Quelle: CLAIM – Allianz gegen Islam- und Muslimfeindlichkeit
Bereits in den vergangenen Wochen haben Beratungsverbände vor einer Zunahme antisemitischer und rassistischer Bedrohung und Gewalt in Deutschland gewarnt. Die Allianz gegen Islam- und Muslimfeindlichkeit CLAIM hat allein in der Zeit vom 13. bis 31. Oktober 53 Fälle von antimuslimischer Bedrohung, Gewalt und Diskriminierung dokumentiert (Stand: 3. November) und warnt im Zuge der aktuellen politischen und medialen Debatten vor einer Zunahme von antimuslimischem Rassismus in Deutschland.
Die Vorfälle umfassen zehn Angriffe auf Moscheen. Es ist von einer gravierenden Dunkelziffer antimuslimischer Vorfälle auszugehen, die bisher nicht gemeldet oder erfasst werden – das betrifft auch antimuslimische Hassrede etwa in Sozialen Netzwerken. CLAIM fordert weitreichende Maßnahmen zur Bekämpfung von antimuslimischem Rassismus und den Schutz von Betroffenen. Die Bekämpfung von antimuslimischem Rassismus, von Antisemitismus sowie anderen menschenfeindlichen Ideologien ist für unsere Demokratie und den Zusammenhalt der Gesellschaft entscheidender denn je. Der Handlungsbedarf ist akut.
"Wir dürfen nicht zulassen, dass menschenverachtende Positionen weiter normalisiert werden und damit den gesellschaftlichen Zusammenhalt aufs Spiel setzen."
"Dass sich Jüd*innen in Deutschland aktuell nicht mehr sicher fühlen können, ist nicht hinnehmbar. Wir beobachten neben antisemitischen Angriffen aber auch eine Zunahme von Diskriminierungen und Übergriffen gegenüber Muslim*innen sowie muslimisch gelesenen Personen, insbesondere Menschen arabischer Herkunft. Wir beobachten eine Verschärfung von antimuslimischem Rassismus in Deutschland. Das sollte uns alle besorgen und muss ernst genommen werden. Wir dürfen nicht zulassen, dass menschenverachtende Positionen weiter normalisiert werden und damit den gesellschaftlichen Zusammenhalt aufs Spiel setzen. Alle Menschen sind vor rassistischer, antisemitischer und anderer menschenfeindlicher Gewalt und Bedrohung zu schützen", betont CLAIM-Leiterin Rima Hanano.
Ereignisse wie die Anschläge in Halle und Hanau, Angriffe auf Moscheen oder Geflüchtetenunterkünfte geschehen nicht im luftleeren Raum. Menschen sehen sich durch die derzeitigen islamfeindlichen Debatten und antimuslimischen Diskurse vermehrt ermutigt, Moscheen, Muslim*innen und Menschen, von denen man annimmt, sie seien muslimisch, zu beleidigen, zu diskriminieren oder tätlich anzugreifen. Rassistische Diskriminierung und Gewalttaten treffen Menschen nicht nur als Individuen und Einrichtungen nicht nur als Objekte. Sie richten sich immer auch gegen Menschen als Stellvertreter*innen von Personengruppen.
Im kurzen Auswertungszeitraum vom 13. bis 31. Oktober 2023 hat CLAIM 53 antimuslimische Vorfälle dokumentiert – darunter Bedrohungen und Gewalt gegenüber Einzelpersonen sowie zehn Angriffe auf Moscheen. Die Dunkelziffer dürfte weitaus höher liegen, da bisher keine bundesweiten Beschwerde- und Monitoring-Stellen für antimuslimischen Rassismus vorhanden sind oder Betroffene häufig nicht wissen, an wen sie sich wenden können. Die im kurzen Erhebungszeitraum dokumentierten Fälle gehen unter anderem auf nur fünf Beratungsstellen, Meldungen über das Meldeportal I Report sowie Vorfallsmeldungen aus Medienberichten und Polizeimeldungen zurück. Zusätzlich wurden in nur fünf Tagen (21. bis 25. Oktober 2023) online 240 antimuslimische Hasskommentare gezählt, die sich insgesamt auf nur 13 Meinungsbeiträge oder Artikel beziehen, die über die Online-Plattform X geteilt wurden.
