"Einbürgerungen beschleunigen Integrationsprozesse"

Der deutsche Pass bringt viele Vorteile. Dennoch ist die Zahl der Einbürgerungen niedrig. Foto: Kaesler Media - stock.adobe.com
"Einbürgerungen beschleunigen Integrationsprozesse"
Der Integrations- und Migrationsforscher Dr. Niklas Harder spricht über den deutschen Pass, niedrige Zahlen bei der Einbürgerung und was dabei besser laufen könnte
Johannes Brandstäter

#offengeht erfordert, ganz zu Ende gedacht, dass ein Einwanderungsland den Dazugekommenen irgendwann auch seine Staatsangehörigkeit verleiht. Doch Deutschland bürgert seltener ein als vergleichbare Länder. Wieso ist das so, und was bringt der deutsche Pass überhaupt für Vorteile? Dazu nimmt Dr. Niklas Harder vom Deutschen Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung (DeZIM) Stellung. Dort ist er Postdoktorand und außerdem assoziiertes Mitglied des Immigration Policy Labs an der Stanford University. Er forscht zu Integration und politischer Partizipation. Das DeZIM, angesiedelt in Berlin-Mitte, will in Politik, Zivilgesellschaft und Medien wirken und dazu beitragen, die Diskurse um die Themen Integration, Migration, Diskriminierung und Rassismus zu versachlichen. Es berät Vertreter*innen von Politik, Öffentlichkeit und Zivilgesellschaft zu diesen Themen.

Dr. Niklas Harder
Dr. Niklas Harder. Foto: DeZIM

Welche für Vorteile bringt der deutsche Pass?
Das hängt stark davon ab, welchen Pass eine Person schon besitzt. Für Staatsbürger eines anderen EU-Landes bringt er weniger Vorteile als für Menschen, aus so genannten Drittstaaten. Der größte Vorteil ist grundsätzlich, dass Volljährige mit dem deutschen Pass auch das allgemeine Wahlrecht in Deutschland erhalten. Bürger aus EU-Staaten haben ein lokales Wahlrecht und können sich damit an Kommunalwahlen, aber nicht an Landtags- oder Bundestagswahlen beteiligen. Auch zum Reisen innerhalb und außerhalb der EU ist der deutsche Pass ein guter Begleiter. Mit ihm kann man visafrei in viele Länder der Welt reisen. Das ist ein großes Privileg, von dem Staatsbürger vieler Länder nur träumen können. Sie müssen für Auslandsreisen stets ein Visum beantragen. Darüber hinaus zeigen Studien aus Deutschland, dass erwachsene Frauen auf dem Arbeitsmarkt Vorteile haben, wenn sie sich leichter einbürgern können. Auch bei Kindern verbessert eine erleichterte Einbürgerung nachweislich deren Bildungschancen. Es gibt zudem Hinweise darauf, dass diese positiven Effekte besonders bei solchen Menschen zu beobachten sind, die vorher im Bildungssystem oder auf dem Arbeitsmarkt eher benachteiligt waren. Zu ähnlichen Ergebnissen kommen auch noch umfassendere Studien aus der Schweiz.

"Der Brexit und die Grenzschließungen während der Pandemie haben deutlich gemacht, wie schnell sich für selbstverständlich gehaltene Realitäten ändern können."

Das sind ziemlich viele Gründe, sich einbürgern zu lassen.
Mit dem deutschen Pass stehen einem viele Türen offen. Man muss sich aber immer wieder bewusstmachen, dass dieser Status und Privilegien wie die Reisefreiheit innerhalb der EU auf politischen Entscheidungen beruhen, die auch wieder zurückgenommen werden können. Der Brexit und die Grenzschließungen während der Pandemie haben deutlich gemacht, wie schnell sich für selbstverständlich gehaltene Realitäten ändern können. Ein anderes Beispiel dafür ist der so genannte Travel Ban, den Donald Trump kurz nach seinem Amtsantritt im Januar 2017 für Bürger aus mehreren muslimisch geprägten Ländern verhängte. Ich selbst bin im Januar 2017 am ersten Tag, als diese Executive Order 13769 des damaligen US-Präsidenten in Kraft trat, in die USA eingereist. Die Beamten an den Einreiseschaltern waren komplett überfordert, und allen Wartenden wurden die Unterschiede, die zwischen ihren Pässen bestanden, plötzlich sehr bewusst. Ich will hier den Teufel nicht an die Wand malen und hoffe, dass sich die Unterschiede zwischen verschiedenen Pässen in Zukunft weltweit weiter verringern. Ich denke aber, dass es einen gegen viele Eventualitäten absichert, wenn der Pass, den man besitzt, zum Ort des Lebensmittelpunkts passt. Als Ausländer hat man einfach überall, ob in Deutschland oder anderen Ländern der Welt, weniger Rechte als ein Staatsbürger – und diese Rechte können einem auch wieder entzogen werden, wenn sich der politische Wind dreht.

