Das neue Pilotprojekt „Neustart im Team“ / Von Elena Knežević
Anfang Mai gab die Bundesregierung den Startschuss für das Pilotprojekt "Neustart im Team" (NesT), ein staatlich-gesellschaftliches Aufnahmeprogramm für besonders schutzbedürftige Flüchtlinge. Dahinter verbirgt sich ein "Community Sponsorship Program". Entsprechende Programme werden in vielen Ländern schon seit langem praktiziert. Sie zeichnen sich dadurch aus, dass Individuen, Gruppen oder Vereine bzw. NGOs für einen begrenzten Zeitraum die finanzielle und soziale Verantwortung für eine Familie oder einen Flüchtling übernehmen. Im Ergebnis bedeutet dies für den deutschen Kontext, dass 500 besonders schutzbedürftige Flüchtlinge sicher nach Deutschland einreisen können und sich beispielsweise nicht auf die allzu oft tödlich endende Überfahrt über das Mittelmeer begeben müssen.
Im Juni veröffentlichte der Hohe Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen (UNHCR) und Leiter des Flüchtlingshilfswerks seine jährliche Statistik: Weltweit befinden sich über 70 Millionen Menschen auf der Flucht, das sind 2,3 Millionen mehr als im Vorjahr. So viele Flüchtlinge wurden seit der Gründung des UNHCR im Jahr 1950 noch nie gezählt. Die größte Flüchtlingsgruppe sind nach wie vor Syrer, gefolgt von Afghanen und Südsudanesen. Unter diesen Flüchtlingen befinden sich 1,44 Millionen Menschen, die schnellstmöglich umgesiedelt werden müssen, da sie aufgrund anhaltender Kriege und Krisen nicht in ihr Heimatland zurückkehren können oder weil sie sich in langwierigen Fluchtsituationen befinden und es keine Integrationsperspektive im Erstzufluchtsland für sie gibt. Insbesondere für kranke Menschen, für alte Personen, Kinder und Frauen ist eine lebensgefährliche Flucht oft unmöglich. Genau für diese Menschen hat das UNHCR das Schutzkonzept Resettlement (dt. Neuansiedlung) entwickelt. Nach festen Regeln und Kriterien entscheidet das UNHCR über den Schutzbedarf, sodass ihre Akte einem aufnahmebereiten Drittstaat vorgelegt wird. Dieser Staat entscheidet dann wiederum, ob diese Person oder Familie aufgenommen wird oder nicht.
In Deutschland gibt es das strukturierte Resettlement seit 2012, wobei die Aufnahme über humanitäre Programme wesentlich länger praktiziert wird. Bereits in den 1960er und 1970er Jahren wurden Flüchtlinge aus Ungarn oder Boatpeople aus Vietnam im Rahmen von Kontingenten aufgenommen. Auch während der Jugoslawienkriege Anfang der 1990er Jahre wurden 350.000 Flüchtlinge aus Bosnien-Herzegowina von der BRD aufgenommen. Bis Ende 2019 können 20.000 in der Türkei lebende Syrer über ein solches humanitäres Aufnahmeprogramm sicher nach Deutschland einreisen. Die Aufnahme und Anzahl von Kontingentplätzen basiert auf einer freiwilligen politischen Entscheidung des Bundesinnenministeriums. Die Intention dahinter ist, dass die internationale Staatengemeinschaft mehr Verantwortung für Flüchtlinge übernimmt, denn die Türkei, Pakistan, Uganda und der Sudan beherbergen weltweit die größten Flüchtlingspopulationen.
NesT – ein zusätzliches Aufnahmeprogramm
Im Rahmen eines EU-Aufnahmekontingents beteiligt sich die Bundesregierung gegenwärtig mit 10.200 Resettlementplätzen. Neu ist die zusätzliche Aufnahme über das Pilotprojekt "Neustart im Team". Das ist ein staatlich-gesellschaftliches Aufnahmeprogramm für 500 besonders schutzbedürftige Flüchtlinge, die hierüber aus Erstzufluchtsstaaten sicher nach Deutschland einreisen können. Voraussetzung für ihre Aufnahme ist jedoch, dass sich eine Gruppe aus mindestens fünf Mentorinnen und Mentoren zusammenfindet, welche die Geflüchteten finanziell und ideell unterstützt. Sie verpflichten sich, eine Wohnung zu suchen und die Nettokaltmiete für zwei Jahre zu finanzieren. Außerdem unterstützen sie die Schutzbedürftigen ein Jahr lang auf ihrem Weg zur gesellschaftlichen Teilhabe. Hierfür erarbeiten sie gemeinsam einen Integrationsplan, in dem sie beschreiben, wie das Einleben am Wohnort gelingen soll. Die Mentorinnen und Mentoren sind Ansprechpartner und helfen beispielsweise bei Behördengängen, bei der Suche einer Schule, eines Ausbildungsplatzes und einer Arbeitsstelle. Zudem ermöglichen sie Begegnungen, sei es im Sportverein, bei Freizeitaktivitäten oder bei Festen. Den Aufgenommenen soll ein direkter und schneller Zugang zur Gesellschaft und tatsächliche Teilhabe ermöglicht werden.
