Kirchen: Auseinandersetzung mit Extremismus

Die Kirchen in Deutschland sprechen sich immer wieder gegen Rechtsextremismus und andere Formen Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit aus. Doch sie müssen sich auch selbstkritisch mit den eigenen Anteilen daran befassen. Foto: BAG K+R
Kirchen: Auseinandersetzung mit Extremismus
Zwischen Nächstenliebe und rechten Vereinnahmungsversuchen
Henning Flad

Die christlichen Kirchen stehen in einer besonderen Verantwortung, sich für Demokratie und gegen Rechtsextremismus und andere Formen Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit einzusetzen. Die kritische Beschäftigung mit Rechtsextremismus und das Eintreten für Demokratie gehört zu den zentralen Anliegen vieler Kirchenmitglieder. "Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst!" – das Gebot der Nächstenliebe ist eindeutig, es enthält keinen Spielraum für die Diskriminierung und Verfolgung von Menschen. Ebenfalls sehr bekannt ist folgende Stelle aus dem 2. Buch Mose: "Die Fremdlinge sollst du nicht bedrängen und bedrücken; denn ihr seid auch Fremdlinge in Ägyptenland gewesen." (2. Mose 20, 22) Die Botschaft ist glasklar: Rassismus ist nicht vereinbar mit dem Gebot der Nächstenliebe. Es gibt viele weitere klare Aussagen in der Bibel.

Der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) und die evangelischen Landeskirchen verurteilen deshalb ebenso wie die Deutsche Bischofskonferenz, die Diözesen und das Zentralkomitee der Deutschen Katholiken regelmäßig mit großer Klarheit Rassismus und sprechen sich gegen alle Formen von Diskriminierung aus. Kirchenangehörige engagieren sich seit Langem gegen Rechtsextremismus, im kirchlichen Raum gibt es eine Vielzahl von sehr aktiven Initiativen, die sich kritisch mit Rechtspopulismus Rechtsextremismus auseinandersetzen. Viele von ihnen haben sich in der Bundesarbeitsgemeinschaft Kirche und Rechtsextremismus zusammengeschlossen, die 2010 gegründet wurde.

Eigene Verantwortung der Kirchen

Doch es geht nicht nur darum, Handlungsbedarf bei anderen zu identifizieren, sondern sich auch selbstkritisch mit den eigenen Anteilen zu befassen. Es ist erfreulich und richtig, dass kirchliche Stellungnahmen immer wieder betonen, dass ein grundlegender Widerspruch zwischen christlicher Botschaft und menschenfeindlichen Ideologien besteht. Gleichzeitig lieferten mehrere Untersuchungen aus den vergangenen Jahren Anhaltspunkte dafür, dass auch unter Kirchenmitgliedern menschenfeindliches Gedankengut verbreitet ist. Es ist offenkundig: Rassismus und Antisemitismus, ebenso wie andere menschenfeindliche Ideologien und Strukturen, sind nicht nur ein Randphänomen der Gesellschaft. Dies bestätigen alle einschlägigen Studien. Zwar ist Neonazismus genau das: ein gesellschaftliches Randphänomen. Aber Ideologien der Ungleichheit sind auch verbreitet unter Menschen, die sich in der gesellschaftlichen Mitte positionieren.

Aus vielen Berichten gegen Rassismus engagierter kirchlicher Initiativen und auch aus den eigenen Erfahrungen des Autors in Pfarrkonventen, Fortbildungen für Mitarbeitende kirchlicher Einrichtungen und ähnlichen Veranstaltungen wird deutlich, dass rechtspopulistische Deutungsmuster auch im kirchlichen Raum insbesondere seit dem Jahr 2015 sowohl zunehmen als auch offener geäußert werden.

