu essen haben, am Morgen werdet ihr satt werden von Brot und ihr werdet erkennen, dass ich der HERR, euer Gott, bin.
13 Am Abend kamen die Wachteln und bedeckten das Lager. Am Morgen lag eine Schicht von Tau rings um das Lager.
14 Als sich die Tauschicht gehoben hatte, lag auf dem Wüstenboden etwas Feines, Knuspriges, fein wie Reif, auf der Erde.
15 Als das die Israeliten sahen, sagten sie zueinander: Was ist das? Denn sie wussten nicht, was es war. Da sagte Mose zu ihnen: Das ist das Brot, das der HERR euch zu essen gibt.
16 Das ordnet der HERR an: Sammelt davon so viel, wie jeder zum Essen braucht, ein Gomer für jeden, entsprechend der Zahl der Personen in seinem Zelt!
17 Die Israeliten taten es und sammelten ein, der eine viel, der andere wenig.
18 Als sie die Gomer zählten, hatte keiner, der viel gesammelt hatte, zu viel, und keiner, der wenig gesammelt hatte, zu wenig. Jeder hatte so viel gesammelt, wie er zum Essen brauchte."

Soweit die Worte der Heiligen Schrift.

Gott gibt den Israeliten Brot vom Himmel, nicht zu viel, aber auch nicht zu wenig. Er gibt ihnen, was sie zum Leben brauchen. Und stärkt sie damit nicht nur an ihrem Leib, sondern auch in ihrer Seele: Weil in ihnen die Gewissheit Raum greift, dass auf Gott immer Verlass ist. Dass sie ihm unbedingt vertrauen können.
Wenn nun auch tausende von Jahren zwischen dieser Erzählung und dem Hier und Heute unseres Lebens liegen, so sind uns die darin geschilderten Erfahrungen nicht fremd…

Bischof Emmanuel:

Liebe Schwestern und Brüder, liebe Mitfeiernde und Mitbetende hier in Heidelberg,

der soeben von Erzbischof Burger so eindrücklich uns nahgebrachte Predigttext steckt voller wunderbarer theologisch-kulinarischer Hinweise. Ja, Sie haben richtig gehört: Glaube geht durch den Magen, im übertragenen und auch im tatsächlichen Sinn. Und Glaube macht Appetit auf mehr. Die Frage ist: wie viel "Mehr" vertragen wir beim Anblick der Herausforderungen unserer Zeit?

Hier ist nun ein persönliches Zeugnis der Verwirrung und Verwunderung:

Gott besänftigt die Murrenden – "Meine Generation hat zum Glück nie einen Krieg erlebt!" Spätestens seit dem 24. Februar ist dieser Satz nicht mehr aktuell! Unsere Welt und alle in ihr lebenden Generationen, weit über die Grenzen der Ukraine hinaus, erleben einen Krieg, der hohe Wellen der Zerstörung und des Chaos schlägt, aber auch der Ratlosigkeit. Menschen sind auf der Flucht, scheinbar perspektivlos verlassen sie ihre Heimat auf der Suche nach Hoffnung. Sie brauchen Nahrung und Obdach, aber auch Trost, Unterstützung und eine Perspektive. Wir alle sind aufgerufen, diesen Menschen ein gutes, auf Respekt, Rücksicht und Verständnis basiertes Miteinander, nicht "neben-, über- oder untereinander" zu ermöglichen. Sind wir dazu bereit, vor allem wenn der Krieg länger anhält als vorausgesagt? Ich bin verwirrt und frage mich, ob das zu schaffen ist…

Gott liebt die Friedfertigen – Nicht nur weltfremde Ideologien und Größenwahn sind an den Konflikten und Kriegen in unserer Welt schuld. Sie alle sind die Folge einer auf Überfluss und unkontrollierten Konsum fixierten Gesellschaft. Einer Gesellschaft, der jegliches Maß, jeglicher Skrupel, jegliche Menschlichkeit abhandengekommen zu sein scheint. Einer Gesellschaft, die ihre Beziehung zu Gott in Frage stellt und sich mitunter über ihn stellen möchte. Die Lebensmittelknappheit, die ganze Länder und Millionen Menschen bedroht, zeugt unter anderem von der Maßlosigkeit unserer Zeit. Nicht erst der Krieg hat für Armut in den so genannten Dritte-Welt-Ländern gesorgt. Unser unverantwortlicher Umgang mit den immer knapper werdenden Ressourcen zeugt davon, dass wir die Schönheit und Einzigartigkeit der Schöpfung vergessen haben. Die Grundlage unseres Umgangs miteinander ist nicht die Liebe, sondern das Misstrauen, der Egoismus und stete Forderungen nach "MEHR"! Dabei müssen wir eines erkennen: auch wir sind Teil dieser Schöpfung, in der nicht nur Ressourcen und Energie, sondern auch und vor allem der Frieden immer knapper wird. Ich wundere mich über die Unreife unserer Zeit…

Gott ist mehr als ein Gomer – er ist Nahrung für alle!

