Wir müssen reden!

Die "Interkulturellen Abende" - hier der Empfang im Jahr 2018 - gehören schon seit 2001 zum Jahresprogramm des Polizeipräsidiums Südosthessen. Foto: PP Südosthessen
Wir müssen reden!
Interkulturelle Projekte des Polizeipräsidiums Südosthessen als Beitrag zum Dialog zwischen der Polizei und den Migrantenselbstorganisationen anlässlich der bundesweiten Interkulturellen Woche
Hüsamettin Eryilmaz

Eine ganze Reihe menschenfeindlicher Attacken erschütterte Deutschland zu Beginn der 1990er Jahre. Den traurigen Höhepunkt bildete der rassistische Brandanschlag in Solingen nach den Ereignissen in Rostock, Mölln und Hoyerswerda. Zwei junge Männer aus der Skinhead-Szene warfen in der Nacht auf den 23. November 1992 Brandsätze in zwei Häuser in Mölln, die von türkischen Familien bewohnt waren. Bei diesem Anschlag starben drei Menschen, zwei davon waren Kinder. Am 29. Mai 1993 verübten vier junge Männer mit Verbindungen in die rechtsextreme Szene einen Brandanschlag auf das Wohnhaus der Familie Genç in Solingen. Diesem rechtsextremistischen Verbrechen fielen fünf Menschen zum Opfer. Nach diesen menschenfeindlichen Vorfällen in Mölln und Solingen herrschten bei den Bürger*innen ausländischer Herkunft bundesweit Ängste und Verunsicherung.

Brückenbauer zwischen der Polizei und den Zugewanderten

Möglicherweise waren die gesellschaftlichen Reaktionen auf diese Ereignisse dafür richtungsweisend, dass auch innerhalb der Sicherheitsbehörden neue Impulse gesetzt wurden. Konkret benötigte die Polizei Ansprechpersonen für interkulturelle Fragestellungen und zur Förderung interkultureller Kompetenzen bei den eigenen Mitarbeiter*innen. Darüber hinaus sollten diese Ansprechpersonen zu Brückenbauern zwischen der Polizei und den Zugewanderten werden. Unter anderem sollte dies durch den Dialog mit den Migrantenselbstorganisationen sowie durch die Einrichtung einer Anlaufstelle für die migrantische Bevölkerung bei der Polizei geschehen.

Nicht nur der hohe Ausländeranteil in den Städten Frankfurt und Offenbach deutete dabei einen neuen Bedarf für die Hessische Polizei an. 1993 wurden zwei "ausländische Mitarbeiter" beim damaligen Polizeipräsidium Offenbach für die Stadt und für den Kreis Offenbach sowie vier ausländische Mitarbeiter*innen beim Polizeipräsidium Frankfurt in einem Modellprojekt eingestellt. Auch ich wurde damals noch als „Ausländerbeauftragter“ zu einem der ersten ausländischen Mitarbeiter der Hessischen Polizei. Mit der Einstellung der ersten Ausländerbeauftragten wurde mit politischer Weitsicht in deren Aufgabenbeschreibung auch die vertrauensvolle Zusammenarbeit mit den Migrantenselbstorganisationen verankert. Seit Anbeginn der Arbeit der Ausländerbeauftragten war es eines der wichtigsten Tätigkeitsfelder, den Dialog zwischen Menschen mit Migrationshintergrund und der Polizei möglichst positiv zu gestalten und jegliche Formen von Missverständnissen auszuräumen. Dazu gehörte unter anderem, die Präventionsarbeit der Polizei in die Migrantenselbstorganisationen zu tragen. 

Ein weiterer struktureller Schritt war 1994 die Öffnung der hessischen Polizei für junge Menschen ohne deutsche Staatsangehörigkeit. Die Zugangsvoraussetzungen waren eine in Deutschland erworbene allgemeine Hochschulreife (Abitur) oder ein vergleichbarer Abschluss wie die Fachhochschulreife (Fachabitur) oder ein Meistertitel. Retrospektiv kann sicherlich festgestellt werden, dass ich in meiner Funktion als Ausländerbeauftragter sowohl von der Offenbacher Polizei als auch von den migrantischen Vereinen mit offenen Armen aufgenommen wurde und viel Unterstützung erfahren habe.

Kontakte knüpfen als "Ausländerbeauftragter"

Ich besuchte zunächst nahezu alle Organisationseinheiten der Polizei. Bei diesen Begegnungen habe ich die Erfahrungen und Herausforderungen der Kolleg*innen im Zusammenhang mit Mitbürger*innen ausländischer Herkunft kennengelernt. Dabei stellte ich fest, dass die Polizei nur anlassbezogene Kontakte zu ausländischen Organisationen pflegte. Auch war festzustellen, dass das Polizeipräsidium Offenbach über vielfältige Angebote zur Kriminalprävention verfügte, an denen idealerweise auch die ausländischen Mitbürger*innen partizipieren sollten. Um unter anderem auch für dieses vielfältige Präventionsangebot zu werben, nahm ich Kontakt zu den Organisationen und Vereinen von Migrant*innen auf. Das waren zum Beispiel die Ausländerbeiräte, Kultur- und Sportvereine, Moscheen und Geschäfte, die von Menschen mit Einwanderungsgeschichte geführt wurden. Bereits damals waren im Einzugsgebiet des heutigen Polizeipräsidiums Südosthessen vielfältige Organisationen aus zahlreichen Nationen zu verzeichnen. Alleine in Offenbach lebten Zugewanderte aus 160 Nationen. Während dieser Tätigkeit habe ich sehr viele Menschen kennengelernt, die sich ehrenamtlich in unterschiedlicher Weise in den Vereinen und Institutionen engagierten, jedoch über kaum bis gar keine Kontakte zur Polizei oder anderen Behörden verfügten. Diese Beobachtung war mitunter der Ausgangspunkt dafür, um Kontakt mit den Institutionen aufzunehmen, die sich mit Migrant*innen beschäftigten, wie etwa den Beratungsstellen und Ausländerbehörden und die Zusammenarbeit zu intensivieren.

