Die Frage nach der Zukunft bewegt jeden Menschen, nicht nur in Zeiten politischer und wirtschaftlicher Unsicherheit: Wie wird sich unser Leben weiter entfalten? Welche Möglichkeiten haben wir, unsere Zukunft aktiv zu gestalten? Und darüber hinaus: Wird es gelingen, eine gerechte und menschenwürdige Zukunft für alle Menschen zu schaffen?
Zwei biblische Visionen machen Mut. Der Prophet Jesaja beschreibt mit der endzeitlichen Wanderung zum Berg Zion (Jes 2,1-5) eine aus vielen Völkern zusammengesetzte Gemeinschaft. Sie ist im Licht Gottes unterwegs, weicht den Strapazen des Aufstiegs nicht aus und erfährt von Gott Wegweisung und Rechtsprechung. In der Offenbarung des Johannes wird dieser Gedanke weitergeführt durch das Bild von der heiligen Stadt: Das neue Jerusalem (Offb 21,1-7) ist Ort der ewigen Heimat und Geborgenheit. Beiden Bildern ist gemeinsam: die Realisierung dieser Visionen geht von Gottes Initiative aus und hängt von ihm ab. Und zugleich wird auch das Engagement der Menschen gefordert: Wir sollen eine Weggemeinschaft bilden und auf den Wegen Gottes gehen. Solche Wege zeichnen sich dadurch aus, dass die von Gott geschenkte Würde anerkannt wird – und ebenso die Rechte der Einzelnen wie die Regeln des menschlichen Zusammenlebens, die in dieser Menschenwürde gründen (Jes 2,3).
An diese biblischen Perspektiven schließt das Motto der Interkulturellen Woche an: Zusammenhalten – Zukunft gewinnen. Dieses Thema korrespondiert mit dem von der Europäischen Union für 2010 ausgerufenen »Europäischen Jahr zur Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung« wie auch mit dem »Jahr der Europäischen Kirchen für Migration«, zu dem die Konferenz Europäischer Kirchen einlädt. Alle drei Initiativen stellen den Gedanken der unveräußerlichen Menschenwürde in den Mittelpunkt und betonen, dass sie besonders im Einsatz für Migranten und Flüchtlinge konkret wird. Als Christen wissen wir: Wer am biblischen Zeugnis von Jesus Christus Maß nimmt, kommt nicht umhin, sich gerade den Ausgegrenzten und Abgeschobenen zuzuwenden. Hungrige, Durstige, Fremde, Nackte und Kranke werden im Gleichnis vom Weltgericht (Mt 25,31-46) unmittelbar mit Christus identifiziert. Für Flüchtlinge und Migranten einzutreten und ihnen Chancen gesellschaftlicher Teilhabe zu eröffnen, ist deshalb auch ein biblisch begründeter Auftrag.
Einige aktuelle Handlungsfelder für Politik, Gesellschaft und Kirchen wollen wir exemplarisch benennen:
- Die europäischen Staaten als Teil der Menschheitsfamilie müssen ihrer Verantwortung für den weltweiten Flüchtlingsschutz gerecht werden. Menschen, die vor Verfolgung, Krieg und Gewalt fliehen oder von schlimmsten Lebensverhältnissen zur Auswanderung getrieben werden, dürfen an den Mauern der »Festung Europa« nicht in ihren Menschenrechten gefährdet werden. Vor allem das verbriefte Recht von Flüchtlingen auf Schutz vor Zurückweisung darf sich nicht als leeres Versprechen erweisen. Wir sind davon überzeugt, dass Europa Flüchtlingen und Migranten nur dann wirklich solidarisch und verantwortlich begegnen kann, wenn sich alle Länder der EU bei der Bewältigung der Herausforderungen gegenseitig unterstützen. Die Staaten an den südlichen und östlichen Grenzen dürfen mit der Flüchtlingsaufnahme nicht allein gelassen werden.
- Die Bundesrepublik Deutschland hat im vergangenen Jahr rund 2.500 irakische Flüchtlinge aufgenommen. Für diesen wichtigen Beitrag zum Flüchtlingsschutz sind wir dankbar. Unsere ganze Gesellschaft ist nun gefordert, diese Menschen bei der Integration zu unterstützen. Wir Kirchen wollen das Unsere dazu beitragen.
- Auch innerhalb der deutschen Gesellschaft gibt es noch viel zu tun: Migrantinnen und Migranten treffen auf Ausgrenzung, Diskriminierung und Abwehr. Zugang zum Arbeitsmarkt, gleiche Bildungschancen oder gesellschaftliche und politische Partizipationsmöglichkeiten dürfen nicht nur gefordert werden. Vielmehr müssen wir unsere Anstrengungen verstärken, damit diese Ziele für alle, unabhängig von ihrer Herkunft, erreichbar werden.
- Wir Kirchen haben die Verlängerung der Altfallregelung für langjährig geduldete Menschen begrüßt. So ist Zeit gewonnen, eine grundsätzliche Lösung für das Problem der »Kettenduldungen« zu finden, die gut integrierten Menschen – vor allem hier aufgewachsenen Kindern und Jugendlichen – eine dauerhafte Perspektive eröffnet. Auch humanitäre Aspekte müssen berücksichtigt werden, wenn etwa alte, kranke oder traumatisierte Menschen ohne eigenes Verschulden die strengen Bedingungen für einen dauerhaften Aufenthalt nicht erfüllen können.
- Die Bundesregierung hat angekündigt, das Asylbewerberleistungsgesetz zu überprüfen. Diesen Schritt befürworten wir. Menschen, die sich nicht nur vorübergehend während eines kurzen Asylverfahrens in Deutschland aufhalten, dürfen nicht über Jahre hinweg von sozialer Teilhabe ausgeschlossen und auf die bloße Existenzsicherung verwiesen werden. Es ist im Interesse der deutschen Gesellschaft, ihnen die Integration nicht unnötig zu erschweren.
- Besonderes Augenmerk richten wir schließlich auch in diesem Jahr auf die Migranten, die ohne Aufenthaltsrecht und Duldung unter uns leben. Neuesten Schätzungen zufolge beläuft sich ihre Zahl auf 200.000 - 450.000. Wir sind dankbar für die politischen Fortschritte der letzten Monate, vor allem für die Erleichterungen bei der Versorgung medizinischer Notfälle und für die Ankündigung der Bundesregierung, den Schulbesuch statusloser Kinder ermöglichen zu wollen. Dennoch ist auch künftig oft nicht sichergestellt, dass diese Menschen tatsächlich ihre sozialen Rechte (Schulbildung, Lohn für geleistete Arbeit und medizinische Mindestversorgung) verwirklichen können. Die Kirchen werden auch weiterhin entschieden für Verbesserungen der humanitären Situation irregulärer Zuwanderer eintreten.
Mit zahlreichen kreativen Veranstaltungen und Aktionen sowie mit vielen Gebetstreffen und Gottesdiensten wollen wir zum Gelingen der diesjährigen Interkulturellen Woche beitragen und unsere politischen Forderungen in die Diskussion einbringen. Wir laden ein, sich an dieser von Kirchen, Kommunen, Gewerkschaften, Verbänden und zivilgesellschaftlichen Organisationen gemeinsam durchgeführten Aktionswoche zu beteiligen und die Chance zu zahlreichen Impulsen und bereichernden Begegnungen zu nutzen.