DeZIM: Diese Hürden gibt es beim Zugang zu Engagement

DeZIM: Diese Hürden gibt es beim Zugang zu Engagement

Quelle: Deutsches Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung 

Forschende des DeZIM-Instituts haben am neuen Engagementbericht der Bundesregierung mitgewirkt. Und der zeigt: Wenn sich Menschen mit Migrationshintergrund einbringen, bleibt das oft unsichtbar. 

Freiwilliges Engagement ist für alle da - aber nicht für alle gleich zugänglich. Neben niedrigem Einkommen und geringer Bildung kann auch der Migrationshintergrund (MH) ein Faktor für weniger Aktivität in Vereinen oder festen Zusammenschlüssen sein. Menschen mit MH sind seltener in offiziellen Engagementstrukturen eingebunden als Personen ohne MH. Das ist einer der Befunde, die mithilfe des DeZIM.panels für den Vierten Engagementbericht der Bundesregierung erhoben wurden. 22,1 % aller, die in formellen Strukturen aktiv sind, haben einen MH, wohingegen 77,9 % keinen MH haben. Dabei liegt der Anteil von Menschen mit MH in der Gesamtbevölkerung bei etwa einem Drittel, sie sind in Vereinen und Verbänden also unterrepräsentiert

Menschen mit Migrationshintergrund (MH) sind seltener in offiziellen Engagementstrukturen eingebunden als Personen ohne Migrationsgeschichte. Das ist einer der Befunde, die mithilfe des DeZIM.panels für den Vierten Engagementbericht der Bundesregierung erhoben wurden. 22,1 % aller, die in formellen Strukturen aktiv sind, haben einen MH, wohingegen 77,9 % keinen MH haben. Dabei liegt der Anteil von Menschen mit MH in der Gesamtbevölkerung bei etwa einem Drittel, sie sind in Vereinen und Verbänden also unterrepräsentiert.

Warum ist freiwilliges Engagement so ungleich verteilt? Das ist die zentrale Frage des Berichts, den Bundesfamilienministerin Lisa Paus am Mittwoch vorgestellt hat. Eine neunköpfige Sachverständigenkommission unter Vorsitz von Prof. Dr. Chantal Munsch (Universität Siegen) und mit Beteiligung von Prof. Dr. Sabrina Zajak, Abteilungsleiterin am DeZIM-Institut, hat mittels der Auswertung vorhandener Daten, der Erhebung neuer Daten und Gesprächen mit Freiwilligen sowie Vertreter:innen gesellschaftlicher Organisationen Antworten gefunden.

Einflussfaktoren auf freiwilliges Engagement

"An mangelnder Motivation und Hilfsbereitschaft liegt es nicht", sagt Sabrina Zajak. "Wenn man freiwilliges Engagement außerhalb von Vereinen und Organisationen betrachtet, besonders die informelle Unterstützung etwa in der Nachbarschaft, sind Menschen mit Migrationshintergrund gemessen an ihrem Bevölkerungsanteil sogar deutlich überrepräsentiert." 38,3 % der nur informell Engagierten haben einen Migrationshintergrund, helfen auf diese Weise anderen und gestalten ihr Umfeld mit. "Aber diese Formen von solidarischem Handeln werden durch die gängigen Definitionen im Freiwilligensurvey bisher nicht sichtbar gemacht." Dadurch könne sich das Vorurteil verfestigen, Menschen mit MH würden nicht helfen wollen – was gesellschaftliche Spaltung schürt und weitere Diskriminierung fördert.

Der höhere Anteil informell Engagierter mit MH ist laut Bericht auch darauf zurückzuführen, dass es viele Hürden gibt, die den Zugang zu offiziellen Strukturen erschweren. So wird etwa Diskriminierung im Engagement seltener erlebt als in anderen Situationen wie etwa am Arbeitsplatz, aber innerhalb von offiziellen Strukturen häufiger (12 %) als informellen Strukturen (6,6 %). Dabei zeigt sich, dass Geschlecht und MH hier eine Rolle spielen. Wie viel jemand verdient, wie alt die Person ist und ob sie eine Behinderung hat, steht laut der Erhebung in keinem Zusammenhang mit subjektiven Diskriminierungserfahrungen im Engagement. Mitunter wird aber beobachtet, dass erlebte Diskriminierungen auch ein Anreiz sein kann, aktiv zu werden.

