Seenotrettung: Sea-Watch 4 wurde in Palermo festgesetzt

Seenotrettung: Sea-Watch 4 wurde in Palermo festgesetzt

Quelle: United4Rescue / EKD

Palermo/Berlin/Hannover. Die italienischen Behörden haben nach einer Hafenstaatskontrolle in der Nacht auf Sonntag das Rettungsschiff "Sea-Watch 4 powered by United4Rescue" festgesetzt. Sea-Watch, United4Rescue und Ärzte ohne Grenzen verurteilen die Festsetzung aufs Schärfste und fordern die sofortige Beendigung der Kriminalisierung ziviler Seenotrettung. Auch der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm, kritisiert die Festsetzung.

"Die fadenscheinigen Begründungen zeigen erneut, dass es sich nicht um die Überprüfung der Schiffssicherheit handelt, sondern um eine gezielte Verhinderung ziviler Seenotrettung im zentralen Mittelmeer. Obwohl die zuständigen Behörden uns aufgefordert haben, bei Rettungen zu assistieren, blockieren sie nun ein weiteres Schiff. Diese widersprüchliche Logik zeigt erneut, dass die italienischen Behörden keinerlei Skrupel haben, Menschen im Mittelmeer ertrinken zu lassen und setzt ein klares Zeichen: Seenotrettungsoperationen sollen verhindert werden, damit kein Mensch die europäische Küste lebendig erreicht", so Philipp Hahn, Einsatzleiter auf der Sea-Watch 4.

Hauptvorwurf der italienischen Behörden: Zu viele Rettungswesten an Bord

Im Rahmen der Kontrolle suchten italienische Inspekteure elf Stunden lang nach Beanstandungen, aufgrund derer sie die Sea-Watch 4 dann festsetzten. Der Hauptvorwurf lautet, die Rettung von Menschenleben entspreche nicht der Registrierung des Schiffes. Die Sea-Watch 4 habe zu viele Rettungswesten an Bord, das Abwassersystem sei nicht für die Anzahl der geretteten Personen ausgelegt. Dass Seenotrettung als akute Nothilfe für alle Schiffe verpflichtend ist, wird außer Acht gelassen. Tatsächlich erfüllt das Schiff alle Sicherheitsvorgaben des deutschen Flaggenstaates, wie die deutschen Behörden Sea-Watch erst im Juli bestätigt haben. Mit der Sea-Watch 4 wird zum fünften Mal ein ziviles Rettungsschiff an der Rückkehr in den Einsatz gehindert. Diese Inspektionen sind politisch motiviert und dienen allein dem Zweck, Rettungsoperationen zu verhindern.

Bedford-Strohm: "Lasst die Schiffe frei!"

Zur Festsetzung sagte der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm: "Mit der Festsetzung der „Sea Watch 4 – powered by United4Rescue“ haben die italienischen Behörden nunmehr das fünfte zivile Seenotrettungsschiff in fünf Monaten blockiert. Einer der Vorwürfe ist, dass zu viele Rettungswesten an Bord seien. Unter dem Vorwand der Schiffssicherheit soll ganz offensichtlich die Rettung von Menschen aus Seenot verhindert werden. Gemeinsam mit mehr als 600 zum Teil internationalen Bündnispartnern von United4Rescue verurteilen wir diesen unverantwortlichen Akt der Willkür aufs Schärfste und fordern die italienischen Behörden auf: Lasst die Schiffe frei!

Wer Seenotrettung behindert, nimmt billigend in Kauf, dass Menschen ertrinken. Ein Europa, das sich auf christliche Werte beruft, darf das nicht akzeptieren. Die deutsche Ratspräsidentschaft rufen wir auf, ihr Amt zu nutzen, um die italienischen Behörden von dieser unverantwortlichen Schiffsblockierung abzubringen und endlich Druck ausüben, dass eine staatlich organisierte Seenotrettungsmission im Mittelmeer eingesetzt wird, die Menschen in Seenot sicher in Europa anlandet. Die jetzige Politik kostet Menschenleben."

