Wie soll man auf Hatespeech im Netz reagieren?

Wie soll man auf Hatespeech im Netz reagieren?
Liriam Sponholz und Said Rezek präsentieren ihre Ansätze, um mit Hassrede umzugehen

Kein Eingehen auf die Streitfrage

Liriam Sponholz

Liriam Sponholz
Liriam Sponholz. Foto: privat

Auf etwas, was nicht richtig erkannt wird, ist schwerlich zu reagieren. Dies gilt auch für Hate Speech. Was aber ist Hate Speech? Hierzu besteht Einigkeit bis hin zur UNO: Hate Speech ist eine Art der Kommunikation, durch die Menschen absichtlich aufgrund von Identitätsfaktoren wie Geschlecht, Phänotyp oder Herkunft attackiert werden. Dazu zählen z.B. Frauen, schwarze Menschen oder Migrant*innen; Berufsgruppen und politische Gruppierungen zählen nicht dazu.

Hate Speech umfasst Beschimpfungen und Drohungen sowie die Anstiftung zu Verachtung, Diskriminierung und Gewalt. Während Schimpfwörter und rassistische Symbole sichtbar sind, ist eine Anstiftung schwer zu erkennen. Oft steht sie nicht offen in der Botschaft, sondern steckt in der damit aufgeworfenen Streitfrage: Zielt die Frage darauf ab, eine Gruppe aufgrund eines Identitätsfaktors als "Problem" zu definieren, ist es Hate Speech und so ein Anlass zu reagieren. Aber wie?

Hate Speech lebt von Sichtbarkeit, Popularität und Legitimität. Um Sichtbarkeit zu verhindern, müssen der Staat und Onlinenetzwerkplattformen wie Facebook aktiv werden. User können helfen, indem sie Hate Speech melden, damit die Inhalte geprüft und gelöscht oder die Hater blockiert werden. Das geht z.B. über die von einigen Landesregierungen eingerichteten Meldestellen gegen Hass im Netz. Möglich ist auch, sozialen Druck auf die Netzwerkplattformen auszuüben, damit diese ihrer sozialen Verantwortung nachkommen. Die Kampagne Stop Hate for Profit ist hierfür ein gutes Vorbild.

Popularität entsteht in der Logik solcher Medien, wenn User über Inhalte durch Likes, Shares oder Comments miteinander interagieren, unabhängig davon, ob sie diesen zustimmen oder sie ablehnen. Reagieren sie auf Hasskommentare z.B. durch Kommentare oder mit Emoticons, verleihen sie Hate Speech Popularität. Um das zu verhindern, sollte eine Interaktion mit dem Inhalt – auch eine ablehnende – erst eine Option sein, wenn eine Löschung nicht möglich und Popularität schon vorgegeben ist.

Legitimität entsteht, indem ein Inhalt "sachlich debattiert" wird. Dies gilt auch für Hate Speech. Eine sachliche Diskussion von Hate-Speech Inhalten kommt daher der Anerkennung der Hater und deren menschenfeindlichen Botschaften gleich. Daher gilt: kein Eingehen auf die Streitfrage! Erfolgsversprechend ist es z.B. vielmehr, die Botschaften umzudeuten. Gelungenes Beispiel hierfür ist die Verwendung des Hashtags #proudboys durch gleichgeschlechtliche Paare, wodurch die Hassbotschaften der rechtsextremen Gruppe keinen Eingang in die Debatte fanden und so keine Legitimität bekamen.

Privatdozentin Dr. Liriam Sponholz ist Medien- und Kommunikationswissenschaftlerin. Sie forscht derzeit am Deutschen Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung (DeZIM) in Berlin. Zuvor arbeite sie unter anderem an der LMU München, der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, der Universidad Complutense de Madrid und der UFSC in Brasilien. 2018 habilitierte sie zum Thema Hate Speech in den Massenmedien.

Kontakt: sponholz@dezim-institut.de

 

Ignorieren ist keine Alternative!

Said Rezek

Said Rezek
Said Rezek. Foto: privat

In der analogen Welt erwarten die meisten zu Recht Zivilcourage, wenn jemand in aller Öffentlichkeit von Hate Speech betroffen ist. Diesen Maßstab sollten wir als Gesellschaft auch in der digitalen Welt an den Tag legen, da beide Sphären real sind und sich Hate Speech sowohl digital als auch analog negativ auf die Betroffenen auswirken kann. Ein Musterrezept, wie man auf Hate Speech reagieren sollte, gibt es nicht. Je nach Situation und Schwere von Hate Speech bieten sich unterschiedliche Möglichkeiten an:

  1. Wenn es sich um strafrechtliche relevante Hasskommentare wie Beleidigung, üble Nachrede oder Volksverhetzung handelt, rate ich zur Anzeige. Dadurch spüren die Hater:innen Konsequenzen und ihnen wird im besten Fall klar, dass das Netz kein rechtsfreier Raum ist.
  2. Unzivile Kommentare sind zwar noch von der Meinungsfreiheit gedeckt, aber aus meiner Sicht moralisch verwerflich. Dies ist beispielsweise bei rassistischen oder sexistischen Kommentaren der Fall, bei denen Menschen mit Worten pauschal abgewertet und ausgegrenzt werden. Ich vermeide öffentliche Diskussionen mit Rassist:innen und Sexist:innen, weil ihr Gedankengut sonst aufgewertet oder gar als legitimes Interesse wahrgenommen werden könnte. Rassismus und Sexismus sind jedoch keine Meinung, geschweige denn ein Argument wie jedes andere. Sie gehören aus meiner Sicht vielmehr gesellschaftlich geächtet und sind diskussionsunwürdig. Aus diesem Grund rate ich bei unzivilen Kommentaren in sozialen Netzwerken dazu, diese zu melden, sofern sie gegen die Richtlinien der jeweiligen sozialen Netzwerke verstoßen. Außerdem besteht die Möglichkeit solche User:innen zu blocken.  
  3. Wenn es sich um grenzwertige Kommentare handelt, die zwar schwer zu ertragen sind, aber weder gegen die Gemeinschaftsstandards sozialer Netzwerke verstoßen noch unzivil oder strafrechtlich relevant sind, empfehle ich einen Austausch im Kommentarbereich. Dadurch können Filterblasen überwunden werden, sodass im Idealfall ein Lernprozess stattfindet. Die Möglichkeiten reichen von sachlicher bis hin zu sarkastischer Gegenrede.

Gegenrede verschafft den Hater:innen zwar mehr Präsenz und die sozialen Netzwerke profitieren durch die Interaktionen. Wenn es hingegen keinen Widerstand gibt, könnten Hater:innen meinen, im Namen einer schweigenden Mehrheit zu sprechen, da sie die fehlende Reaktion als Zustimmung oder Gleichgültigkeit interpretieren. Aus diesem Grund ist es wichtig, sich bei verbalen Grenzüberschreitungen öffentlich gegen Hater:innen zu positionieren.

Said Rezek ist Politikwissenschaftler, Trainer und freier Journalist. Er schreibt insbesondere über Medien, Muslime, Migration und Rassismus Er ist Autor des Buches Bloggen gegen Rassismus - Holen wir uns das Netz zurück. Außerdem bietet er bundesweit Blogger-Workshops gegen Rassismus und Hate Speech für Medienkompetenz und Demokratieförderung an. Er kann ebenfalls für Lesungen oder als Teilnehmer an Podien angefragt werden.

Kontakt: office@said-rezek.de