»Gemeinsamkeiten finden, Unterschiede feiern.« Mit diesem Motto gehen wir in die diesjährige Interkulturelle Woche. Die knappen Worte fassen die Erfahrungen von gelingender Begegnung und wachsendem Verständnis zusammen – Erfahrungen, die in fast vierzig Jahren an unzähligen Stellen im ganzen Land gemacht wurden. Die Interkulturelle Woche ist von der Erkenntnis geprägt, dass es immer wieder besondere Räume und Zeiten braucht, um zu entdecken, was Menschen unterschiedlicher kultureller Herkunft verbindet und dabei zugleich die Unterschiede nicht nur als trennend, sondern auch als Bereicherung zu feiern.
Als Christinnen und Christen erleben wir diese Wechselwirkung zwischen Gemeinsamkeiten und Unterschieden jeden Tag neu, denn Vielfalt gehört konstitutiv zum Wesen der Kirche. Sie verbindet Menschen über Ländergrenzen, Sprachen und Kulturen hinweg zu einer Einheit in Vielfalt. In der Nachfolge Jesu verlieren solche Unterschiede ihre trennende Macht. So schreibt der Apostel Paulus im Galaterbrief: »Hier ist nicht Jude noch Grieche, hier ist nicht Sklave noch Freier, hier ist nicht Mann noch Frau; denn ihr seid allesamt einer in Christus Jesus« (Gal 3,28). Diese Grunderfahrung gilt in der christlichen Kirche. Sie kann aber auch auf unsere Gesellschaft ausstrahlen. Deshalb werben wir für ein friedliches und gerechtes Miteinander von Menschen unterschiedlicher Sprache und Herkunft, religiöser und weltanschaulicher Prägung in Deutschland. Alle sollen teilhaben können an unserem Gemeinwesen: mit Rechten und mit Pflichten.
Unser Land braucht Zuwanderung. Auch Politik und Wirtschaft betonen dies immer wieder. Allerdings stellen wir fest, dass rationale Argumente in der Auseinandersetzung mit Populismus und Ressentiments oft wenig Gehör finden. In Deutschland und anderen europäischen Staaten verzeichnen rechtspopulistische Kräfte neuen Zulauf. Wir dürfen ihnen nicht nur ökonomische Argumente entgegenhalten. Vielmehr müssen wir auch deutlich machen, dass ein enges, fremdenfeindliches und rückwärtsgewandtes Gesellschaftsbild nicht mit dem biblischen Menschenbild und unserem aus dem Evangelium motivierten Eintreten für Chancengleichheit, Gerechtigkeit und Offenheit in Einklang steht.
Es ist stets eine der großen Aufgaben der Kirche, dafür zu werben, dass bei allen politischen Fragen und Entscheidungen die Dimension der Würde des Menschen nicht aus den Augen verloren wird. Das gilt auch und gerade für die Migration. Die Verpflichtung auf die Menschenrechte ist eine der entscheidenden Grundlagen unserer Gesellschaft. Sie gilt für alle Lebens- und Politikbereiche und kann auch in Wahlkämpfen nicht zur Disposition gestellt werden. Innerhalb der Europäischen Union gehört das Recht auf Freizügigkeit zu den verbrieften Grundrechten; es ist einer der wichtigsten Pfeiler der europäischen Idee. Wir beobachten mit Sorge, dass populistisch geführte Debatten diese Errungenschaften in Frage stellen und Ängste schüren. Gerade angesichts der Europawahl 2014 müssen wir alle dafür einstehen, dass Probleme bei der Integration von Migrantinnen und Migranten nicht für Wahlkampfzwecke missbraucht werden. Wir bitten alle Politikerinnen und Politiker, sich für die Teilhabe aller Menschen in Europa einzusetzen und keine Ressentiments zu befördern.
