"Plötzlich Dinge erzählen, die in meiner Heimat absolut tabu sind"

"Plötzlich Dinge erzählen, die in meiner Heimat absolut tabu sind"
Ein Geflüchteter berichtet von seinem Weg nach Deutschland und vom Ankommen

"Eigentlich wollte ich mein Heimatland, meine Freunde und meine Familie nie verlassen. Ich hatte meinen Traumjob und war gleichzeitig noch dabei, meinen Master zu machen. In Ländern wie meinem Heimatland, wo Homosexualität unter Strafe steht, ist man durch jede Person erpressbar, die um einen weiß. Man weiß aber nicht, wann es so weit ist.

Leider wurde ich vom Regime verfolgt, doch zum Glück hatte ich zu dem Zeitpunkt ein langfristiges Schengen-Visum und nahm direkt einen Flug nach Deutschland. Hier war ich schon oft gewesen, hatte jedoch keine Ahnung, wie man als verfolgter Schwuler Asyl bekommen kann. Wohin soll ich gehen? Mit wem soll ich reden? Was ist mit der Sprache? Zum Glück kam ich dann in Saarbrücken und Köln in Kontakt mit dem Lesben- und Schwulenverband in Deutschland, dem LSVD. Als ich dann in Lebach den Asylantrag stellte, hieß es: Du wirst nach Nordrhein-Westfalen zugewiesen und musst nach Bochum fahren, allein, mit der Bahn. Von Bochum hatte ich noch nie etwas gehört. Im Ruhrgebiet unterstützte mich dann zum Glück die Rosa Strippe mit ihrem Projekt Senlima; das war für mich das Licht am Ende des Tunnels. Endlich habe ich andere wie mich getroffen, fühle mich nicht so allein. Endlich kann jemand mich beraten, ohne dass ich Angst zu haben brauche. Ich war sehr glücklich, dass ich nicht alleine zur Anhörung gehen musste, sondern mit einem Mitarbeiter vom Senlima-Team.

Zum Glück kam ich nach Düsseldorf

Zwar war das Land informiert worden, dass ich schwul bin, aber trotzdem musste ich mit vier konservativ-muslimischen Arabern auf einem Zimmer wohnen. Das war schrecklich. Anders als die anderen Geflüchteten, die in der Unterkunft Freunde und Unterstützung fanden, hatte ich große Sorge, dass ich wegen meiner Homosexualität diskriminiert würde.

Von Essen ging es dann aufs Land, wo ich 40 Minuten zur nächsten Bahnhaltestelle laufen musste. Schließlich hatte ich Riesenglück: Ich wurde Düsseldorf zugewiesen und in einer Unterkunft für LSBTI-Personen untergebracht. Viele queere Geflüchtete haben aber nicht so viel Glück und werden über Jahre gezwungen, auf dem Land zu wohnen, wo sie nicht nur isoliert sind, sondern auch oft Rassismus und LSBTI-Feindlichkeit erleben.

Relativ gute Erfahrungen im Asylverfahren

Im Asylverfahren habe ich relativ gute Erfahrungen gemacht: Der Entscheider war ein 'Sonderanhörer für geschlechtsspezifische Verfolgung'. Aber es war schon seltsam: War ich noch wenige Monate zuvor vor dem einen Staat wegen meiner Homosexualität geflüchtet, wurde nun erwartet, dass ich mich dem anderen Staat anvertraue und Dinge erzähle, die in meiner Heimat ein absolutes Tabu sind – und dies auch noch in Anwesenheit einer arabischen Sprachmittlerin! Als mein positiver Bescheid ein Jahr später kam, fühlte ich mich endlich wieder frei, konnte endlich wieder leben."                          

                                                                                                                                                           Anonym

Dieser Text erschien zuerst im Caritas-Magazin Migration und Integration-Info 1 / März 2022