Zentral für den Weg ins freiwillige Engagement sind Netzwerke, aus denen heraus neue Freiwillige rekrutiert werden. In der Befragung des DeZIM.panel gaben 18,3 % der Befragten mit MH an, schon einmal von einem Verein oder einem Verband gefragt worden zu sein, ob sie sich engagieren wollen. Unter den Befragten ohne MH machten immerhin 23,2 % diese Erfahrung. "Das passt zu anderen Forschungsergebnissen, nach denen Ähnlichkeit bei der Rekrutierung eine große Rolle spielt", erklärt Sabrina Zajak. Wer als "fremd" wahrgenommen wird, bekommt mit geringerer Wahrscheinlichkeit derlei Anfragen. Dies wird verstärkt durch den Umstand, dass Menschen mit Migrationshintergrund in ihrem Umfeld weniger Menschen kennen, die sich engagieren – und von denen sie rekrutiert werden könnten.

Mangelndes Zutrauen und Diskriminierung

Und auch mangelndes Zutrauen spielt eine Rolle: Laut der Erhebung im DeZIM.panel wird dies eher als Engagementhürde wahrgenommen, als etwa fehlende Sprachkenntnisse oder Sorge vor Anfeindungen. Fehlendes Zutrauen steht laut den Daten in Zusammenhang mit erlebter Diskriminierung. "Das unterstützt bestehende Vermutungen, dass sich jemand, dem immer wieder Fähigkeiten abgesprochen wurden, weniger wahrscheinlich engagieren wird", erklärt Sabrina Zajak. Auch werden Menschen, die anderen als Migrant:innen wahrnehmen, von Engagementorganisationen eher als Empfänger:innen von freiwilliger Hilfe angesehen, weniger als kompetente Aktive.

"Mangelnde Zugangsmöglichkeiten ins Engagement dürfen wir als Gesellschaft nicht hinnehmen. Denn Engagement bedeutet nicht nur, sich für das Gemeinwohl einzusetzen, sondern auch das Zusammenleben konkret zu gestalten und Interessen einzubringen", betont Sabrina Zajak. "Gleichberechtigte Teilhabe ist wichtig für eine Demokratie, die Vielfalt anerkennt. Darum müssen wir uns auch weniger offensichtlicher Barrieren bewusst werden und sie abbauen." Der Engagementbericht liefert umfangreiche Empfehlungen für Politik, Zivilgesellschaft und Wissenschaft, die dazu beitragen können, Zugangshürden und Diskriminierung abzubauen.

Im Überblick
 
•    22,1 % der formell Engagierten haben einen MH, 77,9 % haben keinen MH.
 
•    38,3 % der nur informell Engagierten haben einen Migrationshintergrund, 61,7 % haben keinen MH.
 
•    Informelles Engagement bislang kaum erfasst und somit unsichtbar.
 
•    Diskriminierung wird im formellen Engagement häufiger erlebt als in informellen Zusammenhängen: 12 % versus 6,6 %.
 
•    Rekrutiert wird, wer ähnlich ist: 23,2 % der Befragten ohne MH wurden schon einmal von einer Organisation gefragt, ob sie         sich engagieren möchten – unter Menschen mit MH gaben dies nur 18,3 % der Befragten an.

 

 

Zum Hintergrund

Der Bundestag hat die Bundesregierung 2009 verpflichtet, in jeder Legislaturperiode einen wissenschaftlichen Bericht zum Engagement vorzulegen. Er soll die Entwicklung darstellen und einen inhaltlichen Schwerpunkt haben. Für den 4. Bericht unter der Leitung von Prof. Dr. Chantal Munsch (Universität Siegen) wurde der Freiwilligensurvey 2019 einer Sekundärauswertung unterzogen und qualitative Gruppendiskussionen durchgeführt. Im Herbst 2023 wurden ergänzende Fragen in das Online Access Panel des DeZIM (DeZIM.panel) gespeist und durch rund 3500 Personen beantwortet. Anhörungen mit Vetreter:innen der Zivilgesellschaft und ein Rechtsgutachten liegen dem Bericht ebenso zugrunde. 

Den Bericht zum Download und weitere Informationen finden Sie hier

Infos
Kontakt

Angie Pohlers 
Pressereferentin
Mail: presse(at)dezim-institut.de
Tel.: 030-200754-130