Mehr antimuslimische Übergriffe und Diskriminierungen

Mehr antimuslimische Übergriffe und Diskriminierungen

Quelle: Claim

Die Zahl antimuslimischer Vorfälle erreicht einen neuen alarmierenden Höchststand. 3.080 Übergriffe und Diskriminierungen wurden 2024 dokumentiert – ein Anstieg von 60 Prozent im Vergleich zum Vorjahr (2023: 1.926). Das entspricht im Durchschnitt mehr als 8 Fällen pro Tag (2023: 5). Darunter sind mehr als 70 Angriffe auf religiöse Einrichtungen wie Moscheen. Die Jahresbilanz der Organisation Claim, die jetzt vorgesellt wurde, zeigt: Antimuslimischer Rassismus ist keine Randerscheinung. Er reicht von der Straße bis ins Klassenzimmer, vom Wartezimmer bis ins Rathaus. Er wirkt in Behörden, am Wohnungsmarkt, in Kommentarspalten – und er wird brutaler. Insgesamt wurden mehr schwere Übergriffe in Form von Körperverletzungen (198) und Tötungsdelikten (2) erfasst. Ein großer Teil der dokumentierten Vorfälle trifft vor allem Frauen* und findet im öffentlichen Raum sowie im Bildungsbereich statt. Insgesamt ist von einer gravierenden Dunkelziffer antimuslimischer Vorfälle auszugehen.

"Wir verzeichnen nicht nur einen massiven Anstieg, sondern auch eine neue Qualität von antimuslimischem Rassismus in Form einer zunehmenden Normalisierung, Enthemmung und Brutalität."
Rima Hanano, Co-Geschäftsführung von CLAIM

"Wir erleben in Deutschland eine neue Eskalationsstufe antimuslimischer Gewalt, Diskriminierung und Ausgrenzung", so Rima Hanano, Co-Geschäftsführung von CLAIM. "Wir verzeichnen nicht nur einen massiven Anstieg, sondern auch eine neue Qualität von antimuslimischem Rassismus in Form einer zunehmenden Normalisierung, Enthemmung und Brutalität. Frauen mit Kopftuch werden bespuckt. Kinder werden auf dem Schulweg beschimpft. Moscheen werden mit Hakenkreuzen beschmiert. Menschen verlieren Wohnungen, Jobs, Sicherheit, Würde. Antimuslimischer Rassismus ist keine Randerscheinung – er bedroht die Sicherheit von Menschen, die Teilhabe und das Vertrauen in unsere Demokratie – jeden Tag. Die Bundesregierung muss jetzt handeln – mit einer klaren Haltung und konkreten Maßnahmen."

"Wir müssen das ganze Ausmaß von antimuslimischem Rassismus benennen und deutlich dagegen vorgehen."
Natalie Pawlik, Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration und Beauftragte für Antirassismus

Staatsministerin Natalie Pawlik, Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration, zugleich Beauftragte der Bundesregierung für Antirassismus: "Gewalt, Ausgrenzung und Beleidigungen gegen Musliminnen und Muslime sind Alltag in Deutschland. Das dürfen wir nicht akzeptieren. Wir müssen das ganze Ausmaß von antimuslimischem Rassismus benennen und deutlich dagegen vorgehen. Dafür leisten CLAIM und das Netzwerk mit dem Lagebild einen wichtigen Beitrag. Denn nur wenn antimuslimischer Rassismus für alle sichtbar ist, können wir ihn auf allen Ebenen gezielt zurückdrängen. Dabei ist auch jede und jeder Einzelne in unserer Gesellschaft gefragt: Bei Vorfällen widersprechen, einschreiten und solidarisch sein!"

Die im Lagebild dokumentierten Vorfälle reichen von Beleidigungen und körperlichen Angriffen über Diskriminierung bis hin zu Angriffen auf Moscheen. Rund 71 % der betroffenen Einzelpersonen waren Frauen*. Sichtbar muslimische Frauen* sind besonders häufig Ziel rassistisch und sexistisch motivierter Gewalt. Auch Kinder werden verbal und körperlich angegriffen.

Anstieg von antimuslimischen Vorfällen nach dem Angriff der Hamas am 7. Oktober 2023

Besonders auffällig: Nach dem terroristischen Angriff der Hamas am 7. Oktober 2023 stieg die Zahl antimuslimischer Vorfälle stark an – parallel zu antisemitischen Vorfällen. Auch infolge des Anschlags auf den Weihnachtsmarkt in Magdeburg am 20. Dezember 2024 wurde im Raum Magdeburg eine Zunahme von antimuslimischen Übergriffen und Bedrohungen verzeichnet. Mediale und politische Debatten um Sicherheit, in denen der Islam vor allem als Gefahr und Muslim*innen als Sicherheitsrisiko thematisiert und unter Generalverdacht gestellt wurden, haben demzufolge konkrete, manifeste Folgen für die Sicherheit von muslimischen Menschen sowie Menschen, die so wahrgenommen werden.