"Es braucht jetzt den notwendigen politischen Willen, weitreichende Maßnahmen gegen antimuslimischen Rassismus zu ergreifen."
"Betroffene von antimuslimischem Rassismus erfahren derzeit wenig bis gar keine Solidarität. Communities werden trotz akutem Handlungsbedarf weitestgehend allein gelassen. Uns erreichen Nachrichten von betroffenen Menschen und Gemeinden, die von Bedrohungen, Hassnachrichten und Übergriffen berichten. Es braucht jetzt den notwendigen politischen Willen, weitreichende Maßnahmen gegen antimuslimischen Rassismus zu ergreifen. Gerade community-basierte Organisationen benötigen jetzt dringend Unterstützung, da sie häufig die erste Anlaufstelle für betroffene Menschen sind. Auch Beratungs- und Meldestellen müssen bundesweit und flächendeckend ausgebaut und langfristig finanziert werden", so Rima Hanano.
Vor dem Hintergrund der Polarisierung und Instrumentalisierung des Diskurses in Deutschland muss klar sein, dass antimuslimischer Rassismus einen gefährlichen Nährboden für ein weiteres Nach-Rechts-Driften der Gesellschaft bildet. Er stellt ein Einfallstor für rechte Ideologien dar, welche wiederum auch den Antisemitismus sowie weitere menschenfeindliche Ideologien erstarken lassen und umgekehrt. Menschenfeindliche Ideologien müssen politisch gemeinsam adressiert werden, anstelle sie gegeneinander auszuspielen. Es braucht dringender denn je, jetzt und sofort von den demokratischen Parteien ein entschiedenes Eintreten sowie weitreichende Maßnahmen gegen antimuslimischen Rassismus und gegen Antisemitismus sowie gegen jede weitere Form der Menschenfeindlichkeit.
Hintergrund
Etwa jede*r Zweite in Deutschland stimmt muslimfeindlichen Aussagen zu (siehe hierzu Muslimfeindlichkeit – Eine deutsche Bilanz, 2023/BMI). Im Jahr 2022 fanden im Schnitt mehr als zwei antimuslimische Übergriffe pro Tag in Deutschland statt, darunter Diskriminierungen, körperliche Angriffe als auch Sachbeschädigungen (siehe Zivilgesellschaftliches Lagebild antimuslimischer Rassismus/CLAIM). Dabei zieht sich antimuslimischer Rassismus durch alle Lebensbereiche: sei es bei der Wohnungssuche, dem Arztbesuch oder in der Schule. Der vom Bundesministerium des Innern und für Heimat (BMI) 2020 eingesetzte Unabhängige Expertenkreis Muslimfeindlichkeit (UEM) hat in seinem im Juni 2023 veröffentlichten Abschlussbericht nicht nur die großen Lücken in der Bekämpfung von antimuslimischem Rassismus in Deutschland aufgezeigt, sondern auch konkrete Handlungsempfehlungen an die Bundesregierung formuliert. Hierzu gehören sowohl der Ausbau von Beschwerde- und Monitoring-Stellen sowie Sensibilisierungsmaßnahmen für unterschiedliche Zielgruppen (Öffentlichkeit, Politik, Verwaltung/Behörden).
Über CLAIM
CLAIM vereint und vernetzt 50 muslimische und nichtmuslimische Akteure der Zivilgesellschaft und bildet eine breite gesellschaftliche Allianz gegen antimuslimischen Rassismus, Islam- und Muslimfeindlichkeit. CLAIM wird getragen von Teilseiend e. V., gefördert u. a. vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) im Rahmen des Bundesprogramms „Demokratie leben!“ und durch die Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration und zugleich die Beauftragte der Bundesregierung für Antirassismus. Seit 2020 ist CLAIM Partner im Kompetenznetzwerk Islam- und Muslimfeindlichkeit. Weitere Informationen zu CLAIM unter www.claim-allianz.de.