Ankerzentren: Abschottung und Abschreckung

Zum 1. August 2018 wurden alle bayerischen Aufnahmeeinrichtungen zu ANKER-Zentren umgewidmet.
Ankerzentren: Abschottung und Abschreckung
Das System der ANKER-Zentren am Beispiel Bayern
Franziska Sauer

Bei der Unterbringung von Geflüchteten in Deutschland und insbesondere in Bayern zeichnet sich seit einigen Jahren ein besorgniserregender Trend ab: Die Politik setzt vermehrt auf Lagerunterbringung und lange Unterbringungsdauer. Vorläufiger Höhepunkt war der 01. August 2018, als alle bayerischen Aufnahmeeinrichtungen zu ANKER-Zentren umgewidmet wurden. Doch was steckt hinter diesem Konzept?

Zunächst einmal lässt der Name Positives erwarten. In Wirklichkeit steht ANKER aber keineswegs für einen Ort, der Halt gibt und Sicherheit bietet, wie die Bezeichnung vermuten lassen würde. Stattdessen bedeutet „ANKER“ in diesem Zusammenhang „Ankunft, Entscheidung, kommunale Verteilung bzw. Rückführung“, festgeschrieben im Koalitionsvertrag von Februar 2018 zwischen Union und SPD. Allerdings hat bislang Bayern als einziges Bundesland flächendeckend ANKER-Zentren etabliert. So befindet sich in jedem bayerischen Regierungsbezirk je ein ANKER-Zentrum und teilweise weitere so genannte Dependancen.

Womit werden ANKER-Zentren begründet?

Als schlagkräftiges Argument für die ANKER-Zentren wird angeführt, dass durch die Ballung aller am Asylverfahren beteiligten Behörden direkt vor Ort (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF), Ausländerbehörden, Rechtsantragstellen der Verwaltungsgerichte) die Asylverfahren deutlich beschleunigt werden könnten. Dass dies nicht der Fall ist, zeigen allerdings die Zahlen von 2020: Während die durchschnittliche Verfahrensdauer beim BAMF bei 8,3 Monaten liegt, ist sie bei ANKER- und funktionsgleichen Einrichtungen mit 8,5 Monaten sogar etwas länger.  Weiterhin wurde erwartet, dass Abschiebungen schneller vonstattengehen können, wenn die Menschen mit abgelehntem Asylantrag in den ANKER-Zentren verbleiben müssen – aber auch hier hat sich gezeigt, dass dies nicht zutrifft, wie aus dem Evaluationsbericht zu ANKER-Zentren des Bundesinnenministeriums von Februar 2021 hervorgeht. Im Gegenteil: Menschen in ANKER-Zentren sind bis zur Abschiebung sogar länger in Deutschland als Geflüchtete, die von anderen Orten abgeschoben werden.

Faire Verfahren?

Zum Konzept der ANKER-Zentren gehört auch, dass vor Ort vom BAMF eine "unabhängige" Verfahrensberatung angeboten wird. Jedoch ist fraglich, inwiefern hier von „unabhängig“ gesprochen werden kann, wenn die Behörde, die letztendlich über den Ausgang des Asylverfahrens entscheidet, auch die Beratung bereitstellt. Das widerspricht unseren gängigen Rechtsstaatsprinzipien der Kontrolle und Gewaltenteilung. Zudem finden die Anhörungen in ANKER-Zentren meist bereits wenige Tage nach der Ankunft statt. Zeit, sich von den Strapazen der Flucht zu erholen und in Ruhe anzukommen, geschweige denn, sich adäquat auf das Interview vorzubereiten und in Erfahrung zu bringen, was dafür wichtig ist, bleibt so nicht. So überrascht es denn auch nicht, dass viele Anträge abgelehnt werden und sich dann langwierige Klageverfahren anschließen.

Der Alltag in den ANKER-Zentren

Den Argumenten, die für die Etablierung von ANKER-Zentren vorgebracht werden, steht die Tatsache entgegen, dass Menschen in ANKER-Zentren über Monate und in vielen Fällen sogar Jahre hinweg dort festgehalten werden. Seit Inkrafttreten des Migrationspakets im August 2019 können Geflüchtete bis zu 18 Monate verpflichtet werden, in einem ANKER-Zentrum zu leben, Personen aus sicheren Herkunftsländern sogar darüber hinaus. Einzig Familien mit minderjährigen Kindern müssen die ANKER-Zentren nach maximal sechs Monaten verlassen dürfen – aber auch das geschieht in vielen Fällen nicht.

Das Leben in diesen Sammellagern ist vom Sachleistungsprinzip geprägt – das bedeutet unter anderem Kantinenessen, Hygienepakete, keine freie Ärzt*innenwahl. Das Recht auf Selbstbestimmung wird so massiv eingeschränkt. Viele ANKER-Zentren verfügen nicht einmal über Gemeinschaftsküchen; Essen auf den Zimmern zuzubereiten ist nicht möglich. Auch Privatsphäre gibt es dank der Unterbringung in Mehrbettzimmern, geteilten Sanitäranlagen und Kantinenessen kaum.