Die Erkenntnisse des Lagebildes decken sich mit repräsentativen Studien zu antimuslimischen Einstellungen und Diskriminierungserfahrungen, mit der Statistik der politisch motivierten Kriminalität (PMK) für das Jahr 2024 sowie mit Auswertungen von Beratungsstellen: 2024 wurden 1.848 islamfeindliche Straftaten behördlich erfasst – ein Anstieg um 26 % im Vergleich zum Vorjahr (KPMD-PMK Statistik, 2025, Fallzahlen 2024).

"Rassismus ist kein Randphänomen. Er gefährdet das gesellschaftliche Zusammenleben."
Dr. Cihan Sinanoğlu, Leiter der Geschäftsstelle Rassismusmonitor (NaDiRa) am DeZIM-Institut

Dr. Cihan Sinanoğlu, Leiter der Geschäftsstelle Rassismusmonitor (NaDiRa) am DeZIM-Institut: "Auch unsere aktuellen NaDiRa-Daten zeigen in aller Deutlichkeit: Antimuslimischer Rassismus ist eine tiefgreifende Realität im Alltag vieler Menschen in Deutschland. Besonders muslimische Frauen sind häufig mehrfach betroffen – 61 % der Befragten erleben subtile Ausgrenzung, 37 % institutionelle Diskriminierung oder strukturelle Benachteiligung. Unsere Daten belegen nicht nur das Ausmaß dieser Erfahrungen, sondern auch ihre Folgen: Wer Diskriminierung durch staatliche Institutionen wie Polizei oder Behörden erlebt, verliert das Vertrauen in sie – und damit in die demokratische Ordnung. Unter Muslim*innen ist das Vertrauen in politische Repräsentant*innen mittlerweile so gering wie in keiner anderen der untersuchten Bevölkerungsgruppen. Rassismus ist kein Randphänomen. Er gefährdet das gesellschaftliche Zusammenleben. Die politische Reaktion darauf darf nicht Relativierung oder Schweigen sein – sie muss klar, evidenzbasiert und solidarisch sein: gegen antimuslimischen Rassismus und für gleichberechtigte Teilhabe aller."

Die Dunkelziffer antimuslimischer Vorfälle ist insgesamt hoch: Antimuslimischer Rassismus wird häufig nicht als solcher erkannt. Viele Betroffene melden Vorfälle zudem nicht – aus Angst und Misstrauen gegenüber Behörden oder fehlendem Zugang zu Beratungsangeboten.

"Niemand darf mit seiner Erfahrung allein gelassen werden. Und wir benötigen einen neuen, längst überfälligen Nationalen Aktionsplan gegen Rassismus."
Rima Hanano, Co-Geschäftsführung von CLAIM

"Es bestehen nach wie vor große Defizite in der Bekämpfung von antimuslimischem Rassismus. Antimuslimische Vorfälle müssen besser erfasst werden – durch die Polizei einerseits und durch die Zivilgesellschaft andererseits. Menschen brauchen außerdem spezialisierte Beratungsstellen und Unterstützung – flächendeckend in ganz Deutschland. Niemand darf mit seiner Erfahrung allein gelassen werden. Und wir benötigen einen neuen, längst überfälligen Nationalen Aktionsplan gegen Rassismus – mit verbindlichen Maßnahmen gegen antimuslimischen Rassismus, mit messbaren Zielen und einem festen Zeitrahmen. Und Betroffenen müssen dabei beteiligt werden. Die Bundesregierung muss jetzt dafür sorgen, dass sich in Deutschland alle Menschen sicher, zugehörig und respektiert fühlen können", sagt Rima Hanano.

Weitere Informationen zur Jahresbilanz, zu den Handlungsempfehlungen sowie Hintergrundinformationen sind der Publikation "Zivilgesellschaftliches Lagebild antimuslimischer Rassismus 2024" zu entnehmen. 

Hintergrund
In das Lagebild sind Fallzahlen von 26 regionalen Melde- und Beratungsstellen aus 13 Bundesländern, bundesweite Meldungen über das Meldeportal „I Report“, bundesweite Fallzahlen aus der Statistik zur politisch motivierten Kriminalität 2024 sowie aus Pressemeldungen der Polizei und Vorfallsmeldungen aus Medienberichten für das Jahr 2024 eingeflossen.