Vereinnahmungsversuche von rechts

Ebenso ist unübersehbar, dass rechte Gruppen versuchen, ihren Einfluss im kirchlichen Raum auszubauen – und dabei auf vorhandene Strukturen zurückgreifen können. Verbindungen rechter Akteur*innen zu evangelikalen oder rechtskatholischen Medien wie ideaSpektrum oder kath.net sind gut dokumentiert. Ebenso ist es offenkundig, dass christliche Töne – zumindest im Eigenanspruch -  im neurechten Milieu seit eh und je deutlich vernehmbar sind. Ein Beispiel dafür ist Karlheinz Weißmann, einer der zentralen Vordenker der neurechten Szene in Deutschland. Er ist studierter Theologe, im Hauptberuf tätig als Lehrer für Geschichte und evangelische Religion und hat zahlreiche Texte mit christlichen Bezügen veröffentlicht – darunter auch ein Buch mit dem Titel "Martin Luther für junge Leser: Prophet der Deutschen". Auch der Publizist Martin Lichtmesz, Stammautor der neurechten Zeitschrift sezession, veröffentlichte ein Buch, in dem er sich intensiv aus rechtskatholischer Sicht mit theologischen Fragen befasste. Der ordinierte evangelische Theologe Thomas Wawerka sprach wiederholt bei neurechten Veranstaltungen, auch im Talar. Eine Fülle von weiteren Beispielen nennt die Publizistin Liane Bednarz in ihrem Buch "Die Angstprediger: Wie rechte Christen Gesellschaft und Kirchen unterwandern".

Und wie erfolgreich?

Rechte Populisten versuchen seit Jahren, auch in kirchlichen Strukturen Fuß zu fassen. Foto: Adobe Stock

Ein Versuch der Unterwanderung oder Beeinflussung findet statt – aber ist er auch erfolgreich? Wie werden rechte Angebote in den Kirchen angenommen?

Es gibt Beispiele für Landgewinne in kirchlichen Strukturen, dennoch muss betont werden: Entgegen der Wahrnehmung bei einigen Journalist*innen, dass aufgrund der Parole "Rettung des christlichen Abendlandes" rechte Kreise in den Gremien der Kirchen überproportional stark vertreten sein müssten, sind sie es nicht. Tatsächlich war kirchliches Leben gerade in den Gemeinden in den Jahren seit 2015 viel stärker von der ehrenamtlichen Unterstützung von Geflüchteten geprägt, tatsächlich sind Rechtspopulist*innen auf Synoden der evangelischen Kirche und Diözesanräten der katholischen Kirche in Deutschland – falls überhaupt vertreten – weit unterrepräsentiert. Tatsächlich sind keine Mitglieder der AfD im Zentralkomitee der deutschen Katholiken vertreten. Wenn es doch rechtspopulistische Vertreter*innen in gewählten kirchlichen Gremien gibt – dann nur vereinzelt auf der Gemeindeebene. Kirchliche Leitungen positionieren sich klar, deutlich und regelmäßig.

Rechtspopulismus ist besonders stark in Gegenden mit geringer konfessioneller Bindung – wie die Wahlergebnisse der AfD in Ostdeutschland unterstreichen. Und ganz praktisch ist zu fragen: Würden Mitglieder der AfD so oft zum Kirchenaustritt aufrufen, wenn sie eine Chance sähen, innerhalb kirchlicher Gremien an Einfluss zu gewinnen?

Kirchen als Feindbild

Wer über Rechtspopulismus und die Kirchen redet, sollte aber einen anderen Punkt in den Fokus nehmen: Dass die Kirchen aufgrund ihrer Gleichstellungs- und ihrer Migrationspolitik Feindbild des Rechtspopulismus sind. Dies beinhaltet vor allem die ständige Negativberichterstattung, Hetze und Stimmungsmache in einschlägigen Medien der rechten Bewegung. Dazu kommen immer wieder sogenannte Shitstorms, die sich insbesondere gegen die kirchliche Flüchtlingspolitik und die kirchliche Gleichstellungspolitik wenden. Besonders schmerzhaft für die Betroffenen ist jedoch etwas Anderes: Insbesondere seit 2015 berichten immer mehr Menschen, die haupt- oder ehrenamtlich in der Unterstützung von Geflüchteten tätig sind, dass sie auch im privaten Raum unter Druck gesetzt werden.

