"Diese humanitäre Katastrophe ist politisch gemacht"

Das Flüchtlingslager Moria auf Lesbos wurde für 3000 Menschen angelegt - derzeit leben dort mehr als 20.000 Geflüchtete.
"Diese humanitäre Katastrophe ist politisch gemacht"

Quelle: EKD / Seebrücke

Die Situation im Flüchtlingslager Moria auf der griechischen Insel Lesbos wird für die dort ausharrenden Menschen immer unerträglicher. In Lagern, die für 3.000 Menschen angelegt sind, sind derzeit mehr als 20.000 Flüchtlinge untergebracht. Seit Monaten gibt es vor Ort zum Teil heftige Proteste gegen die Zustände. Sämtliche Initiativen, wenigstens Familien oder Schutzbedürftige anderweitig unterzubringen oder ausreisen zu lassen, sind bislang gescheitert. Demgegenüber stehen in Deutschland tausende Plätze in aufnahmebereiten Kommunen und Städten bereit, die nicht genutzt werden können.

Vom 27. bis 29. Februar reiste eine Delegation aus Land, Kommune und Kirche nach Griechenland, um den Menschen dort ihre Solidarität auszudrücken und sich selbst einen Eindruck von der Situation vor Ort zu verschaffen. Es nahmen teil der Bevollmächtigte des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) bei der Bundesrepublik Deutschland und der Europäischen Union, Prälat Martin Dutzmann, der Staatssekretär für Integration des Berliner Senats, Daniel Tietze, der Oberbürgermeister der Landeshauptstadt Potsdam, Mike Schubert, der Erste Bürgermeister der Stadt Rottenburg, Thomas Weigel, sowie Liza Pflaum, Vertreterin der Organisation SEEBRÜCKE. "Unsere Kommunen, unsere Städte, unsere Landkreise und Kirchengemeinden, müssen Zufluchtsorte für alle Menschen bleiben, die Anspruch auf Hilfe und Schutz haben", erklären die Teilnehmenden.

Alle Forderungen ihrer "Erklärung von Lesbos" im Wortlaut:

Erklärung von Lesbos

Seit Monaten müssen mehr als 40.000 Menschen auf den ägäischen Inseln ausharren. Auch viele Familien, Kinder und Jugendliche sind in völlig überfüllten Hotspots untergebracht.

Wir sind Zeugen unhaltbarer Zustände: Menschen müssen in bitterer Kälte schlafen. Hygiene gibt es nicht. Es fehlt an medizinischer Versorgung, an Nahrungsmitteln, dem Allernötigsten zum Überleben. Die Hotspots wurden im Zusammenhang des erst 2016 verhandelten EU-Türkei-Abkommens eingerichtet. Diese humanitäre Katastrophe ist folglich politisch gemacht. Es muss alles dafür getan werden, die menschenunwürdigen Bedingungen in diesen Lagern unverzüglich zu beenden. Insbesondere darf sich die dringend gebotene Neuausrichtung des europäischen Asylsystems keinesfalls am EU-Türkeiabkommen orientieren.

Wir werden uns mit dieser Politik nicht abfinden und weiter für Mitmenschlichkeit einstehen. Unsere Kommunen, unsere Städte, unsere Landkreise und Kirchengemeinden, müssen Zufluchtsorte für alle Menschen bleiben, die Anspruch auf Hilfe und Schutz haben.

Gemeinsam mit vielen Verantwortlichen aus Kommunen, Kirchen und der Zivilgesellschaft fordern wir daher:

I. Familien zusammenführen – geltendes Recht umsetzen
Wir fordern die schnelle Familienzusammenführung von Schutzsuchenden in Griechenland mit ihren Verwandten in Deutschland. Ihre Aufnahme ist kein Gnadenakt, sondern die Erfüllung des Rechtsanspruchs auf Familienzusammenführung im Rahmen der Dublin-Verordnung. Hier sind die deutschen Behörden in der Verantwortung. Auch andere Rechte müssen erfüllt werden, wie die angemessene Unterbringung und ein faires Asylverfahren.

II. Alle unbegleiteten Minderjährigen evakuieren
Wir fordern die sofortige Aufnahme aller unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge durch willige EU-Staaten. Deutschland sollte hier vorangehen. Die Dublin–Verordnung bietet alle Möglichkeiten, die humanitären Aufnahmen zu realisieren.

III. Kommunale Aufnahme ermöglichen
Wir fordern, Ländern, Städten, Kommunen und Landkreisen die zusätzliche Aufnahme von geflüchteten Menschen zu ermöglichen, z. B. durch eine Änderung der Aufnahmeanordnung nach § 23 Abs. 1 AufenthG. Bundesländer sollen in Eigenverantwortung Landesaufnahmeprogramme starten können, ohne von der Bundesregierung blockiert zu werden. Aktuell sind derartige Landesaufnahmeprogramme für unbegleitete Minderjährige aus Griechenland in Berlin, Bremen, Thüringen und Hamburg in der Diskussion. So können Städte tatsächlich zu "sicheren Häfen" werden!

IV. Das EU-Türkeiabkommen darf keine Blaupause für das europäische Asylsystem sein
Wir fordern einen Neustart der europäischen Asylpolitik, bei dem die Interessen der Mitgliedstaaten und der Schutzsuchenden gleichermaßen berücksichtigt werden. Es braucht sichere und legale Wege für Asylsuchende und für Migranten. Die aktuell in EU-Kommission und Mitgliedstaaten diskutierten Reformpläne mit Hotspots an den europäischen Außengrenzen sind dafür völlig ungeeignet. Menschen allein wegen ihres Asylgesuches zu inhaftieren, verstößt gegen geltendes europäisches Recht. Es ist offenkundig, dass die bestehenden Lager keine Entlastung der Außengrenzstaaten bewirken. Ganz im Gegenteil werden Räume der Rechtlosigkeit und des Elends geschaffen.

Eine Bilderstrecke des Besuchs und Videostatements der Teilnehmenden sind hier zu finden.