Deutsches Institut für Menschenrechte gibt 42 Empfehlungen

Deutsches Institut für Menschenrechte gibt 42 Empfehlungen

Quelle: Deutsches Institut für Menschenrechte 

Die To-do-Liste mit menschenrechtlichen Empfehlungen für Bund, Länder und Kommunen ist lang: Mehr als 40 Empfehlungen umfasst der 9. Menschenrechtsbericht, den das Deutsche Institut für Menschenrechte dem Deutschen Bundestag in Berlin vorgelegt hat. Das Institut bewertet in dem Bericht politische und gesetzgeberische Entwicklungen, die vom 1. Juli 2023 bis 30. Juni 2024 in Deutschland menschenrechtlich besonders relevant waren: Verschärfungen im Migrationsrecht, Wohnungslosigkeit, Exklusion von Menschen mit Behinderungen im Arbeitsmarkt, ausbeuterische Arbeitsbedingungen von Wanderarbeitnehmer:innen und Entwicklungen beim Thema menschenrechtliche Verantwortung von Unternehmen.

Gleichzeitig veröffentlichte das Institut den Bericht "Die Folgen des 7. Oktober 2023 in Deutschland. Antisemitismus rechtsstaatlich bekämpfen". Danach erleben Jüdinnen und Juden seit dem terroristischen Überfall der Hamas auf Israel Empathielosigkeit und Entsolidarisierung der Gesellschaft sowie einen deutlichen Anstieg von antisemitischem Hass, antisemitischer Gewalt und Vernichtungsdrohungen. "Jüdinnen und Juden haben ein Recht auf Schutz vor Diskriminierung, Hass und Gewalt. Die Bekämpfung von Antisemitismus ist nicht einfach eine politische Entscheidung, sondern ein grund- und menschenrechtliches Gebot", erklärt Beate Rudolf, Direktorin des Deutschen Instituts für Menschenrechte. Deshalb seien in allen gesellschaftlichen Bereichen Verantwortliche nötig, die bei Diskriminierung eingriffen. Dafür brauche es Bildung zu Antisemitismus und Rassismus – bei Polizei und Justiz, in Schulen und Hochschulen sowie für die allgemeine Öffentlichkeit. "In einer demokratischen Gesellschaft darf niemand bei Antisemitismus untätig bleiben", so Rudolf weiter. Zugleich warnte sie vor Pauschalisierungen. Diese würden Antisemitismus und Rassismus gegen Palästinenser:innen und Muslim:innen fördern.

Im 9. Menschenrechtsbericht kritisiert das Institut einschneidende Verschärfungen im Migrationsrecht und eine Politik, die auf Abwehr und Abschreckung von Schutzsuchenden setzt. "Große Sorgen bereitet mir, dass Politikerinnen und Politiker demokratischer Parteien vorschlagen, das Grundrecht auf Asyl abzuschaffen, oder dass sie das menschenwürdige Existenzminimum infrage stellen. Viele Menschen denken, das betreffe sie nicht. Aber das ist falsch", betont Rudolf. "Wenn heute das Existenzminimum von Schutzsuchenden abgesenkt wird, kann es morgen andere treffen. Menschenrechte gelten entweder für alle oder für niemanden. Schon die Debatte über die Abschaffung oder das Aushöhlen einzelner Grundrechte unterminiert die Grundlage unserer Verfassungsordnung. Ich erwarte, dass alle demokratischen Parteien im Wahlkampf ohne Abstriche zu allen Grundrechten stehen", so die Institutsdirektorin.

Die Bezahlkarte für Asylsuchende beispielsweise biete viel Raum, um Menschen zu schikanieren. Gleichzeitig sei nicht belegt, dass wegen der Karte weniger Schutzsuchende nach Deutschland kämen. Das Institut empfiehlt Bund und Ländern, wissenschaftliche Untersuchungen zu Wirkung und Folgen der Bezahlkarte in Auftrag zu geben. Mit Nachdruck spricht sich das Institut gegen eine Auslagerung von Asylverfahren in Drittstaaten aus: "Ausgelagerte Asylverfahren können in der Praxis nicht menschenrechtskonform gestaltet werden – sie werden immer mit Menschenrechtsverletzungen von Schutzsuchenden einhergehen", sagt Rudolf.

