Vielfalt verbindet: Ein Ohrenschmaus oder eher schräge Töne?!

Vielfalt verbindet: Ein Ohrenschmaus oder eher schräge Töne?!
Ein Predigtvorschlag von Pfarrerin Mechthild Gunkel zur IKW 2018
Pfarrerin Mechthild Gunkel

Liebe Gemeinde,

bunt und lebhaft geht es zu. Menschen von überall her, aus aller »Herren« Länder, von Orten, deren Namen uns eher unbekannt sind, kommen nach Jerusalem zu einem großen Fest. Bunt und lebhaft geht es zu. Viele ha-ben sich auf eine weite Reise begeben, zu Fuß, vielleicht in einer Kamel- oder Eselskarawane, manche sogar mit dem Schiff. Alte und Junge, Frauen und Männer, Kinder und Greise. Bunt und lebhaft für die Ohren! Welch ein Sprachengemisch! Verständliche und unverständliche Sätze sind zu hören. Bunt und lebhaft für die Augen! Was haben diese Menschen an – ist ihre Heimat an der Kleidung zu erkennen? Welche Farben fallen zuerst ins Auge? Welche Muster zieren ihre Gewänder? Reisekleidung oder Festkleidung, gibt es da Unterschiede? Flöten und Hörner, Harfen und andere Musikinstrumente sind zu hören. Ganz verschiedene Melodien und unterschiedliche Rhythmen. Wie klingt das zusammen? Ein Ohrenschmaus oder eher schräge Töne? Bunt und lebhaft – so riecht auch manches, wenn man sich unter die Leute mischt. Eine feine Nase ist schon nötig – wer mag Thymian von Zimt, Koriander von Anis unterscheiden? Und auch der Gaumen kommt nicht zu kurz: Rosinen, getrocknete Feigen, Datteln, gesalzener Fisch, getrocknetes Fleisch oder geräucherte Wurst – oder auch frische Oliven, Obst, Brot und Kuchen. Bunt ist der Proviant, den manche aus ihrer Heimat mitbringen, lebhaft kann der Austausch werden. Ziegenkäse aus Griechenland gegen Rosinen aus der Kabylei, getrocknetes Fleisch aus Rom gegen syrischen Wein. Bunt und lebhaft geht es zu – bei den Menschen, die nach Jerusalem unterwegs sind, hinauf zum Tempel, an einem der drei großen Wallfahrtsfesten.

Juden und Jüdinnen aus vielen Regionen rund um das Mittelmeer kamen in all ihrer Unterschiedlichkeit und Vielfalt nach Jerusalem, um Gott für die Ernte und für ihr Leben zu danken. Und um mit anderen gemeinsam nach Recht und Gerechtigkeit zu fragen. Bunt und lebhaft ging es da zu. Eine Vielfalt, die verbindet.

Wir kennen das von der Pfingstgeschichte in der Bibel. Da pilgern Menschen zum Tempel nach Jerusalem. Diese Pilgerfeste, diese Wallfahrtsfeste gab es dreimal im Jahr, als der Tempel noch stand. Getreide oder Früchte waren zu unterschiedlichen Zeiten zur Ernte reif, Grund genug, dreimal zu feiern. Und bei diesem ersten, im Neuen Testament erwähnten Pfingstfest – dem Fest der Weizenernte – tritt der Apostel Petrus auf und erzählt von Jesus von Nazareth, in dem für ihn Gottes Liebe und Gottes Gerechtigkeit erfahrbar geworden sind.

Die Vielfalt gehört zu den allerersten Erfahrungen, die Menschen machten, damals, beim ersten Pfingstfest in Jerusalem. Wie bei jedem Wallfahrtsfest. Bunt und lebhaft ging es zu.

Und heute? An manchen Orten erleben wir etwas von der Vielfalt, die verbindet.

Bunt und lebhaft geht es manchmal bei mir zu, in meiner Gemeinde. Da sind Russlanddeutsche, Menschen, die in Nigeria geboren sind, oder in Hildesheim, oder im Sudetenland, oder in Ghana. Viele leben hier nicht auf der Sonnenseite des Lebens. Manchmal ist die Not zu spüren. Und manchmal die Lebendigkeit, die Freude über die bunte Vielfalt, mit der wir gemeinsam Gottesdienst feiern und Lieder mitsingen, deren Melodien und Texte uns fremd vorkommen. Manchen ist es zu bunt, anderen zu lebhaft. Aber manchmal schimmert doch etwas durch von dieser verbindenden Vielfalt, von der die Bibel erzählt.

Neulich las ich, in den USA gelte die Gottesdienstzeit von 10 bis 11 Uhr am Sonntag morgen als »most segregated hour« des amerikanischen Lebens, also als die Stunde, in der Trennung am intensivsten erlebt wird. Man geht – wenn man geht – nach Hautfarbe, sozialem Status, regionaler Herkunft, Konfession und anderen Kriterien getrennt zur Kirche. Die Chance, sich durch die je Anderen die Augen öffnen zu lassen auch für die eigene – kulturell bedingte – Beschränktheit des Blicks, um zu einem vertieften Verständnis der Bedeutung des Evangeliums zu kommen, lässt man sich entgehen. Und auch die Notwendigkeit, gemeinsam nach Gottes Recht und Gerechtigkeit zu fragen und dann im Alltag dafür zu arbeiten.

Bunt und lebhaft, lebendig und vielfältig – so soll Gottes Gemeinde leben. Mit unterschiedlichen Farben und Gerüchen, Erfahrungen und Bedürfnissen. Gemeinsam unterwegs. Auf dem Weg zur Verwirklichung von Rechten, die für wirklich alle gelten.

Damals, auf den Wallfahrten, wurde viel gesungen. Manche dieser Lieder sind uns überliefert, stehen bei den Psalmen in der Bibel. Einen davon kennen wir alle: er beginnt: Siehe, wie fein und lieblich ist es, wenn Geschwister einträchtig beieinander wohnen (Psalm 133, 1). Möge das in unserem Leben wahr werden, bunt und lebhaft, in einer Vielfalt, die verbindet. AMEN

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Mechthild Gunkel ist Pfarrerin der Evangelischen Kirchengemeinde Darmstadt-Eberstadt-Süd.

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