In der aktuellen Debatte über den Zuzug von Migranten heben wir hervor: Neben den Bedürfnissen des Arbeitsmarktes muss in unserem reichen Land immer auch Platz für diejenigen sein, die unserer Fürsorge und Zuwendung bedürfen. Deshalb setzen wir uns beständig für ein humanitäres Aufenthaltsrecht ein, das diesen Namen verdient. Hier besteht immer noch erheblicher Handlungsbedarf und wir fordern die Politik auf, den entsprechenden Ankündigungen im Koalitionsvertrag rasch Taten folgen zu lassen.
Überall auf der Welt leiden Menschen unter gewaltsamen Konflikten, Hungersnöten und den Folgen von Naturkatastrophen. So sind immer mehr Menschen gezwungen, sich auf der Suche nach Schutz und Zuflucht auf eine lebensgefährliche Reise zu begeben. Die schrecklichen Bilder aus Syrien oder Zentralafrika, aus der Sahara oder dem Mittelmeer stehen uns beispielhaft vor Augen. Das Schicksal von Flüchtlingen aus diesen und vielen anderen Ländern darf uns nicht gleichgültig lassen. Als Christinnen und Christen müssen wir uns fragen, wo in der Welt wir Jesus begegnen, in welchem unserer »geringsten Brüder« und Schwestern (Mt 25,40) er uns gegenübertritt. Nicht zuletzt deshalb begehen wir Jahr für Jahr im Rahmen der Interkulturellen Woche den Tag des Flüchtlings. Die Zahl der Kirchengemeinden, die sich ganz praktisch für Flüchtlinge und mit ihnen engagieren, wächst. Das stimmt uns hoffnungsfroh und dankbar. Mit dieser Form der Nächstenliebe tragen sie dazu bei, dass unsere Gesellschaft ein menschliches Gesicht bewahrt und bekommt.
Ein besonderes Anliegen ist uns die Situation von Familien, die durch Flucht auseinandergerissen werden. Wir wissen, wie kostbar es ist, wenn Menschen generationenübergreifend füreinander Verantwortung übernehmen. Umso mehr schmerzt es uns zu sehen, wie Familien unter der Trennung leiden, die ihnen durch die Flucht und aufgrund ausländerrechtlicher Regelungen auferlegt ist. Gemeinsam mit den Einrichtungen von Diakonie und Caritas stehen wir an ihrer Seite und setzen uns dafür ein, dass Familien zusammengeführt werden können. Nicht nur Menschen syrischer Herkunft in Deutschland wollen ihre Angehörigen bei sich aufnehmen. Wir würdigen die gegenwärtigen Bemühungen des Bundes und der Länder zur Aufnahme syrischer Flüchtlinge. Bedenkenswert ist nicht zuletzt die manchenorts bereits geübte Praxis, aufnehmende Familien von den möglichen Krankheitskosten für Flüchtlinge freizustellen. Es bleibt aber bedrückend zu sehen, dass eine engherzige Auslegung des Aufenthaltsrechts oft über Monate hinweg, manchmal sogar auf Dauer, den Nachzug von Angehörigen aus Kriegs- und Krisengebieten verhindert.
»Gemeinsamkeiten finden, Unterschiede feiern.« – das Motto der diesjährigen Interkulturellen Woche kann in der Debatte um das Zusammenleben in unserem Land die Richtung weisen. Denn es geht ganz selbstverständlich davon aus, dass es fundamentale Gemeinsamkeiten unter den Menschen gibt, gleich welcher Herkunft, Sprache oder Religion sie sind: das Bedürfnis nach Nähe und Sicherheit, das Bedürfnis nach freier Entfaltungsmöglichkeit, nach Teilhabe und Heimat. Zugleich leugnet das Motto nicht die Unterschiede, die mancherorts auch zu Herausforderungen für den gegenseitigen Umgang werden. Hier geht es darum, schwierigen Fragen nicht auszuweichen und nach Lösungen zu suchen, die das Trennende der Unterschiede aufheben.
Wir danken allen, die sich im Rahmen der Interkulturellen Woche öffentlich für Begegnung, Teilhabe und Integration einsetzen. Wir wünschen Ihnen gute Erfahrungen und gelingende Begegnungen, damit Gemeinsames gefunden und Unterschiede als Reichtum gefeiert werden können.