Die meisten ANKER-Zentren befinden sich in peripherer Lage, weitab von städtischer Infrastruktur. Umzäunung und Überwachung durch Sicherheitspersonal verstärken die Isolation noch mehr, schüren Ängste und Ressentiments in der ansässigen Bevölkerung. Es gilt ein striktes Arbeitsverbot, das erst nach neun Monaten aufgehoben wird. Aber selbst dann ist es für die Geflüchteten schwierig, eine Arbeit aufzunehmen, da sie in der Zeit davor kaum Gelegenheit bekommen, Sprachkenntnisse zu erwerben oder sich mit den Gegebenheiten vertraut zu machen. Zudem ist der Zugang für ehrenamtliche Helfer*innen, die hier Unterstützung leisten könnten, durch die Abgeschiedenheit und die Abschottung schwierig.

Vulnerable Personen werden meist nicht als solche erkannt und erleiden deshalb oft Traumatisierungen oder Retraumatisierungen – etwa durch häufige Abschiebungen in den frühen Morgenstunden oder die ständige Präsenz von Sicherheitsdienst und nicht selten auch Polizei. Besonders Kinder leiden in den großen Lagern. Die Beschulung findet in den meisten Einrichtungen direkt vor Ort statt und beschränkt sich fast ausschließlich auf Deutschkurse. Kontakte über das Lager hinaus zu knüpfen ist so kaum möglich.

ANKER-Zentren und Corona

Das Leben in den ANKER-Zentren ist für die Geflüchteten auch unter normalen Umständen schon belastend genug – durch die Corona-Pandemie haben sich die Probleme aber noch verstärkt. Trotz einzelner Versuche, die Belegung zu entzerren, müssen die Menschen dennoch weiterhin auf engem Raum zusammenleben, können nicht ausreichend Abstand halten, um sich und andere vor einer Infektion zu schützen. Dass die Unterbringung in Aufnahmeeinrichtungen und Gemeinschaftsunterkünften mit 17 Prozent ein genauso hohes Risiko für eine Ansteckung mit dem Coronavirus birgt wie während einer Kreuzfahrt, hat eine Studie der Universität Bielefeld von Mai 2020 gezeigt.  Überraschend ist dies aber keineswegs. So gab es denn auch seit Beginn der Pandemie zahlreiche  Geflüchtetenunterkünfte, die teils unter wochenlanger Quarantäne standen. Hier geht Bayern im bundesweiten Vergleich mit traurigem Beispiel voran und weist mit Abstand die höchsten Zahlen an Coronainfektionen in Geflüchtetenunterkünften auf (Stand: Februar 2021).

Fazit

Aufnahmeeinrichtungen sollten das sein, was der Name sagt: Orte, an denen Menschen vorübergehend eine Bleibe finden und keine Verwahranstalten, in denen Geflüchtete monate- oder jahrelang in Perspektivlosigkeit ausharren müssen. Ganz zu schweigen davon, dass ANKER-Zentren dem Staat viel Geld kosten, das nicht ausgegeben werden müsste, wenn die Menschen frühzeitig in den Arbeitsmarkt integriert würden. Das System ANKER-Zentren gibt jedoch Abschottung und Abschreckung Vorzug vor Menschlichkeit und Pragmatismus.

Wie können wir aktiv werden?

Es gibt zahlreiche Helferkreise in ganz Deutschland, aber gerade in ANKER-Zentren, wo es doch besonders notwendig wäre, ist das ehrenamtliche Engagement sehr gering und wird teilweise sogar durch die Bürokratie behindert. Hier wäre es wichtig, vor Ort Bewusstsein zu schaffen und aktiv und unbürokratisch mit Angeboten auf die Verantwortlichen zuzugehen. Wenn es mehr Austausch zwischen ansässiger Bevölkerung und Geflüchteten in ANKER-Zentren gibt, besteht die Chance, dass Vorurteile gar nicht erst entstehen und Perspektiven für die Menschen geschaffen werden.

Der Bayerische Flüchtlingsrat verleiht zum Thema ANKER-Zentren eine Wanderausstellung (vorwiegend in Bayern, Absprachen für andere Orte möglich). Alle Informationen finden Sie auf der Homepage des Bayerischen Flüchtlingsrates: www.fluechtlingsrat-bayern.de/wanderausstellung-zu-anker-zentren/.

Weitere Informationen

Franziska Sauer
Foto: Gina Bolle

Franziska Sauer hat einen Abschluss in European Studies und beschäftigt sich beim Bayerischen Flüchtlingsrat vor allem mit den ANKER-Zentren und den sich aus dieser Unterbringungsform ergebenden Problemen.

Kontakt: sauer@fluechtlingsrat-bayern.de