Interreligiöses Gebet zum Gedenken an verstorbene Geflüchtete

Ahmad Aweimer (links) und Paul Gerhard Stamm sprachen das Gebet
Interreligiöses Gebet zum Gedenken an verstorbene Geflüchtete
Dieses Gebet wurde im Rahmen einer großen Aktion beim Evangelischen Kirchentag in dortmund gesprochen

Anlässlich des Evangelischen Kirchentags, der vom 19. bis 23. Juni 2019 in Dortmund stattfand, kooperierten die Bewegung Seebrücke Dortmund, das Schauspiel Dortmund, und der Ev. Kirchenkreis Dortmund für die Aktion „Jeder Mensch hat einen Namen“. Ziel des gemeinsamen, partizipativen Projekts war es, auf die – zum Teil namenlosen – Schicksale, der auf dem Weg in die Europäische Union gestorbenen Migrant*innen und Geflüchteten aufmerksam zu machen: Dafür wurden die (soweit bekannten) Namen der Gestorbenen in einer öffentlichen, gemeinsamen Aktion auf ein großes Transparent geschrieben, das im Anschluss am Kirchturm der St. Reinoldi-Kirche in der Dortmunder Innenstadt für mehrere Tage aufgehängt wurde.

Zum Abschluss der Aktion wurde  das Transparent in einem Trauermarsch zur St. Reinolidkirche gebracht. Dort sprachen Ahmad Aweimer und Paul Gerhard Stamm dieses interreligiöse Gebet. Es kann auch in Gottesdiensten während der Interkulturellen Woche gesprochen werden, etwa zum "Tag des Flüchtlings" am 27. September:

 

Trommel

Liebe Kirchentagsbesucherinnen und Besucher, liebe Dortmunder,

Wir, Ahmed Aweimer, Sprecher des Rates der muslimischen Gemeinden in Dortmund und Dialog und Kirchenbeauftragter im Zentralrat der Muslime, Uta C. Schmidt mit der Trommel, und ich, Paul Gerhard Stamm, Dortmunder Pfarrer und Mitglied bei der SEEBRÜCKE Dortmund, erinnern uns mit Ihnen an die ertrunkenen Geflüchteten.

Wir sind traurig – und der Tod so vieler Geflüchteter tut uns innerlich weh.

Wir sind fassungslos und wollen all das, auch unsere Wut, und unser Nichtverstehen vor Gott bringen.

Die Banner an der Reinoldikirche sollen uns mahnen und die politisch Verantwortlichen zum Umdenken bewegen. Sie sind ein Zeichen unseres Widerstandes gegen Ignoranz und Unmenschlichkeit

Trommel

Aweimer:
Jeder Mensch hatte einen Namen.
Wir erinnern an 51 Menschen, die am 10. Mai 2019 vor der Küste Tunesiens ertrunken sind. Sie kamen aus Bangladesch, Marokko, Ägypten und aus verschiedenen afrikanischen Ländern.

Stamm:
Jeder Mensch hatte einen Namen.
Wir erinnern an Arazu Tarig, sie kam aus Kurdistan und ist am 17. September 2018 in der Nähe von Bodrum, Türkei, ertrunken – auch ihre Schwester ertrank.

Aweimer:
Jeder Mensch hat einen Namen.
Wir erinnern an 49 Menschen, sie ertranken am 18. Juli 2018 zwischen der Türkei und Zypern, darunter Kinder und eine schwangere Frau.

Stamm:
Jeder Mensch hat einen Namen.
Wir erinnern an 114 Menschen. Sie ertranken am 29. Juni 2018 vor der lybischen Küste in der Nähe von Tripolis, darunter 3 Säuglinge, 30 Frauen und 70 Männer.

Aweimer:
Jeder Mensch hat einen Namen und ein Recht auf Leben, eine Würde. Ist Ebenbild Gottes. Jeder Mensch will leben, überleben, weiterleben.
Viele, zu viele, Millionen, werden verfolgt, vertrieben, drohen zu verhungern, müssen die Heimat verlassen.
Wenige versuchen den Weg nach Europa. Weit über 35.000 Geflüchtete sind auf dem Weg zu uns ums Leben gekommen, sind ertrunken, weil keine Rettung da war. Sie hätten nicht sterben müssen.

Was ist aus uns geworden, Gott? Wir sehen dem Sterben zu, sehen weg, verweigern Hilfe. Wie gottlos wir geworden sind! Menschen ohne Herz! Und wo warst Du, Gott?