IKW-Postkarte von 2021
Schon 2012 griff die Interkulturelle Woche mit diesem Postkartenmotiv das Thema Einbürgerung auf. © ÖVA

Die Einbürgerungszahlen sind niedrig. Bei dem Tempo würde es Jahrzehnte dauern, bis alle Menschen, die die Voraussetzungen erfüllen, zu ihrem deutschen Pass kämen. Woran liegt es?
Das ist leider schwer zu sagen. Zunächst einmal erfüllen nicht alle Menschen die Voraussetzungen dafür, eingebürgert zu werden. Ein Grund ist aber auch, dass rund um das Thema Einbürgerungen ein hohes Informationsdefizit besteht. Viele, die es betrifft, kennen ihre Rechte gar nicht. Ein weiterer Grund ist, dass viele Menschen ihre alte Staatsangehörigkeit aufgeben müssten, um die deutsche Staatsangehörigkeit zu erlangen. Denn die doppelte Staatsbürgerschaft ist – bis auf einige Ausnahmen, etwa für EU-Bürger – in Deutschland verboten. Aus- und Einbürgerungen sind in vielen Fällen zudem mit Kosten und viel Bürokratie verbunden. Diese Kosten spielen besonders für Familien eine Rolle – jedenfalls werden sie in Umfragen zum Thema immer wieder als Hürde angeführt. Und nicht zuletzt ist es für manche Menschen auch ein emotionales Thema, ihre alte Staatsangehörigkeit aufzugeben. Das fällt manchen nicht leicht. Es ist, als würden Sie eine Tür hinter sich schließen, und dieses Gefühl der Endgültigkeit schreckt manche ab.

"Das Wahlrecht alleine ist für viele offenbar nicht attraktiv genug, um sich einbürgern zu lassen."

Bürger*innen aus anderen EU-Staaten wiederum haben durch einen deutschen Pass kaum Vorteile.
Richtig. Das Wahlrecht alleine ist für viele offenbar nicht attraktiv genug, um sich einbürgern zu lassen, und ansonsten sind sie deutschen Staatsbürgern rechtlich weitgehend gleichgestellt. Der Aufwand und die Kosten einer Einbürgerung sind ihnen da einfach zu hoch. Die Gründe, warum Menschen sich nicht in Deutschland einbürgern lassen, obwohl sie dazu berechtigt wären, sind also vielfältig. Unterm Strich ist es aber so, dass eine umfassende Studie zu dieser Frage fehlt. Eine Studie zur Frage warum Menschen sich einbürgern lassen oder nicht, müsste verschiedene Herkunftsländer, Rechtssituationen und Lebenslagen berücksichtigen. Eine solche Studie ist mir leider nicht bekannt.

Wie ließe sich die Prozedur der Einbürgerung vereinfachen?
Die Verfahrensdauern könnten durch digitale Prozesse und mehr Personal auf den Ämtern verkürzt werden. Wir hören immer wieder von Verfahren, die weit über sechs oder sogar 12 Monate dauern.  Das Informationsdefizit zu beheben ist sicherlich ein weiterer wichtiger Punkt. Durch niedrigschwellige Informationsangebote und die Zusammenarbeit mit Organisationen aus der Zivilgesellschaft könnte die Bereitschaft, sich einbürgern zu lassen, sicherlich erhöht werden.

"In der Praxis entstehen Deutschland durch doppelte Staatsangehörigkeiten kaum Probleme."

Mit welchen Gesetzesänderungen ließen sich die Hürden für eine Einbürgerung verringern?
Bislang gilt in Deutschland der Grundsatz, dass doppelte Staatsangehörigkeiten eine Ausnahme bleiben und möglichst vermieden werden sollen. Wenn man auf diesen Grundsatz verzichten würde, wäre sicher schon ein großer Schritt getan. Denn eine Entscheidung gegen ihre alte Staatsbürgerschaft treffen zu müssen schreckt viele Menschen von einer Einbürgerung ab. In der Praxis entstehen Deutschland durch doppelte Staatsangehörigkeiten auch kaum Probleme. Viele andere Länder sind hier deutlich liberaler und weniger restriktiv. Schließlich gibt es in unserer durch die Globalisierung immer „kleiner“ werdenden Welt immer mehr Menschen, die sich mit mehr als einem Staat identifizieren. Es wäre schön, wenn die Politik das anerkennen würde, und sich das entsprechend auch im deutschen Recht spiegeln würde.

Einbürgerungen in Deutschland werden meist als das krönende Ende von Integrationsprozessen gesehen. Sind sie das?
Nein, denn es erscheinen immer mehr Studien die zeigen, dass Einbürgerungen Integrationsprozesse beschleunigen und darum nicht am Ende von Integrationsprozessen stehen sollten. Auch hier könnte die Politik aktiv werden, indem die Mindestaufenthaltsdauer vor einer Einbürgerung verkürzt wird.

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Johannes Brandstäter
Foto: ÖVA / Nils Bornemann

Johannes Brandstäter ist Diplom-Politologe, Grundsatzreferent Migration in der Diakonie Deutschland und Mitglied des Ökumenischen Vorbereitungsausschusses zur Interkulturellen Woche.

Kontakt: migration@diakonie.de

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