"Offen geht. Und offen muss gehen, auch in unserem Land."

Der ökumenische Gottesdienst in Heidelberg wurde von vielen Beteiligten gestaltet. Foto: ÖVA
"Offen geht. Und offen muss gehen, auch in unserem Land."

Klare Statements zur Aufnahme von Geflüchteten beim bundesweiten Auftakt zur Interkulturellen Woche – "Brot" war die thematische Klammer des Gottesdienstes

Mit einem stimmungsvollen Gottesdienst unter freiem Himmel wurde in Heidelberg bundesweit die Interkulturelle Woche 2022 eröffnet. Die Feier auf dem Karlsplatz mitten in der Altstadt war gleichzeitig die Eröffnung des zweiten Tages beim großen Stadtfest "Heidelberger Herbst". Gestaltet wurde der Gottesdienst unter anderem von der badischen Landesbischöfin Heike Springhart, dem Freiburger Erzbischof Stephan Burger, Bischof Emmanuel von Christoupolis (Sfiatkos), dem Vikarbischof der Griechisch-Orthodoxen Metropolie von Deutschland, und von Pastor Konstantin von Abendroth von der Vereinigung Evangelischer Freikirchen. Durch den Gottesdienst, an dem rund 300 Personen teilnahmen, führte die Bestsellerautorin Florence Brokowski-Shekete.

Ein Rückblick auf den Tag in Heidelberg. Großen Dank an Herbsthund Filme für das stimmungsvolle Video.

"Brot" war die thematische Klammer des Gottesdienstes – nicht nur als reines Lebensmittel, sondern auch als wichtiges Element des sozialen Miteinanders, wie Edem Atsiatorme von der Internationalen Gemeinde der Katholischen Stadtkirche Heidelbergs erzählte. Und im übertragenen Sinne als etwas Über-lebenswichtiges. Besonders nah brachte diesen Aspekt die Erzählung von Reza Sabouri von der Evangelisch-Freikirchlichen Gemeinde Heidelberg, der im Gespräch mit Brokowski-Shekete seine dramatische Flucht aus dem Iran nach Deutschland schilderte. Irgendwo in Osteuropa musste er mit seiner Familie bei minus 16 Grad einen Fluss überqueren, anschließend versteckte sich die Gruppe auf einer Baustelle in einem Betonrohr, halb verhungert und erfroren. Nach einer Weile wurden sie entdeckt – von einem Mann, der in einer Sprache redete, die sie nicht verstanden. Er ging weg, und Sabouri war überzeugt, dass nun gleich die Polizei kommen würde und sie zurückgeschickt würden. Doch der Mann kam alleine zurück – und gab der Familie eine Tüte mit Brot. An dieser Stelle wurde greifbar, dass hier nicht nur Nahrung gegeben wurde, sondern auch Hoffnung.

Die Predigt wurde als Trialog gemeinsam von Landesbischöfin Springhart, Erzbischof Burger und Bischof Emmanuel gehalten. Springhart rief zur Solidarität und Offenheit für andere auf und plädierte dafür, Städte und Kommunen offenzuhalten, damit Menschen Aufnahme finden könnten, die Schutz suchten und brauchten. Springhart weiter: "Offen geht. Und offen muss gehen, auch in unserem Land. Offen sein heißt auch, Menschen ein Bleiberecht zu ermöglichen, die schon lange hier mit uns und unter uns leben. Menschen, die als Pfleger in Kliniken arbeiten, die in Lohn und Brot stehen, die gut integriert sind. Menschen, die auch dann nicht zurück in ihre Herkunftsländer können, wenn ihr Asylantrag abgelehnt wurde. Sie müssen ein Bleiberecht haben. Dass diese Menschen abgeschoben werden, ist ein Skandal."

Zu Gottvertrauen ermutigte Erzbischof Burger in seinem Predigtteil. "Gott gibt den Israeliten Brot vom Himmel, nicht zu viel, aber auch nicht zu wenig. Er gibt ihnen, was sie zum Leben brauchen und stärkt sie damit nicht nur an ihrem Leib, sondern auch in ihrer Seele: Weil in ihnen die Gewissheit Raum greift, dass auf Gott immer Verlass ist. Dass sie ihm unbedingt vertrauen können."  Brot sei ein Lebensmittel, aber es stehe "auch als das Lebensmittel überhaupt für alles, was wir zum Leben und Über-Leben brauchen. Was uns am Leben hält und damit nicht nur satt macht, sondern auch erfüllt, zufrieden und glücklich leben lässt."

