Die städtische Ausländerbehörde unter einem Dach mit dem Interkulturellen Zentrum – was auf den ersten Blick fast unmöglich erscheint, ist in Heidelberg seit über drei Jahren Realität. Dort eröffnete im Dezember 2016 das "International Welcome Center" (IWC). Damit wurde eine deutschlandweit einmalige Institution geschaffen.
Dass das IWC etwas Besonderes ist, wird bereits im Wartebereich der Ausländerbehörde deutlich. Kein kalter Behördenflur, sondern ein luftiger Raum mit Säulen, einer Kaffeebar auf der einen und einer kleinen Bühne auf der anderen Seite. Denn wo tagsüber die Kunden der Behörde warten, finden abends Lesungen oder Partys statt, veranstaltet vom Interkulturellen Zentrum (IZ).
Ungewöhnlicher Standort: eine ehemalige Tabakfabrik
Ungewöhnlich ist auch der Standort an sich: Das IWC befindet sich im Kesselhaus der ehemaligen Landfried'schen Tabakfabrik. Der Hauptbahnhof ist um die Ecke, ebenso das Zentrum für Kreativ- und Kulturwirtschaft. Das Areal liegt nahe der Innenstadt und hat sich in den vergangenen Jahren zu einem wuseligen Quartier entwickelt. Es gibt dort ein freies Theater, mehrere Restaurants, der Software-Riese SAP hat dort einen Standort, ebenso die Max-Planck-Stiftung für Internationalen Frieden und Rechtsstaatlichkeit. Dazu noch Büros, eine Kita, ein Hostel und einige Wohnungen.
Zwei Frauen haben das Projekt vorangetrieben
Dass es das IWC in Heidelberg gibt, hat verschiedene Gründe – maßgeblich verantwortlich sind jedoch zwei Frauen, ohne die das Projekt so wohl nicht verwirklicht worden wäre: Da ist zum einen Jagoda Marinić, als Tochter kroatischer Einwanderer in Waiblingen geboren, Schriftstellerin und mittlerweile eine gefragte Stimme in Deutschland, nicht nur wenn es um Integration geht. 2012 kam sie nach Heidelberg, wo sie schon studiert hatte, um das IZ aufzubauen. Sie traf auf Carola de Wit, die erfahrene Leiterin der Ausländerbehörde, die gewillt war, ihre Einrichtung zu öffnen, althergebrachte Strukturen zu hinterfragen – und neu zu ordnen.
Dazu kamen zwei Impulse aus der Politik: Die Förderung des Aufbaus von Interkulturellen Zentren und ein Projekt zur Umgestaltung von Ausländerbehörden in "Welcome Center", das sich eigentlich vor allem an Fach- und Führungskräfte der Kommunalverwaltungen richtete. Warum nicht diese beiden Initiativen zusammenführen? Das war die Heidelberger Idee, die weiter ging als in anderen Städten – unterstützt vom Oberbürgermeister und maßgeblich vorangetrieben von Marinić und de Wit.
"Hier mussten sich zwei völlig verschiedene Denkansätze zusammenfinden: eine Kultureinrichtung und eine Verwaltung mit ihren jeweiligen Interessen", erinnert sich die IZ-Leiterin. Es hat offenbar funktioniert, auch weil sich da zwei Protagonistinnen gefunden hatten, die miteinander können. Marinić und de Wit vertraten ihr Konzept gemeinsam gegenüber der Politik, erklärten es im Gemeinderat. "Die eine konnte für die andere sprechen. Und am Ende haben wir das Beste von beiden Einrichtungen erhalten", sagt Marinić. Und de Wit ergänzt: "Gerade für uns war das unsicheres Terrain. Frau Marinić und ich haben gemeinsam viel erreicht, und ich bin froh darüber, sie kennengelernt und an meiner Seite zu haben."
Das IWC etabliert eine neue Willkommenskultur
So entstand das International Welcome Center: eine Behörde, in deren Wartebereich es Kaffee und Kuchen gibt. Und ein Kulturzentrum mit Veranstaltungssaal und Räumen, in denen sich interkulturelle Vereine und Initiativen treffen können. Aber das IWC ist noch viel mehr: Es etabliert eine neue Art der Willkommenskultur, weg von dem Image einer Ausländerbehörde, die bei vielen Migrant*innen noch mit dem Begriff "Ausländerpolizei" verbunden wird. "Die Atmosphäre spielt eine große Rolle für die Menschen, die zu uns kommen und auch für unsere Mitarbeitenden. Man fühlt sich bei uns wohl und angenommen", sagt de Wit. Das ist wichtig, denn für viele Klient*innen geht es nicht nur um eine Arbeitserlaubnis zum Studium, eine Einbürgerung oder eine Niederlassungserlaubnis für Hochschulabsolvent*innen, sondern um Essenzielles: bleiben oder gehen müssen. Da hilft es schon, wenn man nicht auf einem abweisenden Behördenflur sitzen muss.
Umgekehrt ist es für ein Interkulturelles Zentrum ebenfalls ein großer Schritt, mit einer Ausländerbehörde in eine WG zu ziehen. "Tatsächlich gab es zu Beginn bei einigen Vereinen Hemmungen, sich bei uns zu treffen. Das haben wir jetzt gar nicht mehr", berichtet Marinić. Stattdessen profitieren beide Institutionen voneinander: Die Behörde sorgt für "Laufkundschaft" im IZ, und die Kultureinrichtung für mehr interkulturelles Denken in der Verwaltung. "Das kann man mit Workshops und Seminaren zu Interkulturalität allein nicht ersetzen", ist sich de Wit sicher. Dieser neue "Spirit" manifestiert sich auch im Kleinen: Da ist etwa das Regal für internationale Bücher im Wartebereich, das zusammen mit der Bürgerstiftung aufgestellt wurde. Und wenn es im IZ etwas zu feiern gibt, werden auch an die Behördenmitarbeiter*innen Flyer verteilt.
Das Interkulturelle Zentrum bedient nicht nur die immer gleiche Community
Sie sei sich nicht sicher, ob schon bei allen in der Stadt angekommen sei, welch hochkarätiges interkulturelles Programm das IZ macht, äußerte Marinić im September 2017 im Interview mit der lokalen "Rhein-Neckar-Zeitung". "Das hat sich erledigt", sagt sie heute. Und sie ist stolz, dass eine Idee erfolgreich in der Stadtpolitik angekommen ist, die als Graswurzelbewegung aus der Stadtgesellschaft entstanden ist. Dabei achtet Marinić darauf, dass ihre Einrichtung nicht nur zur Spielwiese einiger weniger Vereine wird, die die Ressourcen unter sich aufteilen. Darum müssen sich alle Initiativen, die Räume haben wollen, regelmäßig neu bewerben, es soll keine Platzhirsche geben. Auch verweist sie auf das "völlig diverse" Publikum bei den IZ-Veranstaltungen. "Da sind alle möglichen Generationen und Hintergründe vertreten, je nach Thema und Format. An manchen Abenden kenne ich niemanden." Ein Zeichen, dass das IZ nicht nur die immer gleiche Multi-Kulti-Community bedient.
So will Marinić das haben. "Wir wollen eine Plattform für alle sein", sagt sie. Und: "Das IZ ist das real gewordene Bekenntnis zu Vielfalt."
Steffen Blatt arbeitet in der Geschäftsstelle des Ökumenischen Vorbereitungsausschusses zur
Interkulturellen Woche und ist dort vor allem für die Öffentlichkeitsarbeit zuständig.
Kontakt: s.blatt@interkulturellewoche.de