Ein Gomer, das ist laut Lexikon ungefähr 2,2 bis vier Liter Flüssigkeit oder Speise, je nach Lesart und Quelle. Ein Gomer soll jeder Mensch für die kommenden Generationen verwahren. Das ist nicht besonders viel. Doch diese Aufgabe fordert uns wohl am meisten heraus. An der Quelle der Güte, der Liebe und des Heils, an Gott werden alle satt. Er will uns zu seinen Werkzeugen machen, damit auch dieses Vermächtnis für die Nachwelt erhalten bleiben kann. Mich fordert besonders eine Frage heraus, vielleicht auch einige von Ihnen: Warum ist erst ein Krieg nötig, damit wir die Frage nach dem richtigen Umgang mit Energie, Grundnahrungsmitteln, Wasser, Öl etc. offen diskutieren (diverse Hygieneartikel, die mit Vorliebe gehamstert werden, gehören übrigens nicht zu Grundnahrungsmitteln)? Warum herrschen Angst, Unsicherheit, Ungewissheit, wo wir uns doch unserer Errungenschaften und unseres Sinnes für Gerechtigkeit rühmen? Die Antwort ist: ES IST NICHT ALLES GUT! BEI WEITEM NICHT! Grund dieser Krise ist unser gestörtes Verhältnis zur Umwelt, zur Natur, zum Mitmenschen und zu Gott. Eine Jede und eine Jeder braucht vor allem jetzt, auch hier in Deutschland, das so vielen Menschen verschiedenster Herkunft und Religion zur Heimat geworden ist, eine gerechte Zuteilung von den besonderen Gütern, nicht nur den materiellen, die Gott uns verspricht und schenkt. Vor allem aber, brauchen wir einander! Lassen Sie uns demütig auf Gottes Werk schauen und es gemeinsam genießen.

Ist das etwa zu verwirrend, wenn wir gemeinsam Gott darum bitten?

Vielleicht können Sie, liebe Frau Landesbischöfin, mir aus meiner Verwirrung helfen…?

Landesbischöfin Springhart:

Manchmal sind die Augen größer als der Hunger. Das war bei den Israeliten in der Wüste nicht anders als an Familientischen. Vor allem aber gehört es zu den großen Herausforderungen für ein gerechtes und gutes Leben für alle. Wie können wir mit dem, was da ist, so umgehen, dass es für alle gut ist? Dass alle satt werden und nichts umkommt. Die Ansage Gottes in den Wüsten ist klar: "Sammelt jeder so viel, wie jeder zu essen braucht. Einen Krug pro Kopf." Soviel wie es braucht, um den Hunger zu stillen.

Gottes Auftrag lautet: "Nimm, so viel du brauchst. Du sollst nicht hungern. Du sollst aber auch nicht horten oder verschwenden." Nicht erst seit den Klopapierhamsterkäufen dank Corona ist klar, dass darin eine ziemliche Zumutung steckt. Gerade wenn die Zeiten unsicher sind, versuchen wir langfristig zu planen, uns abzusichern, die Vorratsräume zu füllen. Zeitlebens hatten meine Großeltern Unmengen von Kartoffeln im Keller. Weil sie wussten: es können auch Hungerzeiten kommen, Krieg und Flucht. Sie hätten nie etwas verschwendet. Aber die Angst vor erneutem Mangel hat sie durchaus Kartoffeln horten lassen.

Es braucht viel Gottvertrauen und Vertrauen ins Leben, um sich zu begrenzen. Darauf zu setzen, dass es reicht – das Brot im Schrank, die Liebe, die andere für mich im Herzen tragen, die Zeit, die sie mir schenken. Dass es reicht und dass alle gut leben können.

Manna, das Brot, das wir zum Leben brauchen reicht über das täglich Brot hinaus. Es ist Himmelsbrot. Gottes Zuwendung zu uns. Meine Lebenszeit und Zeit für andere. Offen geht. Der Himmel ist offen für uns. Halten wir unsere Herzen offen – für das, was Gott uns schenkt. Sein Wort, seine Liebe und den Mut und die Kraft zum Leben.
Gott versorgt uns alle, die Seinen mit Brot für den Leib und für die Seele. Im Krieg und bei täglichen Ausgrenzungen ist das wie Himmelsbrot. Wir erleben den offenen Himmel, wenn wir mit anderen das teilen, was wir zum Leben brauchen – unabhängig davon, woher sie kommen. Dann schmecken und sehen wir die Fülle von Gottes Segen. Und schmecken und sehen, dass wir Vielen und Vielfältigen eins werden.

Offen geht. Und offen muss gehen. Auch in unserem Land. Wir müssen unsere Städte und Kommunen, unser Land offen dafür halten, dass Menschen Aufnahme finden, die Schutz suchen und Schutz brauchen. Offen sein heißt auch Menschen ein Bleiberecht zu ermöglichen, die schon lange hier mit uns und unter uns leben. Menschen, die als Pfleger in Kliniken arbeiten, die in Lohn und Brot stehen, die gut integriert sind. Menschen, die auch dann nicht zurück in ihre Herkunftsländer können, wenn ihr Asylantrag abgelehnt wurde. Sie müssen ein Bleiberecht haben. Dass wir diese Menschen abschieben, ist ein Skandal.

Offen geht. Eine offene Gesellschaft geht. Als Christinnen und Christen in der Gemeinschaft der Kirchen halten wir den Himmel offen. Halten wir auch die Herzen offen! Für Mitmenschlichkeit und Barmherzigkeit. Damit alle unter Gottes offenem Himmel leben können. Frei und versorgt mit dem, was es zum Leben braucht.

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