Analog zum regulären Resettlement werden die schutzbedürftigen Flüchtlinge auch im NesT-Programm vom UNHCR in den Erstzufluchtsstaaten registriert und ausgewählt. Im Rahmen des Pilotprojekts nimmt Deutschland Menschen aus Ägypten, Äthiopien, Jordanien oder Libanon auf. Nachdem sie in Deutschland angekommen sind, erhalten die eingereisten Flüchtlinge einen Aufenthaltstitel gemäß § 23(4) AufenthG. Das bedeutet, dass sie zunächst drei Jahre befristet in Deutschland leben und später eine Niederlassungserlaubnis beantragen können. Außerdem beziehen sie Leistungen gemäß SGB II, d. h. Hartz IV, sodass sie auch direkt am Integrationskurs teilnehmen können. Selbstverständlich steht ihnen die Beratung von MBE (Migrationsberatung für erwachsene Zuwanderer) und JMD (Jugendmigrationsdienst) durch die Wohlfahrtsverbände zur Verfügung. Bei dieser Art der Aufnahme ist es nicht erforderlich, einen Antrag auf Asyl zu stellen, da der Aufenthalt gesichert ist. Im Rahmen des Programms wurde eine Zivilgesellschaftliche Kontaktstelle (ZKS) eingerichtet, um Mentoring-Gruppen auf ihrem Weg zu begleiten und zu unterstützen. Ihr Ziel ist es, interessierte Mentorinnen und Mentoren über das Projekt und die Pflichten zu beraten und zu informieren sowie Schulungen für die Mentor(inn)en durchzuführen.
NesT – ein Projekt für Kirche und Caritas?
Die katholische Kirche und ihre Caritas fordern seit langem, dass Deutschland sein humanitäres Engagement ausweitet und die Aufnahmekontingente zur legalen und sicheren Einreise erhöht. Der Deutsche Caritasverband (DCV) und die Deutsche Bischofskonferenz waren gemeinsam mit Wohlfahrtsverbänden, NGOs und Stiftungen an der Entstehung des Projekts beteiligt. In einem transparenten Verfahren konnten auch die Erfahrungen aus der Arbeit mit Ehrenamtlichen und Geflüchteten erfolgreich eingebracht werden, was doppelt wichtig ist, weil das Pilotprojekt genau auf der Beteiligung von Zivilgesellschaft und Ehrenamtlichen fußt. Sie sind inte-graler Bestandteil des Projekts. In den Bistümern bieten das Netzwerk von Kirche und Caritas und insbesondere die dortigen Beratungsangebote für Ehrenamtliche und Flüchtlinge eine gute Anlaufstelle. Mehrere Bistümer haben bereits zugesagt, sich am Projekt zu beteiligen und die Mentorinnen und Mentoren finanziell und im Rahmen der bestehenden Strukturen zu unterstützen. Der Kölner Erzbischof Rainer Maria Kardinal Woelki hat beispielsweise zugesichert, gemeinsam mit der Caritas im Erzbistum einen Fonds einzurichten, um Mentoring-Gruppen finanziell zu unterstützen.
Auf die Mentoring-Gruppe warten viele neue Erfahrungen und Erkenntnisse, aber auch Stolpersteine. Zunächst müssen sie sich als Gruppe formieren und ein sinnvolles Integrationskonzept erarbeiten. Auch der derzeitige Wohnraummangel wird mancherorts eine große Herausforderung für die Gruppen. Es gilt, kreative Lösungen auf die Fragen zu finden: Wie können die notwendigen Mittel gesammelt werden? Gibt es Unternehmen, die sich einbringen können? Was können Kirche und Caritas beitragen? Auch die Verbindung zwischen staatlichem Aufnahmeprogramm und zivilgesellschaftlicher Unterstützung ist in Deutschland neu und wird bei NesT erprobt. Dazu wird eine begleitende Evaluation zeigen, ob das Pilotprojekt verstetigt wird. Denn getreu dem Leitsatz „Leben retten und Zusammenleben gestalten“ sind solche Projekte ein Beispiel gelebter Solidarität. Daher sind Kirchengemeinden, Helferkreise, Vereine und Verbände ausdrücklich aufgerufen, sich an diesem Pilotprojekt zu beteiligen. Kirche und Zivilgesellschaft können damit ein Zeichen setzen und diesem Projekt zum Gelingen verhelfen, sodass zumindest 500 schutzbedürftige Frauen, Männer und Kinder sicher einreisen und mit Mentorinnen und Mentoren einen „Neustart im Team“ in Deutschland schaffen.
Elena Knežević ist Referentin für Migration und Integration im Deutschen Caritasverband e. V. und bei der Zivilgesellschaftlichen Kontaktstelle (ZKS) für das Pilotprojekt "Neustart im Team" zuständig. Außerdem ist sie Mitglied im Ökumenischen Vorbereitungsausschuss zur Interkulturellen Woche.