Das Ziel: Mehr Verständnis für die Arbeit der Polizei bei Migrant*innen

Auf der polizeilichen Seite wurden seitens der „Ausländerbeauftragten“ Projekte initiiert und operativ umgesetzt, um die interkulturelle Kompetenz der Beamt*innen zu fördern. Ferner sollte mehr Verständnis für die Arbeit der Polizei bei Migrant*innen etabliert sowie Vertrauen in die Polizei aufgebaut werden. In der Praxis  galt es unter anderem, bei Konflikten interkultureller Prägung zu vermitteln.

Die unterschiedlichen Bemühungen der Polizei fanden Eingang in erwähnenswerten Projekten, deren Ziele die Kompetenz- und Vertrauensbildung waren. Um nur einen kurzen Abriss über vergangene Projekte zu skizzieren, wären an dieser Stelle zu nennen:

  • die Multiplikator*innenschulung zum Thema Prävention für die herkunftssprachlichen Lehrkräfte in Zusammenarbeit mit dem Staatlichen Schulamt für die Stadt und für den Landkreis Offenbach,
  • die Entwicklung und Umsetzung einer Struktur zur konstruktiven Konfliktbearbeitung bei interkulturellen Konflikten in der Stadt Offenbach in Zusammenarbeit mit der Leitstelle "Zusammenleben" der Stadt Offenbach,
  • landeskundliche Fortbildungsseminare für Polizeibeamt*innen über Herkunftsländer wie die Türkei und Marokko,
  • Seminare zur Förderung interkultureller Kompetenz,
  • interkulturelle Informationsveranstaltungen für Eltern mit Migrationsbiografie sowie
  • Informationsveranstaltungen mit den Ausländerbeiräten, Vereinen und Moscheen.

Bis in die 2000er Jahre wirkte im politischen Sprachgebrauch die Prämisse "Deutschland ist kein Zuwanderungsland". Ab der Jahrtausendwende änderte sich diese (politische) Erkenntnis, sodass auch die Sprache sich unweigerlich mitveränderte. Man sprach nicht mehr über und von Ausländern, sondern sprach mit und über Migrant*innen. Nunmehr haben sich die Bezeichnungen „Menschen mit Migrationshintergrund, -biografie bzw. -erfahrung“ als termini technici etabliert, wobei der Diskurs auch in diesem Themenfeld voranschreitet und über neue Begriffe wie "Eingewanderte und ihre (direkten) Nachkommen" verhandelt wird.

Die Polizei Hessen hat die Interkulturalität im vergangenen Jahrzehnt intensiv gefördert

Nicht nur die Zuwanderung, sondern auch die demografischen und gesellschaftlichen Veränderungen beeinflussen die Arbeit der Polizei unmittelbar. Die Polizei Hessen hat die Interkulturalität im vergangenen Jahrzehnt intensiv gefördert. Strukturell bedeutet dies, dass etwa in den hessischen Polizeipräsidien zwei bis drei Stellen für Migrationsbeauftragte geschaffen wurden. 2010 wurde die Bezeichnung "Ausländerbeauftragter" in "Migrationsbeauftragter" umbenannt und die Tätigkeit wurde im Sachgebiet Prävention (E 4) innerhalb der sieben hessischen Polizeipräsidien angesiedelt. Ein Teil der Migrationsbeauftragten ließ sich zu interkulturellen Trainern ausbilden und bietet Seminare für Polizeibeamt*innen an. So haben heute auch Polizeivollzugsbeamt*innen das Amt der Migrationsbeauftragten inne.

Im Rahmen des bundesweiten Ansatzes "Vertrauensbildende Maßnahmen" wurden die Kommunikation und Zusammenarbeit vor allem mit Muslimen und mit der Konzeption der Hessischen Polizei „Konzept zum Dialog und Vertrauensbildung“ mit Flüchtlingen (ab 2016) deutlich verbessert. Um den Dialog zu fördern, wurden wertvolle Projekte und Initiativen ins Leben gerufen und umgesetzt. Einige von ihnen waren:

Vieles was wir heute als selbstverständlich wahrnehmen und annehmen, hat seine eigene Geschichte. Migration ist dabei als Faktor kein Zustand, sondern ist dynamisch und damit ein sich stets wandelnder Prozess. Migration und die damit einhergehenden gesellschaftlichen Herausforderungen sind nicht als Einbahnstraße zu verstehen. Konkret meint dies, dass Herausforderungen nicht eindimensional zu betrachten sind, sondern es benötigt die Einsicht der relevanten Akteur*innen, dass alle das Recht haben, die eigene Position zu artikulieren. Diese Einsicht vergegenwärtigt, dass migrationsbedingte Herausforderungen einen wechselseitigen Austausch und den Willen Neues zuzulassen und auch dazuzulernen benötigen. Erst mit solch einer Grundhaltung können wir neue Ideen denken, diese einordnen und auch umsetzen. All dies, damit Menschen der Vielfaltsgesellschaft miteinander über den gesellschaftlichen Zusammenhalt reden, sich für diesen einsetzen und damit das friedliche Miteinander fördern. Für solch einen gesamtgesellschaftlichen Prozess sind alle angesprochen!

Weitere Informationen

Hüsamettin Eryilmaz
Foto: privat

Hüsamettin Eryilmaz ist Migrationsbeauftragter beim Polizeipräsidium Südosthessen in Offenbach am Main.
Kontakt: Huesamettin.Eryilmaz@polizei.hessen.de