IKW-Auftakt 2022 in Heidelberg - Liedblatt. Foto: ÖVA
Chor "Manita". Foto: ÖVA
Florence Brokowski-Shekete (M.) im Gespräch mit Edem Atsiatome (l.) und Reza Sabouri. Foto: ÖVA
Das Brot wird gesegnet (v. l.): Pastor Konstantin von Abendroth, Landesbischöfin Heike Springhart, Bischof Emmanuel von Christoupolis (Sfiatkos), Erzpriester Georgios Basioudis und Erzbischof Stephan Burger. Foto: ÖVA
Der Studierendenchor Heidelberg. Foto: ÖVA
Der Gottesdienst unter freiem Himmel war gut besucht. Foto: ÖVA
Landesbischöfin Heike Springhart beim Segen. Foto: ÖVA
Beim anschließenden Empfang im Rathaus moderierte Jutta Weduwen die Lesung mit Dmitrij Kapitelman. Foto: ÖVA

Bischof Emmanuel sagte mit Blick auf den Krieg in der Ukraine: "Menschen sind auf der Flucht und auf der Suche nach Hoffnung. Sie brauchen nicht nur Nahrung, sondern auch Trost, Unterstützung und eine Perspektive. Wir sind herausgefordert, ihnen ein gutes, auf Respekt und Verständnis basierendes Miteinander zu ermöglichen." Nicht nur weltfremde Ideologien und Größenwahn seien an den Konflikten und Kriegen unserer Zeit schuld. "Sie sind auch die Folge einer auf Überfluss und ungebremsten Konsum fixierten Gesellschaft, der jegliches Maß, jegliche Skrupel, jegliche Menschlichkeit abhandengekommen zu sein scheint." Eine Frage fordere ihn zudem heraus: "Warum ist erst ein Krieg nötig, damit wir die Frage nach dem richtigen Umgang mit Grundnahrungsmitteln und unseren natürlichen Ressourcen offen ansprechen?" Gott hingegen sei "Nahrung für alle. An der Quelle der Güte, der Liebe und des Heils an Gott werden wir alle satt".

Anschließend wurde die Bedeutung von Brot als Lebensmittel für die Besucherinnen und Besucher des Gottesdienstes noch einmal greifbar – und zwar im wahrsten Sinne des Wortes. Denn die Organisierenden hatten kleine Brote vorbereitet, die nach der Segnung von den Bischofspersonen und weiteren Helfern verteilt wurden.

Musikalisch gestaltet wurde der Gottesdienst stimmungsvoll vom Studierendenchor Heidelberg und dem Ensemble „Manita“. Anschließend überbrachten Vertreter*innen Grußworte für die Bahá‘í, die islamische und die jüdische Gemeinde.

Beim folgenden Empfang im Rathaus begrüßte Oberbürgermeister und Schirmherr Eckart Würzner die Gäste und berichtete, wie Heidelberg die Herausforderungen bei der Unterbringung und Integration von Geflüchteten angeht. Das IKW-Motto #offengeht fasse er als "positive Nachricht" auf, sagte Würzner in einer Talkrunde mit Beate Sträter, der Vorsitzenden des Ökumenischen Vorbereitungsausschusses (ÖVA) zur Interkulturellen Woche, und dem deutsch-ukrainischen Autor Dmitrij Kapitelman. "Für mich schwingt in dem Motto eine leicht traurige Bescheidenheit mit. Denn 'offen geht' sollte eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein", sagte Kapitelman. Für Sträter wiederum ist der Slogan "die Versicherung, dass es klappen kann." Die Fragen an die Runde stellte Jutta Weduwen, Geschäftsführerin der Aktion Sühnezeichen Friedensdienste und Mitglied des Ökumenischen Vorbereitungsausschusses zur IKW.

Sie moderierte auch die anschließende Lesung, in der Kapitelman einige Passagen aus seinem 2021 veröffentlichten autobiografischen Roman "Eine Formalie in Kiew" präsentierte. Darin beschreibt er, wie er in die Hauptstadt seines Herkunftslandes reist, um wichtige Dokumente zu besorgen, die er für seine Einbürgerung in Deutschland benötigt. Das tut er mit humorigen, hintergründigen, ernsten und berührenden Worten. Zu den oft komplizierten Einbürgerungsregelungen in Deutschland sagte er auf eine Publikumsfrage: "Viele Menschen können nicht in ihr Geburtsland reisen, um irgendwelche Dokumente zu besorgen. Sie haben nicht die politische Sicherheit und die materielle und psychische Stabilität."

Hintergrund
Die bundesweit jährlich stattfindende Interkulturelle Woche (IKW) ist eine Initiative der Deutschen Bischofskonferenz, der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) und der Griechisch-Orthodoxen Metropolie. Sie findet seit 1975 Ende September statt und wird von Kirchen, Kommunen, Wohlfahrtsverbänden, Gewerkschaften, Integrationsbeiräten und -beauftragten, Migrantenorganisationen, Religionsgemeinschaften und Initiativgruppen unterstützt und mitgetragen. In mehr als 500 Städten und Gemeinden werden rund 5.000 Veranstaltungen durchgeführt. Der Tag des Flüchtlings ist Bestandteil der IKW.

Infos
Kontakt

Ökumenischer Vorbereitungsausschuss zur Interkulturellen Woche
Postfach 16 06 46
60069 Frankfurt am Main
Ruf: 069 / 24 23 14 -60
Fax: 069 / 24 23 14 -71
E-Mail: info@interkulturellewoche.de