Erfurt. Unter dem Eindruck der Mordtaten von Hanau ist am Samstag, 22. Februar, die bundesweite Vorbereitungstagung zur Interkulturellen Woche (IKW) in Erfurt zu Ende gegangen, an der rund 150 Haupt- und Ehrenamtliche aus dem ganzen Bundesgebiet teilnahmen, die vor Ort die IKW organisieren. Am Freitag begann die Tagung mit einer Gedenkminute für die zehn Opfer. Außerdem verabschiedeten die Teilnehmenden eine schriftliche Erklärung, in der sie ihre Trauer und Fassungslosigkeit zum Ausdruck bringen und dazu aufrufen, Demokratie und Menschenrechte zu verteidigen:
"Wir rufen dazu auf, dass Menschen vor Ort laut und vielfältig ihre Stimme gegen Nationalismus und Rassismus erheben. Wir rufen dazu auf, sich an die Seite von bedrängten und bedrohten Menschen zu stellen, kommunale Netzwerke und Aktionsbündnisse zu schließen und nicht zurückzuweichen", heißt es in der Erklärung unter anderem.
"Nach den schrecklichen Ereignissen in Hanau ist es wichtiger denn je, dass die Interkulturelle Woche den Menschen ein öffentliches Podium bietet, die bedroht und in menschenfeindlicher Art und Weise attackiert werden. Die Aktionswoche steht für ein solidarisches Miteinander und auch für die Bereicherung, die kulturelle Vielfalt für die Gesellschaft darstellt. Das will die Interkulturelle Woche feiern", sagte Gabriele Erpenbeck, die Vorsitzende des Ökumenischen Vorbereitungsausschusses (ÖVA) zur Interkulturellen Woche.
Das Tagungsprogramm startete nach der Begrüßung mit einer Podiumsdiskussion zum Thema "Bedrohte Räume der Vielfaltsgesellschaft". Es diskutierten Suleman Malik (Kommunalpolitiker und Sprecher der Ahmadiyya-Gemeinde Thüringen), der in Erfurt den Bau der ersten Moschee in Ostdeutschland außerhalb Berlins mitorganisiert und sich zahlreichen Anfeindungen ausgesetzt sieht, Dotschy Reinhardt (Musikerin, Autorin und Vorsitzende des Landesrates der Roma und Sinti Berlin-Brandenburg) und Christian Staffa, Studienleiter der Evangelischen Akademie zu Berlin und Antisemitismusbeauftragter der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD). Moderiert wurde die Runde von Beate Sträter, der Vorsitzenden der Fachgruppe Christen und Muslime in der Evangelischen Kirche im Rheinland. Eine Erkenntnis der Runde: Der Rassismus, der jetzt wieder stärker in Deutschland zutage tritt, war nie weg. "Das betrifft mich nicht erst jetzt. Ich bin mit Diskriminierung aufgewachsen", sagte etwa Reinhard, die als Sintezza in der Nähe von Ravensburg groß wurde.
In der anschließenden Arbeitsgruppenphase wurden wichtige politische Themen diskutiert: Wie können sich Demokrat*innen gegen Angriffe auf die Zivilgesellschaft wehren? Welche Folgen hat die Isolierung und Ausgrenzung von Geflüchteten in Aufnahmeeinrichtungen in Deutschland und Europa? Welche Rolle spielen die Kommunen bei der Integration und welche Handlungsmöglichkeiten haben sie in der Flüchtlingspolitik? Wie können christliche Werte in der Kirche gegen rechtspopulistische Angriffe verteidigt werden? Wie gelingt das Ankommen im Arbeitsmarkt? Und wie entwickelt sich die Interkulturelle Woche selbst innerhalb im Rahmen der Vielfaltsgesellschaft weiter?
Zum Abschluss des ersten Tages präsentierte der Berliner Comedian, Autor und YouTuber Firas Alshater "Mehr als eine Lesung". Dabei brachte er den Teilnehmenden seine Sicht auf Deutschland und die Deutschen näher und berichtete aus seinem Leben. Vor einigen Jahren musste er aus seinem Heimatland Syrien fliehen, weil er dort wegen seiner Tätigkeit als Journalist verhaftet und gefoltert worden war.
Am Samstag gestaltete der Autor, Sprecher und Moderator Sami Omar eine Lesung mit Diskussion zum Thema "Warum wir über Rassismus sprechen müssen". Auch er betonte: "Rassismus ist kein Revival, sondern hat eine große Kontinuität." Ein weiteres Podium hatte die Überschrift "Zuwanderung in die Kommunen: Kommunen zwischen Herausforderungen und Chancen". Moderiert von Claudia Walther von der Bertelsmann Stiftung diskutierten Günter Burkhardt (Geschäftsführer von PRO ASYL), Honey Deihimi (Leiterin des Referats „Gesellschaftliche Integration“ bei der Beauftragten der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration), Mirjam Kruppa (Thüringer Beauftragte für Integration, Migration und Flüchtlinge) und Dirk-Ulrich Mende (Geschäftsführer des Niedersächsischen Städtetags).
Kruppa beschrieb unter anderem den Gegensatz zwischen der absoluten Notwendigkeit der Zuwanderung nach Thüringen und der großen Ablehnung von Migranten in Teilen der Bevölkerung. Ihr Plädoyer lautete dennoch: "Die gesellschaftliche Teilhabe muss für alle, die hier ankommen, von Anfang an und vollumfänglich beginnen. Jede und Jeder muss vom ersten Tag an die Möglichkeit haben, Deutsch zu lernen sowie weitere Bildungs- und Integrationsangebote wahrzunehmen."
Neben den Vorträgen und Arbeitsgruppen gab es für die Teilnehmerinnen und Teilnehmer Gelegenheit zum Austausch untereinander und mit dem Team der Geschäftsstelle des Ökumenischen Vorbereitungsausschusses, das die lokalen Veranstaltenden bei der Organisation der Interkulturellen Woche unterstützt. So wurden bei der Tagung etwa das offizielle Plakat der IKW 2020 sowie weitere Motive für Postkarten und Social Media vorgestellt.
Während der Interkulturellen Woche finden bundesweit jedes Jahr im September rund 5.000 Veranstaltungen in mehr als 500 Städten und Gemeinden statt. Sie ist eine Initiative der Deutschen Bischofskonferenz, der Evangelischen Kirche in Deutschland und der Griechisch-Orthodoxen Metropolie. Die IKW wird mit mitgetragen von Kommunen, Gewerkschaften, Wohlfahrtsverbänden, Migrantenorganisationen und zivilgesellschaftlichen Institutionen. Als Termin für die Interkulturelle Woche wird in diesem Jahr der Zeitraum vom 27. September bis 4. Oktober vorgeschlagen. Der bundesweite Auftakt findet am 27. September in München statt, der Tag des Flüchtlings ist am 2. Oktober.
Das komplette Tagungsprogramm finden Sie hier. Eine weitere Bildergalerie ist hier zu finden.
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