Der Bericht beschäftigt sich auch damit, wie Wohnungslosigkeit überwunden und verhindert werden kann "Wohnen ist die soziale Frage unserer Zeit – und das Recht auf Wohnen ist ein Menschenrecht", erklärt Rudolf. Der nächste Bundestag müsse unbedingt den Schutz von Mieter:innen verbessern. Die Landesregierungen sollten Aktionsprogramme gegen Wohnungslosigkeit auflegen inklusive finanzieller Förderprogramme für die Kommunen. Darüber hinaus empfiehlt das Institut dem Bund, den Ländern und den Kommunen, menschenrechtskonforme Mindeststandards für die Notunterbringung von Wohnungslosen zu entwickeln.

Augenmerk legt der Menschenrechtsbericht auch auf das System der Werkstätten für Menschen mit Behinderungen. Von Bundesregierung und Bundestag erwartet Rudolf konkrete Verbesserungen für den Übergang aus den Werkstätten in den allgemeinen Arbeitsmarkt: "Es braucht mehr Ausbildungsoptionen für Menschen mit Behinderungen, mehr inklusive Arbeitsplätze und eine bessere Vergütung für Werkstattbeschäftigte". Bisher erhalten die Beschäftigten lediglich ein Monatsentgelt von durchschnittlich 222 Euro. Das Institut befürwortet die Einführung des Mindestlohns in den Werkstätten für Menschen mit Behinderungen.

Menschenunwürdig sind in Deutschland häufig die Arbeitsbedingungen von sogenannten Wanderarbeitenden im Niedriglohnsektor, beispielsweise in der Pflege, dem Transportsektor oder der Landwirtschaft. "Positiv ist, dass es im Berichtszeitraum in der EU wie auch in Deutschland mehrere Gesetzesänderungen gab, die Wanderarbeitenden direkt oder indirekt zugutekommen", sagte Rudolf. Zusätzlich empfiehlt das Institut dem Bundestag, das Arbeitsschutzkontrollgesetz zu ändern und eine Dokumentationspflicht der Subunternehmerketten im Transport- und Baugewerbe einzuführen sowie diese Pflicht auch für andere Branchen zu prüfen.

Der Menschenrechtsbericht richtet den Blick auch auf globale Wertschöpfungs- und Lieferketten. Ein besonderes Risiko für Verletzungen von Menschenrechten und umweltbezogenen Rechten birgt der Rohstoffsektor. "Problematisch sind die vereinfachten Genehmigungsverfahren für Rohstoffabbauprojekte, denn dabei sind häufig die Rechte indigener Gruppen in Gefahr", stellt Rudolf fest. Das Institut empfiehlt dem Bundestag, Rohstoffpartnerschaften Deutschlands mit Drittstaaten systematisch zu kontrollieren und anzupassen. Der Entscheidungsprozess sollte transparent gemacht werden.

Hinsichtlich der Umsetzung der Lieferkettenregulierung rät das Institut zu Kontinuität und Klarheit für die Unternehmen. Bundesregierung und Bundestag sollten die EU-Lieferkettenrichtline zügig in deutsches Recht umsetzen. Das Institut warnt davor, den Anwendungsbereich des deutschen Lieferkettengesetzes (LkSG) ohne die Umsetzung der EU-Richtlinie in nationales Recht zu reduzieren.  "Das Lieferkettengesetz wäre für zwei Drittel aller Unternehmen temporär ausgesetzt. Für die Umsetzung der Menschenrechte wäre das kontraproduktiv, denn das deutsche Gesetz beginnt gerade zu wirken", erklärt Michael Windfuhr, Stellvertretender Direktor des Instituts. "Gerade für die bereits aktiven Unternehmen, die sich für die Achtung von Menschenrechten in der Lieferkette einsetzen und nun seit zwei Jahren in die Umsetzung des LkSG investieren, wäre das ein chaotisches Hüh und Hott", betont Windfuhr.

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