Diese Morgennadacht gestaltete Oberkirchenrätin Sabine Dreßler bei der bundesweiten Vorbereitungstagung zur Interkulturellen Woche am Samstag, 20. Februar 2021. Dreßler arbeitet bei der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) im Bereich Menschenrechte, Migration und Integration. Außerdem ist sie Mitglied im Ökumenischen Vorbereitungsausschuss zur Interkulturellen Woche.
Musik
Eröffnung:
In der Frühe des Tages sind wir zusammen.
Ihr seid hier, wir sind hier, Gott ist hier.
Psalm am Morgen (SD nach Psalm 57)
Umhülle mich mit Deiner Barmherzigkeit,
Gott, ich rufe nach Dir!
Will mich bergen im Schatten deiner Flügel,
wo die Pfeile des Hasses mich nicht erreichen.
Du, Gott, meine Mutter, mein Leben, wirst mich verteidigen.
Die mich angreifen, werden an sich selbst zugrunde gehen.
Und deshalb rufe und singe ich, laut,
rüttele die Welt wach, will das Morgenrot wecken!
Für einen neuen Tag, für Neubeginn,
für Liebe und Recht unter den Menschen,
und dir danken, du Gott der Völker und Nationen.
Musik
Gedanken zum Schweigen und Reden, Erinnern und Aufstehen
"Und saßen mit ihm auf der Erde sieben Tage und sieben Nächte und redeten nichts mit ihm; denn sie sahen, dass der Schmerz sehr groß war." Hi 2,13
Die Mutter sagt:
"Wenn ich nachts um drei Uhr aus dem Fenster schaue, sage ich: 'Sedat. Überall ist jetzt Schnee.' Ich zünde Kerzen an, damit Sedat nicht so kalt ist. Auf dem Friedhof ist es leer. Nur ich bin dort." Sagt die Mutter
Wer sitzt mit ihr, wer hält es aus mit ihr, unten, in der Tiefe ihres Schmerzes? Wer hält sie aus und bleibt bei ihr, schweigend, weil jedes Wort zu hart ist für sie, jede Geste leer bleibt? Wer wacht mit ihr durch die schlaflosen Nächte? Wer denkt mit ihr an den frierenden Sohn, unten in der Erde?
Schweigen
"Neige dein Ohr und höre die Worte der Weisen und nimm zu Herzen meine Lehre… daran erinnere ich heute gerade dich." Spr. 22,17.19
Der Bruder fragt:
"Wann bin ich angekommen bei euch? Wann bin ich integriert? Wann gehöre ich zur Gesellschaft? Erinnern heißt verändern." Sagt der Bruder.
Die Taubheit, die Gleichgültigkeit, das Abgestumpftsein, wie ein lähmendes Gift kriecht es von den Rändern her in die Mitte – bis einige, und mehr und noch mehr, bis viele, alle sich losmachen, nicht mehr den Fragen ausweichen, bis sie sagen: Ich. Ich erinnere mich. Ich will, dass es anders wird. Ich will leben, mit Dir, mit Euch – bis wir wir sind, verändert, neu und schön.
Schweigen
Tu deinen Mund auf für die Stummen und für die Sache aller, die verlassen sind. Spr. 31,8
Der Vater sagt:
"Wir wollen nicht mehr leiden, weinen, getötet werden. Wir wollen das nicht mehr. Macht was gegen Rassismus." Sagt der Vater.
Genug geschwiegen – die Sprachlosigkeit überwinden, auch die Zögerlichkeit und die Angst. Den Mund auftun, sagen, was ist. Laut und klar. Sagen, was sein soll – und aufstehen und was machen – gegen den Hass, gegen die Verachtung, gegen das, was Leben kaputt macht, jeden Tag, irgendwo, und ganz nah.
Schweigen
Gebet und Bitte um Segen
Gott, erinnere uns in unserem Schweigen und Reden,
erinnere uns an das,
was geschehen ist und nicht mehr geschehen darf:
so viel Leid und Schmerz, weil Menschen Menschen verachten,
sie gezielt verletzen, Leben zerstören.
Sei bei denen, die weinen, schreien, wütend und verzweifelt sind –
und die uns fragen, wo wir sind.
Erinnere uns an das,
was Recht ist und wo wir Recht verteidigen müssen,
gegen jeden Rassismus, jede Lüge, jeden Angriff auf Deine Schöpfung.
Erinnere uns an
den wunderbaren Beginn von Dir mit uns allen,
als Du uns das Leben eingehaucht hast.
Danke für diesen langen Atem. Wir brauchen ihn.
Jetzt, heute und morgen –
und bitten für alle Zeit, die schwer ist und mühsam, um Deinen Segen:
Segne uns und behüte uns
für ein Leben in Gemeinschaft mit Dir und mit allen Menschen.
Segne und halte die, die vor Schmerz nicht wissen, wohin.
Segne Deine Welt mit Weisheit und Liebe.
So soll es werden, so soll es sein. Amen.
Musik