Stamm:
Die Schreie um Hilfe aus dem Meer hören wir nicht. Darum leihen wir uns Worte der Bibel.
Hören wir ein Gebet, Worte aus dem Psalm 69, der Schrei nach Gott, die Bitte um Rettung, um Hilfe:

Psalm 69
2 Rette mich, Gott, das Wasser steht mir bis zum Hals!

3 Ich versinke im tiefen Schlamm, meine Füße finden keinen Halt mehr. Die Strudel ziehen mich nach unten, und die Fluten schlagen schon über mir zusammen.

4 Ich habe mich heiser geschrien und bin völlig erschöpft. Meine Augen sind vom Weinen ganz verquollen, vergeblich halte ich Ausschau nach meinem Gott.

15 Ziehe mich aus dem Sumpf heraus, lass mich nicht versinken! Rette mich vor denen, die mich hassen! Zieh mich heraus aus dem reißenden Wasser,

16 sonst schlagen die Fluten über mir zusammen, und der Strudel reißt mich in die Tiefe. Hol mich heraus, sonst verschlingt mich der Abgrund!

30 Ich bin elend und von Schmerzen gequält. Beschütze mich, Gott, und hilf mir wieder auf!

31 Dann will ich dich loben mit meinem Lied; ich will deinen Namen rühmen und dir danken!

 

Aweimer:
مِنْ أَجْلِ ذَٰلِكَ كَتَبْنَا عَلَىٰ بَنِي إِسْرَائِيلَ أَنَّهُ مَن قَتَلَ نَفْسًا بِغَيْرِ نَفْسٍ أَوْ فَسَادٍ فِي الْأَرْضِ فَكَأَنَّمَا قَتَلَ النَّاسَ جَمِيعًا وَمَنْ أَحْيَاهَا فَكَأَنَّمَا أَحْيَا النَّاسَ جَمِيعًا ۚ وَلَقَدْ جَاءَتْهُمْ رُسُلُنَا بِالْبَيِّنَاتِ ثُمَّ إِنَّ كَثِيرًا مِّنْهُم بَعْدَ ذَٰلِكَ فِي الْأَرْضِ لَمُسْرِفُونَ

Sure 5 der Tisch (Abendmahl) Vers 32:

Aus diesem Grunde haben Wir den Kindern Isrāʾīls (Jakub) vorgeschrieben: Wer ein menschliches Wesen tötet, ohne (daß es) einen Mord (begangen) oder auf der Erde Unheil gestiftet (hat), so ist es, als ob er alle Menschen getötet hätte. Und wer es am Leben erhält, so ist es, als ob er alle Menschen am Leben erhält. Unsere Gesandten sind bereits mit klaren Beweisen zu ihnen gekommen. Danach aber sind viele von ihnen wahrlich maßlos auf der Erde geblieben.

Dieser Vers kommt als Kommentar über die Geschichte von den beiden Söhnen Adams und Eva, Kain und Abel. Dieser Vers ist eigentlich an jede Religion gerichtet, da Gott von allen seinen Gesandten spricht, und somit an jedem einzelnen Menschen und an die ganze Menschheit gerichtet.

Davor sagt Gott: Doch machte ihn seine Seele willig, seinen Bruder zu töten. Und so tötete er ihn. Und er wurde einer von den Verlierern.

Gott will uns damit mitteilen:
Wer am Tod anderer Menschen beteiligt ist, ist ein Verlierer. Wer die Menschen nicht vor dem sicheren Tod rettet, ist ein Verlierer.
Wer sie aber rettet ist bei Gott der Erhabene der Gewinner.

Also Wer ein menschliches Wesen dem sicheren Tod überlässt, so ist es, als ob er alle Menschen dem sicheren Tod überlassen hätte. Und wer es aber rettet, so ist es, als ob er alle Menschen gerettet hätte.

Überlasst die Menschen nicht dem Tod, rettet die Menschen im Mittelmehr und anderswo.

Trommel:

Stamm: Die Banner werden hochgezogen
Die Sterbeglocke wird läuten
Wir wollen nun schweigen und an die Ertrunkenen denken, für sie in der Stille beten.

Wir singen Hevenu Shalom Alejchem
Wir wollen Rettung für alle, die zu ertrinken droh‘n im Mittelmeer

Es segne uns Gott, der Barmherzige, Gott, die Mitleidende, Gott, der Ohnmächtige, der Rettende. Sein Segen begleite Euch an diesen Abend und in den folgenden Tagen und schenke euch immer wieder Kraft zum Widerstand. Amen.

 

 

Infos
Kontakt

Ansprechpartner für die Aktion:

Paul Gerhard Stamm

E-Mail: pgstamm@dokom.net

 

Ahmad Aweimer

E-Mail: ahmad.aweimer@zentralrat.de