Zentrale Ergebnisse zivilgesellschaftliches Lagebild antimuslimischer Rassismus 2024:

  • 2024 erreicht die Zahl antimuslimischer Vorfälle mit 3.080 dokumentierten Fällen einen alarmierenden neuen Höchststand (2023: 1.926). Täglich ereigneten sich damit im Durchschnitt mehr als 8 antimuslimische Vorfälle (2023: 5 Fälle pro Tag).
  • Betroffen waren Muslim*innen und Menschen, die als Muslim*innen gelesen werden, religiöse Einrichtungen und Orte wie Moscheen sowie muslimisch markierte Orte wie Restaurants.
  • Verbale Angriffe machen mit 1.558 Vorfällen den größten Anteil der dokumentierten Fälle aus (55,60 %), gefolgt von 659 Diskriminierungen (23,52 %) sowie von 585 dokumentierten Fällen verletzenden Verhaltens (20,88 %). In 278 Fällen liegt keine Angabe zur Art des Vorfalls vor.
  • Insgesamt zeigt sich für 2024 eine Zunahme bei schweren Delikten in Form von Körperverletzungen und Tötungsdelikten und damit eine zunehmende Enthemmung und Brutalität. Insgesamt wurden 2 Tötungsdelikte, 198 Körperverletzungen, darunter 3 schwere Körperverletzungen/versuchte Tötungen, 122 Sachbeschädigungen, 4 Brandstiftungen sowie 259 sonstige Übergriffe, z. B. Raub oder Erpressung dokumentiert (2023: 182 Körperverletzungen, davon 4 schwere Körperverletzungen/versuchte Tötungen, 93 Sachbeschädigungen, 5 Brandstiftungen, 6 sonstige Übergriffe).
  • 968 dokumentierte Fälle richteten sich gegen Einzelpersonen. In 261 dokumentierten Fällen waren Gruppen und in 72 Fällen eine „religiöse Einrichtung/Ort“ betroffen – darunter sind 67 Angriffe auf Moscheen. In 71 % der dokumentierten Fälle, in denen das Geschlecht vorliegt, waren Frauen* betroffen.

Zur Bekämpfung von antimuslimischem Rassismus und zum Schutz Betroffener formuliert CLAIM im Lagebild insgesamt 10 zentrale Handlungsempfehlungen. Hierzu gehören:

  1. Eine bessere Erfassung antimuslimischer Vorfälle – das Dunkelfeld ist enorm.
  2. Mehr Schutz und Beratung für Betroffene – bundesweit, dauerhaft, professionell.
  3. Finanzielle Absicherung von zivilgesellschaftlicher Arbeit – nicht punktuell, sondern strukturell – als Grundpfeiler demokratischer Resilienz.
  4. Ein neuer Nationaler Aktionsplan gegen Rassismus, der antimuslimischen Rassismus endlich klar benennt und bekämpft.

Antimuslimische Vorfälle – Fallbeispiele aus der Jahresbilanz 2024:

  • Mössingen, Baden-Württemberg, 25.01.2024: Die Außenfassade einer Moschee wurde von 2 Jugendlichen mit der Parole "Holocaust the Moslems", mit rechtsextremen Zahlencodes, 14, 88 und 1161 sowie einem Hakenkreuz beschmiert.
  • Berlin-Spandau, 29.01.2024: Frau wird von Unbekannten an der Bushaltestelle antimuslimisch beleidigt und geschlagen: Eine Frau wurde von einem unbekannten Mann beleidigt, als sie sich an der Bushaltestelle setzen wollte. Der Mann zog ihr mehrmals ihr Kopftuch herunter, verletzte sie dabei und versuchte, ihren Kopf gegen die Glasscheibe zu schlagen. Ein*e Zeug*in griff ein und rief die Polizei. Während die Polizei dabeistand, wurde die Frau von dem Mann erneut beleidigt.
  • Bielefeld, Nordrhein-Westfalen, 02.02.2024: Eine Bestellung mit der Bemerkung "Dönermord wird Volkssport! Tod den Sandn*****!Gaskammern für das degenerierte Palästinenservolk!" wurde an eine Bielefelder Moschee geschickt. Laut Ermittlungen wurden innerhalb von weniger als drei Minuten insgesamt 66 weitere, angeblich für denselben Kunden bestimmte Bestellungen bei verschiedenen Restaurants in Auftrag gegeben. Die Bestellungen wurden jedoch offenbar weitestgehend nicht mehr ausgeliefert.
  • Dresden, Sachsen, 27.04.2024: 13-Jährige als "Kopftuchjuden" antimuslimisch und antisemitisch beleidigt und bedroht: Zwei 13-jährige Mädchen aus Libyen und Russland wurden in Dresden in einem Park von zwei Rentnerinnen als "Kopftuchjuden" beschimpft. Beide Mädchen trugen einen Hijab. Zudem hielt eine der Rentnerinnen eine der 13-Jährigen am Arm fest und verletzte sie leicht. Laut Dresdner Polizei drohte eine der Rentnerinnen einem Mädchen anschließend. "Ich zerr dir das Kopftuch runter, du blöde Kuh", habe sie gesagt.
  • Hessen, 18.05.2024: Abweisung im Jobcenter aufgrund von muslimischer Sichtbarkeit: Eine muslimische Frau wurde im Jobcenter abgewiesen, als die Sachbearbeiterin ihr Kopftuch bemerkte und ihr mit spöttischen Bemerkungen den Antrag verweigerte, da sie meinte, dass sie mit diesem Aussehen keine Chancen auf dem Arbeitsmarkt habe.
  • Baden-Württemberg, 21.06.2024: Antimuslimische Beleidigungen durch Mitschüler: Ein Schüler der 6. Klasse eines Gymnasiums erzählte, das seine Familie AfD wählt. Nachdem Mitschüler*innen Kritik äußerten, fing er an, explizit "die Muslime" zu beleidigen und sagte dabei zu einer Mitschülerin: "Ich stecke Schweinefleisch in deinen Mund." Zuvor war der Schüler immer wieder durch rassistische und antimuslimische Äußerungen aufgefallen.
  • Stralsund, Mecklenburg-Vorpommern, 12.09.2024: Nachbar übergießt syrischen Nachbar mit 80-prozentiger Schwefelsäure und verletzt ihn dabei schwer: Das Landgericht Stralsund verurteilte einen 42-jährigen Deutschen wegen eines Säureangriffs zu 6 Jahren und 6 Monaten Freiheitsstrafe wegen schwerer Körperverletzung. Der Täter übergoss den syrischen Mann mit 80-prozentiger Schwefelsäure. Nach der Tat gelang es dem Opfer zu fliehen und sich zu verstecken, da der Täter es weiter beschimpfte und verfolgte. Während des Prozesses wurden auch Chatnachrichten des Angeklagten mit eindeutig rechten Inhalten bekannt. Zudem wurde bei dem Mann eine Medaille mit Hakenkreuz gefunden. In der Vergangenheit fiel der Mann mit verbal abfälligen Aussagen über "Ausländer" auf. Das Opfer leidet bis heute stark unter dem Angriff, ist schwer traumatisiert und hat bleibende Verletzungen im Gesicht und im Nacken erlitten.
  • Berlin, Oktober 2024: Muslim*innen mit Terrorismus in Grundschule gleichgesetzt: Zwei Erzieherinnen arbeiten an einer Grundschule und erlebten durch eine Kollegin antimuslimischen Rassismus. Im Oktober 2024 wurden diese gefragt, warum alle Muslim*innen Terrorist*innen seien.
  • Schweinfurt, Bayern, 18.11.2024: Antimuslimische Drohschreiben an unterschiedlichen Orten in Schweinfurt aufgetaucht: Im September tauchten an mehreren Orten in Schweinfurt Textposter auf, die zu Diskriminierung und schlimmster Gewalt gegen muslimische Menschen aufriefen. Teilweise wurden die Poster an Orten angebracht, an denen der*die Täter*in wohl Menschen mit Migrationsbiografie vermutete.
  • Magdeburg, Sachsen-Anhalt, 24.12.2024: 22-jährige Intensivkrankenpflegerin rassistisch beleidigt und geschlagen: Am 24.12.2024 wurde eine 22-jährige Intensivkrankenpflegerin, die selbst Verletzte des Anschlags im Uniklinikum Magdeburg betreute, nach Schichtende erst rassistisch beleidigt und dann von einem Mann ins Gesicht geschlagen. Er zeigte den Hitlergruß.

Über CLAIM: CLAIM vereint und vernetzt über 50 muslimische und nichtmuslimische Akteure der Zivilgesellschaft und bildet eine breite gesellschaftliche Allianz gegen antimuslimischen Rassismus, Islam- und Muslimfeindlichkeit. CLAIM wird unter anderem gefördert vom Bundesministerium für Bildung, Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMBFSFJ) im Rahmen des Bundesprogramms „Demokratie leben!“ und durch das Bundesministerium des Innern (BIM) im Rahmen der Deutschen Islam Konferenz (DIK). Weitere Informationen zu CLAIM unter www.claim-allianz.de.

Herausgeber des Lagebildes ist CLAIM. Gefördert wird das Lagebild vom Bundesministerium für Bildung, Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMBFSFJ) im Rahmen des Bundesprogramms "Demokratie leben!" und Bundesministerium des Innern (BMI) im Rahmen der Deutschen Islam Konferenz.

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Barbara Singh | Kommunikation
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