Bei aller skeptischen Beurteilung der Erfolgsaussichten rechter Unterwanderungsversuche ist aber trotzdem bei der Bearbeitung des Themas eine selbstkritische Perspektive festzuhalten: Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit ist spürbar vorhanden in den Kirchen. Sie können nur Teil der Lösung sein, wenn sie sich auch als Teil des Problems begreifen.

Christlicher Antijudaismus

Eine Ausprägung Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit, der Antisemitismus, gehört dabei in besonderer Weise zum kirchlichen Traditionsbestand. Hier ist leider zu beobachten, dass gerade in der Erscheinungsform als sogenannte „Israelkritik“ Ressentiments spürbar präsent sind, und diesen auch nicht konkret und klar genug durch die Leitungen widersprochen wird, oft aus der Erfahrung heraus, dass Diskussionen zu diesem heiklen Thema eskalieren können.

Aus der Schedelschen Weltchronik von 1493: Bericht über Pogrom gegen die Juden in Deggendorf 1338.

Warum ist dies so? Eine Antwort liegt im Blick auf die kirchliche Tradition – insbesondere in der sogenannten Enterbungstheologie, auch Substitutionstheologie genannt. Diese beschreibt die lange im Christentum gepflegte Vorstellung, dass der Bund mit dem jüdischen Volk, den Gott mit Abraham schloss, von Gott gekündigt worden sei, weil die Juden die Botschaft Jesu nicht angenommen hätten. Die Erwählung sei seitdem auf die Kirche übergegangen. Diese Vorstellung war für viele Jahrhunderte Kern des christlichen Antijudaismus.

Die Enterbungstheologie wurde im deutschen Protestantismus in theologischen Diskussionen nach der Shoa in Frage gestellt, was schließlich auch zu Änderungen der Grundordnungen führte: Beginnend mit der rheinischen Synode im Jahr 1980 bekannten sich in Deutschland EKD und Landeskirchen zur bleibenden Erwählung des Judentums. Schon früher, 1965, hatte die Katholische Kirche in ihrer vom Zweiten Vatikanischen Konzil verabschiedeten Erklärung „Nostra aetate“ die bleibende Erwählung des Judentums bestätigt.

So erfreulich diese Neubestimmungen sind – die kirchliche Schuldgeschichte wirkt nach und muss aufgearbeitet werden, wie auch der Ratsvorsitzende der EKD, Heinrich Bedford-Strohm, und Kardinal Reinhard Marx als Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz 2020 in einer Erklärung zum 75. Jahrestag der Befreiung von Auschwitz betonten: "Nicht zuletzt mussten die Kirchen nach Auschwitz über ihre eigene Haltung gegenüber den Juden nachdenken. Dabei ist deutlich geworden, dass der Antijudaismus, die Ablehnung der Juden aus religiösen Gründen, über Jahrhunderte hinweg die europäische Kultur geprägt hat. Der tief auch in den Kirchen verwurzelte Judenhass der früheren Zeiten nährte den Judenhass der Moderne. Auch diesem Schulderbe müssen sich die Kirchen stellen."

Christliche Botschaft besser vermitteln

Trotz allen Schwierigkeiten und aller Verbreitung von Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit unter den Kirchenmitgliedern, trotz allen Versuchen, in den Kirchen von rechts Fuß zu fassen, bleibt doch eine wichtige Stärke der Kirchen unberührt: Die christliche Botschaft steht in einem überaus deutlichen Widerspruch zu Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit und allen Hassideologien. Auch die kirchlichen Erklärungen zu diesen Themen sind so eindeutig, dass das Ziel nur heißen kann: Die Kirche muss ihre Botschaft besser vermitteln, sowohl in der Gesellschaft als auch vor allem in den Gemeinden.

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Henning Flad
Foto: BAG K+R

Henning Flad ist Politikwissenschaftler und Projektleiter der Bundesarbeitsgemeinschaft Kirche und Rechtsextremismus.

Kontakt: projektleitung@bagkr.de