Nach ihren ersten Rettungseinsätzen im August wartete die Sea-Watch 4 mit 353 Menschen an Bord tagelang auf die Zuweisung eines sicheren Hafens, bevor die Überlebenden am 2. September an die Quarantänefähre GNV Allegra übergeben wurden. Die Crew der Sea-Watch 4 absolvierte dann eine zweiwöchige Quarantäne vor dem Hafen von Palermo.

"Die Verletzungen, die wir an Bord behandelt haben, zeigen die Gewalt und die Gefahren, denen die Geretteten auf der Flucht entkommen sind“, sagt Barbara Deck, Leiterin des medizinischen Teams von Ärzte ohne Grenzen auf der Sea-Watch 4. „Wir haben einen Jungen behandelt, der von Bewaffneten auf den Kopf geschlagen wurde und in der Folge taub geworden ist, und einen Vater, der die Spuren von geschmolzenem Plastik auf seiner Haut trug. Was diese Menschen ertragen, macht sprachlos. Vor diesem Hintergrund ist es erschütternd, dass europäische Regierungen alles tun, um uns daran zu hindern, lebensrettende Hilfe zu leisten."

Auch das Aufklärungsflugzeug "Moonbird" wurde festgesetzt

Nachdem bereits die Sea-Watch 3 sowie weitere zivile Rettungsschiffe nach fragwürdigen Hafenstaatskontrollen mit fadenscheinigen Begründungen am Auslaufen gehindert wurden, wurde nun auch das Aufklärungsflugzeug Moonbird von Sea-Watch durch die italienischen Behörden festgesetzt. Somit verhindern die italienischen Behörden gezielt, dass die gravierenden Menschenrechtsverletzungen an der tödlichsten Seegrenze der Welt dokumentiert werden. Niemand soll das Sterben auf dem Mittelmeer mehr bezeugen können. Mit der Festsetzung der Sea-Watch 4 erreicht diese Kriminalisierung ziviler Seenotrettung einen weiteren Höhepunkt: Dieses Ereignis zeigt erneut, dass europäische Staaten vor nichts zurückschrecken, um die Rettung von Menschenleben zu verhindern. Menschen, die im zentralen Mittelmeer sterben, sind das Ergebnis der europäischen Abschottungspolitik und der willkürlichen Blockade von zivilen Akteur*innen.

Die Sea-Watch 4 ist dabei nicht nur ein Symbol gegen die Abschottungspolitik Europas, sondern steht für eine Zivilgesellschaft, die nicht mehr länger tatenlos zusieht, wie diese unmenschliche und rassistische Politik in ihrem Namen geschieht. "Mit der Kriminalisierung der Sea-Watch 4 kriminalisiert die italienische Regierung nicht nur die Retter, sondern auch die über 600 Partner, die unser Bündnis zur zivilen Seenotrettung unterstützen. Kirchen, Schulen, Kultureinrichtungen, Unternehmen und ehrenamtliche Initiativen: Wir stehen gemeinsam hinter der Sea-Watch 4", so Sandra Bils vom Bündnis United4Rescue.

Das Rettungsschiff war im Januar vom Bündnis United4Rescue mit Spendengeldern ersteigert und im Februar in Kiel getauft worden. Ausgangspunkt für die Gründung des Bündnisses war eine auf dem Deutschen Evangelischen Kirchentag 2019 verabschiedete Resolution, die die EKD und ihre Gliedkirchen aufforderte, selbst ein Schiff zur Seenotrettung im Mittelmeer zu schicken. Nach gründlichen Beratungen hatten Rat und Synode der EKD beschlossen, sich dieser Aufgabe im Rahmen eines breiten zivilgesellschaftlichen Bündnisses zu stellen. Die "Sea-Watch 4" war Mitte August zu ihrem ersten Einsatz ausgelaufen und hat seitdem 353 Menschen aus Seenot gerettet.

Pressekontakte:
Mattea Weihe - Pressesprecherin Sea-Watch
Mobil +49176 71964264
presse@sea-watch.org

Daniela Singhal - Pressesprecherin United4Rescue
Mobil + 49 151 501 26 724
presse@united4rescue.com

Stefan Dold – Pressereferent Ärzte ohne Grenzen
Mobil +49 163 205 8267
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Pressestelle der EKD
+49(511) 2796-264/268
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